: Gewalt unter Jugendlichen im Trend?

von Samuel Kirsch und Sarah Tacke
03.08.2023 | 09:15 Uhr
Im Winter die Silvesternacht, im Sommer Freibad-Prügeleien. Jenseits solcher Ereignisse zeigen neue Zahlen: Gewalt ist unter Jugendlichen wieder akzeptierter.

Sehen Sie hier die neue ZDF-Doku "Am Puls mit Sarah Tacke - Kein Respekt! Wenn Jugendliche zuschlagen". Für diese Doku wurden unter anderem Kriminalitätszahlen ausgewertet.

03.08.2023 | 43:05 min
Zwei Jahrzehnte lang ging die Kinder- und Jugendkriminalität tendenziell zurück. Doch für das Jahr 2022 zeigt die Polizeiliche Kriminalstatistik für Tatverdächtige unter 18 Jahre einen deutlichen Anstieg. Im Bereich der Gewaltkriminalität - dazu gehören etwa Tötungsdelikte, gefährliche Körperverletzung und Raub - beträgt die Zunahme rund ein Drittel.
Auch wenn die Zahlen sich insgesamt weiterhin auf einem niedrigen Niveau bewegen, ist ein Trend steigender Jugendgewalt erkennbar. Woran liegt das?

Sendehinweis

Die Sendung "Am Puls mit Sarah Tacke: Kein Respekt? Wenn Jugendliche zuschlagen" sehen Sie auch am Donnerstag, 3. August 2023, um 22:15 Uhr im ZDF.

Gewalt akzeptierter als früher

Ein Grund für die Zunahme der Gewaltkriminalität könnte in einem Einstellungswandel unter Jugendlichen liegen.
Eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zeigt: Gewalt anzuwenden scheint in den vergangenen Jahren wieder akzeptierter geworden zu sein. Das Institut befragt regelmäßig einen repräsentativen Querschnitt an Neuntklässlerinnen und Neuntklässlern in Niedersachsen. Für das ZDF haben die Wissenschaftler Zahlen für das Jahr 2022 exklusiv vor ausgewertet.

Erstmals seit 2014 sind Gewalttaten von Jugendlichen im letzten Jahr wieder angestiegen. Zudem zeigt eine Studie, dass Gewalt unter Jugendlichen immer stärker akzeptiert wird.

03.08.2023 | 01:43 min
Aussagen wie "Ein bisschen Gewalt gehört einfach dazu, um Spaß zu haben" oder "Wenn ich zeigen muss, was ich draufhabe, würde ich auch Gewalt anwenden" stimmte 2013 noch gut jeder Zehnte (13,9 Prozent) der befragten Schülerinnen und Schüler zu. 2022 war es bereits jeder Vierte (25,9 Prozent).
Auch Männlichkeitsbilder, die Gewalt als legitimes Mittel begreifen, erfahren mehr Zustimmung als noch vor zehn Jahren. Statements wie "Ein richtiger Mann ist bereit zuzuschlagen, wenn jemand schlecht über seine Familie redet" machte sich 2013 knapp jeder Fünfte (18,9 Prozent) der befragten Schülerinnen und Schüler zu eigen, aktuell ist es etwas weniger als jeder Dritte (29,8 Prozent).

Die von Innenministerin Faeser einberufene Allianz gegen Clan-Kriminalität sei eine "Showübung für den hessischen Wahlkampf" und keine wirkliche Hilfe, so NRW-Innenminister Reul.

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Aufhorchen lässt außerdem die Erhebung zur Verbreitung von Waffen. 2022 gaben 30,9 Prozent der befragten männlichen Jugendlichen an, in ihrer Freizeit zumindest ab und an potenzielle Angriffswaffen wie Schlagstöcke, Messer, Gaspistolen oder Softairwaffen mitzuführen. Seit 2013 bewegt sich diese Zahl auf einem gleichbleibenden Niveau.

Kriminologe: Zeichen, das ernst zu nehmen ist

Fest steht: Insgesamt liegt das Kriminalitätsniveau für Kinder und Jugendliche weiterhin unterhalb desjenigen Anfang der 2000er Jahre. Dennoch warnt der Kriminologe Dirk Baier:
Wir müssen lange in die Vergangenheit zurückblicken, um so einen Anstieg zu sehen wie jetzt gerade von 2021 auf 2022 im Bereich Jugendgewalt. Von daher ist das ein Zeichen, das ernst zu nehmen ist.
Dirk Baier, Kriminologe
Mit dem Ende der Corona-Pandemie sei die Entwicklung nicht zu erklären, analysiert Baier. Die Anstiege hätten sich bereits vor deren Ausbruch abgezeichnet.

Nach den Massenschlägereien in Castrop-Rauxel und Essen befasste sich der Düsseldorfer Landtag mit dem Problem.

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Baier sieht darin ein gesamtgesellschaftliches Phänomen: "Es wird sozial rauer. Wir sind wieder eher bereit, uns aggressiv selber durchzusetzen, nach uns zu schauen. Und das kommt auch bei den Jugendlichen an."

Warum Jugendliche zuschlagen

Die Einstellung zu Gewalt ist ein wichtiger Faktor in einem komplexen Zusammenspiel unterschiedlicher Bedingungen, das dazu führt, dass Jugendliche kriminell oder gewalttätig werden.
Bedeutenden Einfluss hat auch das Umfeld: Kinder, die in der Familie gewaltvoll erzogen werden, neigen eher dazu, straffällig zu werden. Jugendliche mit kriminellen Freunden werden häufiger auch selbst kriminell.
Auch ein Zusammenhang zwischen häufigem Schuleschwänzen sowie zwischen Alkohol- und Drogenkonsum und Kriminalität ist belegt. Außerdem erhöhen geringe Bildungschancen und schlechte Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt das Kriminalitätsrisiko. 

Gegensteuern hilft

Jugendkriminalität und Jugendgewalt trete in Wellen auf, erklärt Kriminologe Dirk Baier. In der Vergangenheit habe man festgestellt, dass frühzeitiges Gegensteuern durch Präventionsmaßnahmen wirke. "Wir kriegen solche Phänomene ansteigender Jugendgewalt nicht mit dem Ruf nach härteren Strafen in den Griff", gibt Baier zu bedenken.
Da helfe nur die Auseinandersetzung: Täter und Opfer zusammenbringen, Mediation. Auch wenn das auf den ersten Blick "weich" wirke, sei dieses Vorgehen laut Baier aus wissenschaftlicher Sicht viel hilfreicher.
Ein Appell, der sich vor allem an die Politik richtet. Denn der allzu einfache Ruf nach mehr Härte reicht nicht, um Jugendgewalt entgegenzuwirken.

Sie sind jung, männlich und kriminell - die 280 Gefangenen der Jugendstrafanstalt Arnstadt in Thüringen, Deutschlands modernstem Jugendknast. ZDFinfo zeigt ihr Leben hinter Gittern.

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