: Pflege: Bald die nächste Beitragserhöhung?

von K. Hofmann und B. Spiekermann
31.05.2024 | 08:46 Uhr
In der Pflegeversicherung ist zu wenig Geld. Das wissen alle, doch so schnell wird sich daran nichts ändern. Eine Arbeitsgruppe der Koalition endet heute. Resultat: keins.
Die gesetzlichen Krankenkassen fordern einen grundlegenden Umbau der Pflegeversicherung. Oder eine Finanzsspritze.Quelle: dpa
Am Freitag endet der Mai, und damit auch die Hoffnung, dass die Ampel-Koalition die Pflegeversicherung reformiert. Am Freitag legt zwar eine Expertengruppe verschiedener Ministerien ihren Bericht vor. Allerdings ohne gemeinsamen Lösungsvorschlag, ohne Zeitplan. Die Gruppe kommt noch nicht einmal zu einem Treffen zusammen.
Dabei geht es um eines der größten Probleme in der Sozialpolitik: die immer größer werdenden Finanzprobleme in der Pflegeversicherung. Und die Frage, ob die nur mit ständig steigenden Beiträgen für die Versicherten zu lösen sind.

Finanzministerium blockiert Koalitionsvertrag

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte diese Woche eingeräumt, dass eine grundsätzliche Reform in dieser Legislaturperiode vermutlich nicht mehr zu erreichen sei. "Dafür sind die Ansichten der verschiedenen Ministerien beziehungsweise der Koalitionspartner zu unterschiedlich", hatte der Minister dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gesagt. "Aber es gibt eine sehr gute Problemanalyse", sagte Lauterbach mit Verweis auf die interministerielle Arbeitsgruppe.
Damit ist auch eine Finanzspritze vom Tisch, auf die man sich im Koalitionsvertrag geeinigt hatte. Darin hatten sich alle drei Parteien darauf verständigt, dass "versicherungsfremde Leistungen wie die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige und die pandemiebedingten Zusatzkosten aus Steuermitteln finanziert werden". Bis zu zehn Milliarden Euro hätten damit kurzfristig in die Pflegeversicherung gepumpt werden können, um steigende Beiträge zu vermeiden.

Wie das Gesundheitsministerium mitteilt, ist die Zahl der pflegebedürftigen Personen stark angestiegen ist. Das facht auch die Diskussion um eine Pflegereform weiter an.

27.05.2024 | 01:45 min
Doch von dieser Vereinbarung will man im Bundesfinanzministerium derzeit nichts wissen. Die Maßnahmen würden langfristig die Schwierigkeiten der Pflegekassen nicht lösen. Das Problem sei viel mehr, dass immer weniger Beitragszahlende für immer mehr Pflegebedürftige auskommen müssten, heißt es aus Ministeriumskreisen. Viel wichtiger sei eine generationengerechte Finanzierung und eine Stärkung kapitalgedeckter Instrumente. Also ähnlich wie bei der gerade verabschiedeten Rentenreform.
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Pflegekassen: Finanzspritze bis zur Reform

Die Pflegekassen sehen das etwas anders. Kurzfristig sei den Kassen sehr wohl zu helfen. Zum einen geht es um rund 5,5 Milliarden Euro, die ihnen ihrer Auffassung nach vom Bund noch zustehen: Denn das sind Mehrkosten durch die Corona-Pandemie, die nie ausgeglichen wurden. "Der Staat hat seine Zusagen nicht eingehalten", sagt Florian Lanz, Sprecher des Gesamtverbandes der Interessenvertretung gesetzlicher Kranken- und Pflegekasse.

"Ich sehe das nicht so dramatisch, wie das jetzt rübergebracht wird", so Sozialwissenschaftler Prof. Stefan Sell zum Anstieg der Pflegefälle. Es brauche aber "mehr Geld im System".

27.05.2024 | 06:13 min
Hinzu kommen die Rentenbeiträge für die pflegende Angehörigen, die laut Lanz keine Aufgabe der Pflegeversicherung, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe seien. Die Finanzen müssten "fair aufgeteilt werden". Der Staat müsse seiner Verpflichtung nachkommen, so Lanz:
Das Problem ist: Alle sagen zu Recht, dass etwas passieren muss. Wir brauchen eine grundlegende Reform. Mit den Geldern könnten wir eine finanzielle Brücke bis zu dieser Reform bauen.
Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbandes

Anstieg der Zahlen längst bekannt?

Was am Ende der Ampel-Reformbemühungen bleibt, ist also Lauterbachs "sehr gute Problemanalyse". Obwohl laut Bundesgesundheitsministerium die Arbeitsgruppe seit Juni 2023 "schon mehrfach getagt" hatte. An ihr waren auch die von den Grünen geführten Familien- und Wirtschaftsministerien sowie das SPD-Arbeitsministerium beteiligt. Doch auch über die Problemanalyse gibt es offensichtlich unterschiedliche Auffassungen.

Gesundheitsminister Lauterbach schlägt Alarm: Es gebe einen "explosionsartigen" Anstieg von Pflegebedürftigen. Patricia Wiedemeyer berichtet aus dem Hauptstadtstudio.

27.05.2024 | 01:02 min
Denn schon die Ausgangslage ist wackelig: Lauterbach hatte diese Woche von "explosionsartigen" gestiegenen Pflegezahlen gesprochen. Statt der erwarteten 50.000 pro Jahr seien es nun 361.000 Pflegebedürftige zusätzlich. "Die Zahlen sind uns zumindest sehr neu", hatte er dem ZDF gesagt.
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Allerdings rechnen die Pflegekassen schon seit 2017 mit jährlich 326.000 Menschen mehr, die erstmals Leistungen aus den Pflegekassen beantragen. Offen sei allein, woher die 35.000 zusätzlichen Pflegebedürftigen kommen. Eine Erklärung könnte sein, dass während der Corona-Pandemie die Medizinischen Dienste weniger Menschen begutachten konnten.

Jedes Jahr plus eine Stadt wie Münster

Jedes Jahr kommt also eine zusätzliche Zahl an Pflegebedürftigen dazu, die einer Stadt wie Münster entspricht. Und auf der anderen Seite kostet es nach Angaben der Pflegekassen 1,7 Milliarden Euro, sollen die Beiträge zur Pflegeversicherung um 0,1 Beitragspunkte sinken.
Eine Diskussion, die für die Ampel tatsächlich gerade zur Unzeit kommt: Anfang Juli soll der neue Haushalt beschlossen werden. Über die Vorstellungen, wie ein zweistelliger Milliardenbetrag eingespart werden soll, ringen die drei Parteien ohnehin schon kräftig und lautstark.
Einziger Ausweg also Beitragssteigerung? Mehr als die derzeit 3,4 Prozent oder 4 Prozent bei Kinderlosen vom Bruttoeinkommen? Es sieht ganz danach aus. Für die nächste Regierung wäre das dann schon einmal abgeräumt.

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