: Warum die Polizei Klette nicht eher aufspürte

von Oliver Klein
29.02.2024 | 18:16 Uhr
Journalisten konnten RAF-Terroristin Daniela Klette mit KI-Tools für Gesichtserkennung bereits 2023 in Berlin aufspüren. Warum gelang das der Polizei nicht auch schon früher?

Die frühere RAF-Terroristin Klette war am Montagabend in Berlin festgenommen worden. Sie war 30 Jahre untergetaucht.

27.02.2024 | 02:26 min
Die Ermittlungsbehörden waren stolz. Die Festnahme der früheren RAF-Terroristin Daniela Klette sei ein "Meilenstein" in der deutschen Kriminalgeschichte, ein "Meisterstück" der gemeinsamen Arbeit des Landeskriminalamts Niedersachsen und der Staatsanwaltschaft Verden, feierte Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) den Zugriff. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nannte die Festnahme Klettes einen "großen Erfolg" der Polizei- und Ermittlungsbehörden.
Niemand sollte sich im Untergrund sicher fühlen.
Nancy Faeser, Bundesinnenministerin
Nun zeigt sich: Journalisten hatten die seit 30 Jahren untergetauchte Ex-Terroristin bereits im vergangenen Jahr in Berlin aufgespürt. Im rbb-Podcast "Most Wanted: Wo ist RAF-Terroristin Daniela Klette?" berichten Khesrau Behroz und Patrick Stegemann, wie sie dem Hinweis eines Hörers nachgingen und gemeinsam mit einem Experten der Rechercheplattform Bellingcat konkrete Spuren in Berlin verfolgten - bis zu einem brasilianischen Kulturverein, in dem Klette offenbar lange aktiv war.

Über drei Jahrzehnte hat die Rote Armee Fraktion die Bundesrepublik terrorisiert. RAF-Experte Stefan Aust erhofft sich weitere Aufklärung durch die Festnahme von Daniela Klette.

27.02.2024 | 04:48 min

Klette auf etlichen Fotos in Berlin zu sehen

Die Methode: Michael Colborne von Bellingcat lud alte Fahndungsfotos von Klette auf der Seite Pimeyes hoch - ein KI-Tool für Gesichtserkennung im Internet. In den Suchergebnissen erschienen private Fotos, die offenbar Klette zeigten.
Auf einem ist sie als Tänzerin im Jahre 2011 beim Berliner "Karneval der Kulturen" zu sehen, auf anderen in einem Berliner Studio für Capoeira, einem brasilianischen Kampftanz.
Daniela Klette in den Suchergebnissen des KI-Tools Pimeyes.Quelle: Screenshot/pimeyes.com
Ein Test von ZDFheute mit Pimeyes bestätigt die Recherchen. Und auch ein weiterer Abgleich der Fundstücke mit einem Tool für Gesichtsvergleiche zeigt: Die Fahndungsfotos von Klette und die von Pimeyes ausgespuckten Fotos aus dem Internet zeigen mit hoher Wahrscheinlichkeit dieselbe Person.
Daniela Klette auf einem alten Fahndungsfoto (l.) und ein aktuelles Foto (r.), das Journalisten entdeckten - ein Analysetool für Gesichtserkennung zeigt eine hohe Wahrscheinlichkeit an, dass es sich um dieselbe Person handelt.Quelle: Screenshot/faceplusplus.com

Pimeyes

Wie funktioniert Pimeyes?

Pimeyes ist eine bezahlpflichtige Suchmaschine für Gesichter. Sie ermöglicht, mit Gesichtserkennung Bilder einer bestimmten Person im Internet zu finden. Pimeyes durchforstet öffentlich zugängliche Webseiten, Nachrichtenportale, teilweise sogar Videoplattformen nach Fotos von Menschen und analysiert und speichert deren biometrische Daten. Soziale Netzwerke werden nicht durchsucht.

Lädt man das Foto einer Person hoch, liefert Pimeyes Bilder von Menschen mit den gleichen biometrischen Daten. Das funktioniert erschreckend gut: Selbst auf Fotos mit einer großen Anzahl von Menschen, beispielsweise auf einer Demonstration, in einem Stadion oder auf einem Volksfest, kann Pimeyes noch Personen identifizieren.

Warum steht Pimeyes in der Kritik?

Pimeyes hat großes Potenzial, die Privatsphäre von Menschen massiv zu beeinträchtigen, auch Datenschützer sind alarmiert. Die wichtigsten Kritikpunkte:

  • Datenschutz: Pimeyes sammelt und speichert biometrische Daten, meist ohne das Wissen oder gar das explizite Einverständnis der betroffenen Personen. Genau das verbietet die Datenschutz-Grundverordnung der EU. Auf EU-Ebene wurde darum zuletzt diskutiert, Pimeyes stärker zu regulieren oder ganz zu verbieten.
  • Missbrauchspotenzial: Pimeyes kann für Stalking missbraucht werden.
  • Ungenaue Ergebnisse: Pimeyes liefert häufig Fotos, die der gesuchten Person nur ähnlich sehen, aber jemand ganz anderes zeigen. Es gibt innerhalb des Tools keine Möglichkeit, Ergebnisse mit einem Score zu bewerten.

Fotos von Klette in nur 30 Minuten gefunden

30 Jahre lang war Klette untergetaucht, aber Corbornes Suche hat nach eigener Aussage nur 30 Minuten gedauert. Die beiden Podcaster hatten nach der Recherche sogar den Berliner Verein besucht, in dem Klette unter dem Namen "Claudia Ivone" längere Zeit trainiert hatte, erzählt Khesrau Behroz im Gespräch mit ZDFheute. Auch einen Facebook-Account von Klette mit dem falschen Namen entdeckten sie. Aber: Die Spur verliert sich in dem Verein - Klette war seit Jahren nicht mehr zum Training erschienen, hieß es dort.
Doch wenn es für Journalisten so einfach war, Daniela Klette in Berlin aufzuspüren und sogar ihren Tarnnamen herauszubekommen - wieso hatten die Ermittlungsbehörden so lange keine Spur von der Ex-Terroristin der RAF? Hätten Zielfahnder nicht einfach auch Pimeyes mit den Fahndungsfotos füttern können?

Nach der Festnahme der ehemaligen RAF-Terroristin Klette werden nun auch die früheren RAF-Mitglieder Staub und Garweg in Berlin vermutet. ZDF-Korrespondent Oliver Deuker berichtet.

29.02.2024 | 01:04 min

Polizei darf Pimeyes nutzen - unter bestimmten Voraussetzungen

Grundsätzlich sind dem polizeilichen Einsatz solcher Tools enge datenschutzrechtliche Grenzen gesetzt. Fotos, die im Zuge von Ermittlungen gewonnen wurden, darf die Polizei nicht einfach jederzeit an Dritte weitergeben. Auf Anfrage von ZDFheute heißt es vom Bundeskriminalamt (BKA), der Einsatz solcher Gesichtserkennungs-Tools sei nur im Rahmen einer richterlich angeordneten Öffentlichkeitsfahndung rechtlich zulässig. Die gab es im Fall von Klette allerdings schon seit Jahrzehnten.
Ob Pimeyes überhaupt genutzt wird, will das BKA grundsätzlich "aus kriminaltaktischen Gründen" nicht beantworten.

Klette-Fotos waren relativ neu bei Pimeyes

Aber: KI-Tools für Gesichtserkennung gibt es erst seit wenigen Jahren. Pimeyes beispielsweise wurde zwar 2017 ins Leben gerufen, fand aber erst 2020 eine größere Verbreitung. Auch die dahinterstehenden Datenbanken wurden erst nach und nach umfangreicher.
Selbst, wenn Zielfahnder Pimeyes also genutzt hätten: Die Privatfotos von Daniela Klette wurden nach Angaben von Pimeyes überwiegend im November 2022 und Mai 2023 indexiert, also von dem System in die Datenbank aufgenommen. Ermittler hätten wohl zumindest über Pimeyes kaum die Chance gehabt, der Ex-RAF-Terroristin bereits Jahre früher auf die Spur zu kommen.
Ob letztendlich auch die Erkenntnisse der Podcaster zu Klettes Festnahme führten, ist unklar. Der entscheidende Hinweis sei im vergangenen November aus der Bevölkerung gekommen, heißt es von der Polizei - also vor der Veröffentlichung des Podcasts.

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