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: Warum geflüchtete Frauen selten Arbeit finden

von Alina Reissenberger
20.04.2024 | 04:00 Uhr
Nur ein Drittel der geflüchteten Frauen aus der Flüchtlingskrise 2015/16 hat mittlerweile einen Job in Deutschland gefunden. Warum scheitern sie so oft am deutschen Arbeitsmarkt?

18.04.2024 | 03:29 min
In Syrien kam Hasina Mohammed auch ohne Ausbildung immer durch. Sie kümmerte sich um ihre zwei Kinder, verdiente ihr Geld als ungelernte Schneiderin. Dann musste sie wegen des Bürgerkriegs das Land verlassen. Hasina Mohammed und ihre Kinder landen 2015 in Bremen-Vegesack, im Brennpunktviertel Grohner Düne.
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In Deutschland ist Hasina Mohammed sicher vor dem Krieg. Aber es warten Herausforderungen: Die deutsche Sprache lernen, die Bürokratie, die Jobsuche. Und sich nebenbei um die Kinder kümmern. Anfangs läuft es im Sprachkurs gar nicht gut.
"Ich habe gar nichts verstanden. Und ich habe gesagt: Stopp, ich kann das nicht", sagt Hasina Mohammed. Sie fällt durch den Deutschtest - ein Rückschlag. Denn sie weiß: Ohne Deutschkenntnisse wird es schwer auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat Geflüchtete von 2015/16 zu ihrer beruflichen Situation befragt. Inzwischen haben mehr als 60 Prozent eine Anstellung gefunden.

17.04.2024 | 01:11 min

Geflüchtete Männer arbeiten fast genau so oft wie deutsche Männer

Wie Hasina Mohammed geht es vielen geflüchteten Frauen, die in den Jahren der "Flüchtlingskrise" nach Deutschland kamen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) beobachtet zusammen mit der Agentur für Arbeit seit über zehn Jahren, wie sich geflüchtete Frauen auf dem deutschen Arbeitsmarkt zurechtfinden.
Bei Frauen ist die Arbeitsmarktintegration deutlich langsamer als bei Männern.
Yuliya Kosyakova, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
Laut der Studie des IAB arbeiten männliche Geflüchtete sieben Jahren nach der Flucht fast so häufig wie deutsche Männer. Bei Frauen ist es nur ein Drittel.
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Frauen arbeiteten auch vor Flucht seltener als Männer

Für Yuliya Kosyakova, Leiterin des Forschungsbereichs Migration beim IAB, gibt es vor allem drei Gründe für die höhere Arbeitslosigkeit von geflüchteten Frauen. Zum einen haben sie auch in ihren Herkunftsländern seltener gearbeitet als Männer. Während etwa drei Viertel der Männer vor der Flucht berufstätig waren, arbeiteten nur etwa halb so viele Frauen im Herkunftsland.
Dass im Durchschnitt weniger Frauen als Männer erwerbstätig sind, ist auch in Deutschland nicht ungewöhnlich. Allerdings sind unter Deutschen die Unterschiede zwischen den Geschlechtern geringer als unter Geflüchteten - und sind zudem in den vergangenen Jahren zurückgegangen.
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Fehlende Kinderbetreuung hindert beim Deutschlernen

Aber auch einige geflüchtete Frauen, die einst berufstätig waren, haben in Deutschland noch keine Arbeit angenommen. Oft spielt die familiäre Situation eine Rolle. "Frauen, die nach Deutschland flüchten, kommen meist mit Kindern. Häufig sind da kleine Kinder dabei. Männer kommen häufig allein", sagt Yuliya Kosyakova.
In Deutschland treffen geflüchtete Frauen dann auf ein Problem, das auch deutsche Frauen bei der Jobsuche behindert: der Mangel an Kinderbetreuung.
Die hindert geflüchtete Frauen oft, an Deutschkursen teilzunehmen, so die Expertin vom IAB. Dadurch lernen geflüchtete Frauen die Sprache langsamer als geflüchtete Männer.
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Geflüchtete Frauen arbeiten in anderen Branchen als Männer

Das führt zum dritten Grund, warum Frauen seltener arbeiten als Männer: "Viele Frauen, die vor dem Zuzug erwerbstätig waren, arbeiteten im Gesundheits- oder im Bildungsbereich", erklärt Yuliya Kosyakova.
Diese "sprechenden Berufe" verlangen besonders gute Deutschkenntnisse. Außerdem sei die Anerkennung der Abschlüsse in diesen Bereichen besonders schwierig.
Wir haben viel geschafft, wir müssen aber dranbleiben.
Yuliya Kosyakova, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
Wichtig ist laut der Expertin vor allem der Ausbau der Kinderbetreuung. "Das hilft nicht nur Geflüchteten, sondern allen Frauen in Deutschland", sagt Kosyakova. Für geflüchtete Frauen sollten Behörden insbesondere bei Sprachkursen eine Kinderbetreuung mitplanen.

Fehlende Anerkennungen hindern Fachkräfte am Arbeiten

Außerdem plädiert die Migrationsforscherin für eine schnellere Anerkennung von ausländischen Abschlüssen. Manchmal sind Anerkennungen aber nicht möglich. Das zeigt ein anderes Beispiel - das von Salwa Saada, deren Jobeinstieg in Tübingen sich dadurch hinauszögerte. Zwar kam sie mit einem syrischen Jura-Abschluss nach Deutschland - dieser wurde hier aber nicht anerkannt.
Für ihren heutigen Job im Ausländeramt der Stadt musste sie daher erst eine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten in Deutschland absolvieren. Um später auch hierzulande juristische Tätigkeiten zu übernehmen, hat Salwa Saada in Deutschland zusätzlich einen Master of Laws absolviert.

2015 flüchtet Salwa Saada mit ihrem Baby nach Deutschland. In Tübingen hat die gebürtige Syrerin eine neue Heimat gefunden - baute sich Stück für Stück ein neues Leben auf. Immer wieder musste sie sich Herausforderungen stellen. Aktuell beschäftigt sie der Rechtsruck und die aufgeheizte Stimmung in der Gesellschaft. Doch der Wunsch, nach einem besseren Leben für sich und ihre Tochter, treibt sie weiter an. Sie möchte Karriere machen.

18.04.2024 | 02:49 min
In Fällen wie bei Salwa Saada, wo Anerkennungen von Abschlüssen nicht möglich sind, rät Kosyakova zu mehr Weiterbildungen für Geflüchtete. So könnte der Jobeinstieg auch in Branchen, in denen die Anerkennung schwierig ist, schneller gelingen.

Geflüchtete hilft heute anderen Frauen

Auch Hasina Mohammed ist nach anfänglichen Schwierigkeiten heute in Bremen angekommen. Die Deutschprüfung bestand sie im zweiten Versuch. Nun hilft sie dabei, dass andere Geflüchtete einen leichteren Start in Deutschland haben als sie. Hasina Mohammed arbeitet seit fünf Jahren in einem Sozialprojekt. Dort betreut sie die Kinder von geflüchteten Frauen, damit diese in der Zwischenzeit Sprachkurse und Behörden besuchen können.

Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

Das Nürnberger Institut untersucht in der IAB-BAMF-SOEP-Studie seit 2013 die Integration von Geflüchteten in Deutschland. Dazu befragen Forscher jedes Jahr Schutzsuchende in Deutschland unter anderem zum Spracherwerb, der Jobsuche und sozialen Integration.

Die Befragten werden per Zufallsstichprobe aus dem Ausländerzentralregister gezogen. Seit 2013 nahmen 9.339 Geflüchtete im erwerbsfähigen Alter (18 bis 64 Jahre) an der Befragung teil. Als Teil der Bundesagentur für Arbeit berät das IAB auf Grundlage der Forschungsergebnisse das Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Yuliya Kosyakova

Yuliya Kosyakova leitet den Forschungsbereich Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Zudem forscht und lehrt sie als Professorin für Migrationsforschung an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.
Wie gut hat die Integration der Geflüchteten von 2015/16 auf dem Arbeitsmarkt geklappt? Weitere Geschichten von Geflüchteten, Helfern und Kritikern aus allen Bundesländern:
Redaktion: Johannes Lieber, Robert Meyer, Moritz Zajonz
Mitarbeit: Sarah Touihrat, Eliane Wikert

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