: Jugendliche fühlen sich von Politik ignoriert

von Susanne Seidl
02.07.2024 | 19:14 Uhr
Laut einer Studie fühlt sich die Mehrheit der Jugendlichen von der Politik übergangen. Mehr als die Hälfte kritisiert mangelndes Engagement der Politiker, Probleme lösen zu wollen.
Mehr als drei Viertel der Jugendlichen in Deutschland fühlen sich einer Umfrage zufolge von der Politik übergangen. (Symbolbild)Quelle: dpa
78 Prozent der Jugendlichen sind laut einer Studie davon überzeugt, dass sich die Politiker in Deutschland nicht viel darum kümmern, was Jugendliche denken. 57 Prozent glaubt sogar, dass sich die gewählten Volksvertreter nicht ernsthaft darum bemühen, dringende gesellschaftliche Probleme zu lösen.
Insgesamt 1.230 Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis zwölf Jahre wurden im Rahmen einer Studie der Universität Bielefeld im Auftrag der Bepanthen-Kinderförderung befragt, wie gerecht es in Deutschland zugeht.

Die Studie hat herausgefunden, dass sich mehr als drei Viertel der Jugendlichen von der Politik übergangen fühlen. Befragt wurden Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 16 Jahren.

02.07.2024 | 01:48 min

Soziales Milieu beeinflusst Wahrnehmung von Gerechtigkeit

37 Prozent der Befragten aus Haushalten mit eher niedrigen Bildungsstand und Einkommen empfinden Ungerechtigkeiten als normal in ihrem Leben. Kinder und Jugendliche mit einem höheren sozioökonomischen Status fühlen sich deutlich weniger ungerecht behandelt (18 Prozent).
Wenn man fragt, wie es um die Realisierung von Gerechtigkeitsansprüchen in Deutschland steht und wie Gesellschaft und Politik Probleme bearbeiten, die fast alle jungen Menschen ja selbst für wichtig halten, dann findet sich im unterem Drittel ein hoch pessimistisches Bild, während das obere Drittel relativ zufrieden ist.
Professor Holger Ziegler, Studienleiter

Eine Studie kommt zu dem Ergebnis: Junge Erwachsene sind immer unzufriedener - vor allem wegen den politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Ihre beliebteste Partei: die AfD.

23.04.2024 | 01:36 min
Laut Studienleiter Holger Ziegler von der Universität Bielefeld beeinflussen die elterlichen Erfahrungen und Wahrnehmungen die Einschätzungen der Kinder. Oder die der Großeltern: Wenn die Kinder sähen, wie die eigene Oma mit der niedrigen Rente hadert, würde das als enorm ungerecht empfunden.
Er warnt vor einer Kränkung des Gerechtigkeitssinns der Kinder und deren Folgen.
Das ist auch mit dem Gefühl verbunden, dass andere auf einen herabsehen. Wenn viele Aspekte, angefangen von der Schule über die Politik bis hin zu den gesellschaftlichen Verhältnissen als unfair und ungerecht wahrgenommen werden ist es wenig verwunderlich, dass auch das Vertrauen in die Institutionen gering ist.
Professor Holger Ziegler, Studienleiter
"Ich denke, davon spiegelt sich auch viel in den jüngsten Wahlergebnissen", führt Studienleiter Ziegler weiter aus. "Auch wenn man die jungen Menschen, die gar nicht erst gewählt haben, nicht mitrechnet, haben zusammengenommen gerade einmal 50 Prozent der 16- bis 24-Jjährigen Parteien gewählt, die das etablierte demokratische Spektrum in deutschen Parlamenten abbilden."
Grafik: Jugendliche fühlen sich machtlos und unbeachtetQuelle: ZDF/Colourbox

Kinder sorgen sich um Mitmenschen

Die Studienergebnisse widerlegen das Vorurteil, die junge Generation interessiere sich nur für sich. Besonders die RentnerInnen liegen ihnen am Herzen. Auch für Arme, für die Bildung und die Chancengleichheit bei Kindern und für Menschen, die sich anstrengen, müsse mehr getan werden.
Bernd Siggelkow vom Kinderhilfswerk "Die Arche" beobachtet, dass sich die Kinder in den Arche-Einrichtungen in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren immer ungerechter behandelt fühlen.
Wir erleben durch dieses Ungerechtigkeitsempfinden eine erhöhte Gewaltbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen. Das sagt übrigens auch die Gewaltkriminalstatistik - dass Kinder und Jugendliche, die merken, dass sie wenig Perspektiven haben, schneller wütend werden, schneller aggressiv werden, schneller zuschlagen.
Bernd Siggelkow, Vorsitzender der Kinderstiftung "Die Arche"

Laut Lehrergewerkschaft GEW haben 95 Prozent der Lehrer an Förderschulen in den letzten Jahren Gewalt erlebt. Ein Sozialarbeiter und ein Kriminalpolizist analysieren die Ursache.

08.02.2024 | 04:52 min

"Arche"-Leiter fordert mehr Förderung in Schulen

Es bräuchte neben einer ausreichend finanzierten Kindergrundsicherung ein Umdenken im Bildungssystem. Hier müssten viel mehr Lehrkräfte eingesetzt werden, um sich gezielter um jedes Kind kümmern zu können.
"Wir haben Kinder in den Einrichtungen, die wissen in der fünften Klasse schon, dass, wenn sie erwachsen sind, sie mal Bürgergeld beziehen werden", sagt Siggelkow weiter. "Sie wissen, dass ihre Welt und ihre Chancen sehr ungerecht sind."
Die Hoffnungslosigkeit, die durch das Ungerechtigkeitsempfinden um sich greift, ist eine Gefahr für unsere Gesellschaft, eine Gefahr für uns selber.
Bernd Siggelkow, Vorsitzender der Kinderstiftung "Die Arche"

Studie im Auftrag der Betpanthen-Stiftung

Für die Sozialstudie wurden 1.230 Kinder und Jugendliche befragt. Die Betpanthen-Stiftung beauftragt die Universität Bielefeld alle zwei Jahre mit einer solchen Studie, "um aktuelle Problemfelder in der Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen zu identifizieren". Die Erkenntnisse fließen in die Kinderförderung des Kinderhilfswerks Die Arche ein.

Quelle: AFP

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