FAQ

: Die falschen Klischees rund ums Bürgergeld

von Katja Belousova
15.12.2023 | 18:32 Uhr
Das Bürgergeld ist mit Klischees und Zerrbildern aufgeladen. Dabei ist die Gruppe der Bezieher sehr unterschiedlich und nur eine Minderheit wirklich arbeitslos. Was Experten sagen.
Ein Mädchen steht vor einer Ausgabe der Tafel: Unter den Bürgergeldbeziehern finden sich unzählige Kinder.Quelle: dpa
Im Zuge der Haushaltsdebatte wurde in den vergangenen Wochen immer wieder auch über das Bürgergeld diskutiert. Vor allem von Seiten der Union und FDP wurde immer wieder gefordert, es zu kürzen. Nun sehen die Ampel-Pläne 1,5 Milliarden Euro Einsparungen beim Bürgergeld vor.
Damit kommt die Bundesregierung auch einer Mehrheit der Deutschen entgegen. Im repräsentativen ARD-Deutschlandtrend von "infratest dimap" sprachen sich zuletzt zwei Drittel der Befragten für Einsparungen beim Bürgergeld aus.

Trotz der milliardenteuren Einigung im Haushalt investiere die Regierung deutlich mehr als vor Corona, so Bundesfinanzminister Lindner im ZDFspezial.

13.12.2023 | 04:01 min

Mehrheit will Armen Geld kürzen. Warum?

64 Prozent der Menschen in Deutschland sind also der Meinung, dass am unteren Ende der Gesellschaft gespart werden soll. Wie erklärt sich diese Mehrheit? "Bei vielen herrscht fälschlicherweise das Bild des faulen, auf dem Sofa liegenden, die Bierflasche in der Hand haltenden Nichtstuers vor, der nicht arbeiten will und auf unsere Kosten lebt", erklärt der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge im Gespräch mit ZDFheute.

Was ist das Bürgergeld?

Das Bürgergeld ist die Sozialleistung, die früher als Arbeitslosengeld II oder umgangssprachlich Hartz IV bezeichnet wurde. Es ist eine Grundsicherung für Arbeitssuchende, soll also Menschen den Lebensunterhalt sichern, die arbeiten können, deren Einkommen aber nicht zum Leben reicht. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales definiert das Bürgergeld als "Leistung des Sozialstaats zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums".

Wie viel Bürgergeld gibt es monatlich?

  • Seit Anfang 2023 erhalten Alleinstehende 502 Euro pro Monat - ab Anfang 2024 sollen es 563 Euro sein.
  • Mit Partnern zusammenlebende Erwachsene erhalten bisher 451 Euro - künftig 506 Euro.
  • Für Jugendliche im 15. Lebensjahr bis unter 18 Jahre fließen 420 Euro - künftig sollen es 471 sein.
  • 348 Euro erhalten Kinder vom Beginn des 7. bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres - künftig sollen es 390 Euro sein.
  • Für Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres fließen derzeit 318 Euro - ab 2024 dann 357 Euro.

Was ist der Unterschied zum Arbeitslosengeld?

Arbeitslosengeld I steht Menschen zu, die in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben und arbeitslos werden. Es wird maximal 24 Monate ausgezahlt - danach folgt das Bürgergeld. Anders als beim Bürgergeld ist die Höhe des Arbeitslosengelds abhängig vom vorherigen Einkommen.

Wer hat Anspruch auf Bürgergeld?

Laut Bundesagentur für Arbeit erhalten Menschen Bürgergeld, wenn sie erwerbsfähig und leistungsberechtigt sind und damit mindestens folgende Bedingungen erfüllen:

  • Sie sind mindestens 15 Jahre alt und haben die Altersgrenze für Rente noch nicht erreicht.
  • Sie wohnen in Deutschland und haben hier ihren Lebensmittelpunkt.
  • Sie können mindestens drei Stunden pro Tag arbeiten.
  • Sie oder Mitglieder ihrer Bedarfsgemeinschaft sind hilfebedürftig.

Hilfebedürftig bedeutet, dass das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft unter dem Existenzminimum liegt und sie den Lebensunterhalt nicht ausreichend aus eigenen Mitteln bestreiten können. Erwerbsfähig bedeutet, dass keine Krankheit oder Behinderung sie hindert, eine Arbeit aufzunehmen. Auch wer nicht erwerbsfähig ist, kann Bürgergeld erhalten, wenn die Person mit einer erwerbsfähigen und leistungsberechtigten Person in einer Bedarfsgemeinschaft lebt.

Was gilt für Menschen, die Asyl suchen?

Asylbewerber*innen und Geduldete bekommen in der ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland kein Bürgergeld, sondern Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Erst nach anderhalb Jahren steht ihnen Bürgergeld zu. Laut neuem Asylbeschluss soll sich das aber ändern: Künftig sollen sie erst nach 36 Monaten Anspruch auf Bürgergeld haben.

Eine Ausnahme wurde für Menschen aus der Ukraine getroffen, die vor Russlands Krieg geflüchtet sind: Sie zählen nicht als Asylbewerber und haben nach der Flucht Anspruch auf eine Grundsicherung - also auch das Bürgergeld.

Was verraten die offiziellen Bürgergeld-Zahlen?

Dabei zeigen die Bürgergeld-Zahlen der Bundesagentur für Arbeit: von den etwa 5,5 Millionen Leistungsberechtigten sind
  • etwa 30 Prozent minderjährig - die große Mehrheit davon unter 15 und damit nicht erwerbsfähig.
  • mehr als eine halbe Million Alleinerziehende - 93 Prozent davon Frauen.
  • etwa 800.000 sogenannte "Aufstocker" - also Menschen, die arbeiten, deren Lohn aber nicht für ein Existenzminimum ausreicht.
Insgesamt zählt die Bundesagentur
  • 1,7 Millionen Menschen, die Bürgergeld beziehen und als arbeitslos gelten. Etwa zwei Drittel von ihnen haben keinen formalen Berufsabschluss - sind auf dem Arbeitsmarkt also per se schwer zu vermitteln. 
  • knapp eine Viertelmillion Menschen, die seit mindestens vier Jahren arbeitslos sind.

Armutsforscher Christoph Butterwegge macht die SPD mitverantwortlich für Altersarmut vieler Menschen in Deutschland. Hartz IV und die Agenda 2010 hätten zu dem Problem beigetragen.

19.02.2023 | 00:31 min

"Faule" Langzeitarbeitslose - was ist an dem Klischee dran?

Doch auch Langzeitarbeitslose als "faul" abzustempeln, greife Butterwegge zufolge zu kurz.
Menschen, die seit mehreren Jahren im Transferleistungsbezug sind, kann man natürlich nicht mehr so einfach in den Arbeitsmarkt eingliedern. Viele wissen nicht, wie sie sich die Zeit einteilen sollen. Da spielen nicht selten auch psychische und Suchtprobleme eine Rolle.
Christoph Butterwegge, Armutsforscher
"Es gab schon immer Langzeitarbeitslose und dagegen kann man nur bedingt vorgehen. Und die Gruppe der Arbeitslosen, die sich einfach weigert, Erwerbsarbeit aufzunehmen, die ist nicht wahnsinnig groß und die ist auf keinen Fall so entscheidend für die deutsche Volkswirtschaft", ergänzt die Soziologin Mona Motakef von der TU Dortmund.
Was ist dran an Vorwürfen zu massenhaftem Sozialbetrug? Mehr dazu lesen Sie hier:

Warum gibt es solche Klischees?

Von einer "faulen" Mehrheit kann beim Bürgergeld keine Rede sein. Dafür ist die Gruppe der Beziehenden zu unterschiedlich. Doch warum hat sich dieses Bild verfestigt? Motakef führt das unter anderem auf einen "sozialpolitischen Leitbildwandel" zurück, der um die Jahrtausendwende stattfand.
Damals gab es etwa zunehmend Sendungen im Fernsehen, in denen auf die sogenannte Unterschicht herabgeschaut wird, wo arme Menschen vorgeführt werden. Das gibt es bis heute.
Mona Motakef, Soziologin
Die Politik habe das Bild mitbefeuert.
Menschen in der Grundsicherung wurden als gescheitert dargestellt, dabei können sie häufig gar nichts für ihre Lage, wie etwa Alleinerziehende.
Mona Motakef, Soziologin
Umgekehrt erscheine bei reichen Menschen ihr Reichtum vor allem als individuelle Leistung und Erfolg - und weniger als Ausdruck ihres sozialen Privilegs.

237 Milliardäre zählt Deutschland – Tendenz steigend. Ihre Welt gilt als verschlossen, diskret. Doch auch dank zahlreicher Steuertricks werden Superreiche immer reicher.

12.12.2023 | 02:33 min
"Zum Beispiel ist damals auch Hartz IV vorbereitet worden, indem Gerhard Schröder der 'Bild'-Zeitung gesagt hat:  'Es ist gibt kein Recht auf Faulheit'. Was natürlich unterstellt, dass Menschen, die damals Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe bezogen, ewigen Urlaub machten", ergänzt Butterwegge.
In Wirklichkeit war es noch nie so, dass Sozialleistungen ohne regelmäßige Kontrolle und Überprüfung der Empfänger vergeben worden sind.
Christoph Butterwegge, Armutsforscher
Angesichts zunehmender Krisen und Verunsicherung würden Bürgergeld-Stereotype weiter befeuert. "Diese Verunsicherung sorgt auch dafür, dass so ein gewisser Mechanismus, nach unten zu treten, entsteht", sagt Motakef.
Auch in der Mittelschicht sind Beschäftigte immer stärker verunsichert, auch sie spüren die Auswirkungen der Inflation.
Mona Motakef, Soziologin
Sie grenzen sich "nach unten" ab. Und dieser Mechanismus ist auch immer wieder zu beobachten, wenn es um ein anderes Streitthema beim Bürgergeld geht: dem Anteil der Ausländer.

Wie wird das Bürgergeld berechnet? Um welche Erhöhung geht es? Die wichtigsten Fakten zur Kürzungsdiskussion.

04.12.2023 | 00:54 min

Viele Ausländer beziehen Bürgergeld. Warum?

47 Prozent der Menschen, die Bürgergeld beziehen, sind keine deutschen Staatsbürger. Auch das sorgt bei vielen für Unmut. Dabei ist der Anteil aktuell aus deshalb so hoch, weil etwa ein Viertel von ihnen Ukrainer sind, die vor dem Krieg flohen. Viele von ihnen haben gute Qualifikationen, doch die Berufsanerkennung in Deutschland ist schwierig - das bekommen auch andere Ausländer in Deutschland zu spüren.
Warum ukrainische Geflüchtete auf dem deutschen Arbeitsmarkt häufig schwer Fuß fassen:

Mehr als eine Million Ukrainer sind seit dem Angriffskrieg Russlands gegen ihr Land nach Deutschland geflüchtet. Knapp die Hälfte von ihnen will laut einer Studie hierbleiben.

18.07.2023 | 09:11 min
Davon abgesehen würden auch fremdenfeindliche Stereotype eine Rolle spielen, sagt Christoph Butterwegge.
Menschen mit ausländisch klingenden Namen finden schwerer eine Wohnung, es gibt grundsätzlich mehr Vorbehalte ihnen gegenüber, und das gilt natürlich auch für die Arbeitswelt.
Christoph Butterwegge, Armutsforscher
"Zudem sind Menschen, die migrieren, jedenfalls wenn es Geflüchtete sind, häufig nicht so qualifiziert wie Einheimische, die in einem hoch entwickelten Industriestaat aufgewachsen sind", erklärt er.
Diese haben in der Regel ein höheres Bildungsniveau als jemand, der aus Afghanistan geflohen ist, weil er von den Taliban bedroht wurde.
Christoph Butterwegge, Armutsforscher
Die schlechtere Qualifikation führe zu schlechter bezahlten Jobs, aber auch dazu, dass man Jobs schneller verliert, erklärt der Armutsforscher. "Der Punkt mit der Staatsbürgerschaft ist immer ein bisschen verzerrend, weil das Entscheidende ist jetzt gar nicht so sehr Ausländer oder Inländer, sondern die soziale Herkunft, die Deutschkenntnisse und ob Bildungstitel vorhanden sind, und falls ja, ob sie anerkannt werden", fasst Mona Motakef zusammen.

„Das Bundesverfassungsgericht hat tatsächlich sehr strikte Vorgaben für die Sicherung des Existenzminimums gemacht", so Jurist Wieland zum Etat-Streit, das Bürgergeld zu kürzen.

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