Gerhard Schröder war von Oktober 1998 bis November 2005 Bundeskanzler.Quelle: dpa
Kurz vor seinem 80. Geburtstag teilt Gerd, wie sie ihn früher liebevoll nannten, kräftig aus gegen seine Partei. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa und einem langen Fernseh-Porträt der ARD.
Darin erklärt Gerhard Schröder, er nehme die Parteiführung nur begrenzt politisch ernst, und nennt die SPD-Vorsitzenden armselige Gestalten, den Generalsekretär einen armen Wicht. Er brauche für sein Lebenswerk nicht die Zustimmung der SPD-Führung. Das klingt nach Selbstgerechtigkeit. Aber entgegen seinen Beteuerungen spricht da auch ein tief gekränkter Altkanzler.
Unverstanden: Schröder-Freundschaft zu Putin
Seit dem 24. Februar 2022, seit dem
Überfall Russlands auf die Ukraine, schauen politische Beobachter, schaut aber auch die
SPD nochmal anders auf Schröder als zuvor. Hatte man seine Aufsichtsratsmandate bei Gazprom über Jahre, wenn auch widerwillig, geduldet, fehlt heute den allermeisten in und außerhalb der Partei das Verständnis für seine immer wieder beteuerte Freundschaft zu
Wladimir Putin.
Seit der Invasion in der Ukraine hat sich im Westen das Bild von Präsident Putin und seiner Politik verändert - bei vielen.
22.03.2022 | 44:10 min
Ihn aus der SPD rauszuschmeißen, ist an den Statuten der Sozialdemokratie gescheitert. Alle Forderungen, die Partei freiwillig zu verlassen - wie erst vergangene Woche von Gesundheitsminister
Karl Lauterbach - prallen an ihm ab. Schröder gibt seinen Kritikern zurück:
Es ist mein Leben und nicht das anderer.
Gerhard Schröder (SPD), Ex-BundeskanzlerProvokante Reden und Kampf für Chancengleichheit
"Acker" nannten sie ihn beim TuS Talle, wo er in seiner Jugend Fußball spielte. Sein Motto bereits damals: "Über den Kampf zum Spiel finden". Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen lernt Gerhard Schröder früh, sich durchzusetzen.
Auf dem zweiten Bildungsweg gelingt ihm der Aufstieg vom Lehrling im Einzelhandel zum Rechtsanwalt. In der SPD gilt er als Rebell, der gerne mal in Reden provoziert und vor allem für mehr Chancengleichheit kämpft.
„Von ganz unten“
Gerhard Schröder wird am 7. April 1944 im Dorf Mossenberg in Nordrhein-Westfalen geboren. Sein Vater stirbt im Krieg. Mit Mutter, Großmutter und Halbgeschwistern wächst er in einfachsten Verhältnissen auf.
Quelle: Privatarchiv G. Schröder/Prof. G. Schöllgen„Acker“
Als Jugendlicher spielt Schröder (hinten, Mitte) leidenschaftlich Fußball. Seine Mannschaft beim TuS Talle nennt den schussstarken Stürmer „Acker“.
Quelle: Privatarchiv G. Schröder/Prof. G. Schöllgen„Ich will da rein!“
Mit 19 tritt Schröder in die SPD ein – und steigt dort schnell auf. Er wird Juso-Vorsitzender und zieht 1980 in den Bundestag ein. Sein Ziel ist klar: „Ich will da rein!“, soll er gerufen haben, als er nach einer Kneipentour am Zaun des Kanzleramts rüttelte.
Quelle: ap„Ich bin bereit.“
1990 wird Schröder, hier mit seiner dritten Ehefrau Hiltrud, genannt Hillu, Ministerpräsident von Niedersachsen – das Kanzerlamt fest im Blick. Nachdem seine SPD-Rivalen Lafontaine und Scharping 1990 und 1994 als Kanzlerkandidaten gescheitert sind, schlägt 1998 seine Stunde ...
Quelle: dpa„Hol mir mal ʼne Flasche Bier!“
… und Schröder wird zum siebten deutschen Bundeskanzler gewählt. Als Zigarre rauchender „Spaßkanzler“ im Brioni-Anzug prägt er einen neuen Stil.
Quelle: reuters„‚Nein‘ zum Krieg“
Mit dem Kosovo-Einsatz und dem „Nein“ zu einer deutschen Beteiligung am Irak-Krieg setzt er außenpolitische Akzente. Sein wichtigstes innenpolitisches Vermächtnis sind die Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010, die bis heute umstritten sind und 2005 zu seiner Wahlniederlage beitragen.
Quelle: dpa„… ein lupenreiner Demokrat“
Kurz nach dem Ende seiner Kanzlerschaft wird Schröder Vorsitzender des Aktionärsausschusses von Nord Stream, der Betreibergesellschaft der Ostseepipeline, deren Bau er als Kanzler auf den Weg gebracht hatte. Hauptanteilseigner: das russische Unternehmen Gazprom. Der Altkanzler gerät in die Kritik. Ebenfalls umstritten ist seine Freundschaft zum russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Quelle: reuters
Acht Jahre ist Schröder Ministerpräsident in
Niedersachsen, doch er will mehr. 1998 wird er erster Kanzler einer rot-grünen Koalition, später auch Parteivorsitzender.
Kosovo-Einsatz der Bundeswehr und Agenda 2010
Dieser Machtwechsel war auch ein Gezeitenwechsel. Die 68er waren bei ihrem Marsch durch die Institutionen auf den Chefsesseln angekommen - mit Themen wie Atomausstieg, Homo-Ehe, neues Staatsbürgerrecht.
Und: Schröder führte Deutschland zum ersten Mal in der Nachkriegszeit im
Kosovo in einen Kriegseinsatz. Im Irak aber verweigerte er eine deutsche Beteiligung.
Schröders bedeutsamste Reform war die Agenda 2010. Sie führte
Deutschland mittelfristig zu wirtschaftlicher Stärke, die Sozialdemokratie aber in die Krise. 19 Jahre hat die SPD am Ende gebraucht, um Hartz IV, wie sie selber sagt, "zu überwinden".
"Basta"-Kanzler und Selbstinszenierer
Von Anfang an gehörte zur Politik Gerhard Schröders auch die Selbstinszenierung. Geschickt wusste er, die Medien zu nutzen. Seine Pressekonferenzen hatten häufig etwas von einem Hochamt.
Seine politische Rauflust übertrug sich in solchen Begegnungen auch auf einige Journalisten. Damit war der Unterhaltungswert deutlich höher als bei seinen Nachfolgern.
Gerhard Schröder hat geklagt - und laut Gericht keinen Anspruch darauf, sein vom Staat finanziertes Bundestagsbüro zurückzuerhalten.
04.05.2023 | 01:35 min
Legendär wurden sein Basta zur "Riesterrente", seine Abwertung von Familienpolitik als "Gedöns" - oder die Spitzen gegen den "Heidelberger Professor" Paul Kirchhof. Äußerungen eines politischen Machos, der bis heute hauptsächlich Männerfreundschaften pflegt.
Schröders Rauflust und sein Image
Und so versucht Gerhard Schröder das gesteigerte mediale Interesse rund um seinen 80. Geburtstag erneut zu nutzen. Ganz offenbar will er sein Bild in der Öffentlichkeit korrigieren. Doch es gelingt ihm nicht. Seine Rauflust steht ihm mittlerweile selbst im Weg.
Seine jüngsten Kommentare, dass es beim Krieg in der Ukraine nicht um eine moralische Frage gehe, dass es in
Russland freie Wahlen gegeben habe, dass seine unverbrüchliche Freundschaft zu Putin Gesprächskanäle offenhalte, finden allenfalls in Moskau Beifall. Nicht in Deutschland. Und auch nicht in der SPD.
Er ist und bleibt ein politischer Outlaw. Im sehenswerten Porträt der ARD konstatiert Gerhard Schröder am Ende: "Ich bin manchmal ein bisschen anders als andere." Fürwahr.
Lars Bohnsack ist ZDF-Hauptstadtkorrespondent.