: Drohnenvorfall: Das sagen Experten

04.05.2023 | 14:57 Uhr
War es die Ukraine? Oder doch die Russen selbst? Wer ist für den Drohnenangriff auf den Kreml verantwortlich? So schätzen Experten den Vorgang ein:
Ein CCTV-Bild zeigt Flammen und Rauch über der Kuppel des Senatsgebäudes des Kreml Quelle: Imago
In der Nacht zu Mittwoch sollen zwei Drohnen zum Absturz gebracht worden sein, die auf das Kreml-Gelände zugeflogen seien. Das hatte das russische Präsidialamt mitgeteilt.
Russland warf der Ukraine daraufhin einen versuchten Anschlag auf Kremlchef Wladimir Putin vor und drohte mit Gegenmaßnahmen. Die Ukraine wies jede Beteiligung an dem Vorfall zurück.

Laut Moskau wurden zwei ukrainische Drohnen über dem Kreml abgeschossen - Ein Anschlag auf Präsident Putin sei geplant gewesen. Kiew dementiert. Was ist über den Vorfall bekannt?

04.05.2023 | 02:23 min
Nach Einschätzung internationaler Militärexperten hat Russland die beiden angeblich ukrainischen Drohnenangriffe auf den Kreml wahrscheinlich selbst inszeniert.
Damit sollten der russischen Öffentlichkeit der Krieg in der Ukraine näher gebracht und die Voraussetzungen für eine breitere gesellschaftliche Mobilisierung geschaffen werden, schrieb das in Washington ansässige Institut für Kriegsstudien (ISW) in seinem Bericht am Mittwoch.

Das sagen Militärexpertinnen und -experten

Dass Putin das Ziel des Kreml-Drohnenangriffs war, schließt die Russland-Expertin Gesine Dornblüth aus. Alles Weitere sei weiterhin unklar, möglich sei etwa eine "symbolische Wirkung".

04.05.2023 | 04:46 min
Gesine Dornblüth, Russland-Expertin:
Die Russland-Expertin Gesine Dornblüth erklärt, welches Argument für welche Seite spricht.
Welche Motivation die Ukraine hätte:
Das wäre vor allen Dingen ein Signal, und zwar für Russlands Verwundbarkeit.
Gesine Dornblüth
Der russischen Propaganda, es sei ein Anschlag auf Putin gewesen, widerspricht sie: "Man weiß, dass Putin da überhaupt nicht übernachtet." Ein Angriff könnte die Aufmerksamkeit der russischen Geheimdienste ablenken von den Orten der zu erwartenden Gegenoffensive.
Es sei aber gewissermaßen auch "ein Imageschaden der Ukraine gegenüber den westlichen Partnern, von denen viele skeptisch sind, ob solche Angriffe auf den Kreml (...) zulässig wären".
Welche Motivation Russland hätte:
Dornblüth sieht zwei Gründe: "Das Eine wäre, die Reihen zu schließen und die Bevölkerung zu motivieren, sich doch freiwillig zu melden, um Russland zu 'verteidigen'." Das sei die aktuelle Erzählung und da "muss auch mal angegriffen werden", damit die Menschen weiter folgen.
Der zweite Punkt ist, dass wir zurzeit beobachten, dass Russland die zu erwartende Gegenoffensive der Ukraine größer macht, als es ist.
Gesine Dornblüth
Da gebe es sogar Vorgaben der Staatsmedien, so die Expertin. Mit dieser Darstellung wäre eine russische Niederlage leichter zu verkraften.
Carlo Masala, Militärexperte:
Laut Militärexperte Carlo Masala ist es schwer einzuschätzen, welche Seite verantwortlich ist, "weil sozusagen alle Optionen Sinn und keinen Sinn machen".
Also eine False-Flag-Attack seitens der russischen Regierung selber zeigt eigentlich nur, wie schwach die russische Regierung ist, dass sie jetzt diese Bilder eines brennenden Senats in Moskau braucht, um ihren Krieg zu rechtfertigen.
Carlo Masala
Wenn es hingegen Ukrainer waren oder Anti-Kreml-Gruppen in Russland, so Masala, dann zeigt das "ein massives Versagen des russischen Militärs und des russischen Geheimdienstes".
Es sei auffällig, dass die Bilder des Angriffs erst nach zwölf Stunden gezeigt werden, und, dass es "mittlerweile Videos gibt, die aus zwölf verschiedenen Kamerapositionen diese Attacke zeigen". Da passe ganz viel einfach nicht zusammen und deute sehr viel einfach darauf hin, dass hier auch ein massives Versagen der russischen Politik vorherrsche:
Egal, wer es war: Ob es sozusagen Ukrainer waren, antirussische Gruppen oder, ob es der Kreml selbst war.
Carlo Masala
Nico Lange, Militärexperte:
Auch Nico Lange findet es "bemerkenswert, dass Russland zwölf Stunden lang diesen Angriff offenbar geheim gehalten hat" - und dann mit einer Veröffentlichung der Videos und mit "einer sofortigen Zuordnung zur Ukraine reagiert hat".
Die Spekulationen, es habe sich bei den Drohnenangriffen um eine sogenannte False-Flag-Operation gehandelt, um der Ukraine fälschlicherweise die Schuld zu geben, hält er jedoch für unwahrscheinlich.
Die Bilder, die um die Welt gehen heute, die global gesendet werden, sind Bilder, die extrem peinlich sind für Wladimir Putin - der drei Tage benötigen wollte, um Kiew zu erobern, und jetzt Drohnen auf das Dach seiner eigenen Residenz im Kreml geschossen bekommt.
Nico Lange

Christian Mölling, Sicherheits- und Verteidgungsexperte:

Christian Mölling hält es hingegen durchaus für möglich, dass die russische Regierung selbst etwas mit dem Vorfall zu tun hat: "Die ukrainische Regierung hat ja diese Tat von sich gewiesen". Möglicherweise sei man in Russland schon dabei, die Leute auf den 9. Mai, also den Feiertag zum Sieg über Nazi-Deutschland, einzustimmen:
Dass man da versuchen will, die Leute nochmal zusammen zu schwören - und einzuschwören auf die nächste Stufe der Eskalation, die aber vor allen Dingen bedeuten wird, dass Russland unter Druck kommen wird.
Christian Mölling, Sicherheits- und Verteidgungsexperte

Das sagen die ZDF-Korrespondenten vor Ort:

"Es würde nur einen Vorwand liefern, mit dem Russland die Angriffe […] auf zivile Ziele rechtfertigen könnte", so ZDF-Reporter Dara Hassanzadeh aus Odessa.     

04.05.2023 | 03:23 min
Dara Hassanzadeh aus Odessa, Ukraine:
ZDF-Korrespondent Dara Hassanzadeh verweist auf den ukrainischen Präsidentenberater: Laut Mychajlo Podoljak macht der Drohnenangriff auf den Kreml für die Ukraine "überhaupt keinen Sinn".
Im Gegenteil: Es würde nur einen Vorwand liefern, mit dem Russland die Angriffe […] auf zivile Ziele rechtfertigen könnte.
Dara Hassanzadeh

Nach dem Drohnenabschuss über dem Kreml habe Moskau zwar "Kiew beschuldigt […], aber keine Beweise vorgelegt". Darüber, was tatsächlich geschehen ist, gäbe es "verschiedene Theorien“, so ZDF-Korrespondentin Phoebe Gaa.

04.05.2023 | 02:11 min
Phoebe Gaa aus Moskau, Russland:
ZDF-Korrespondentin Phoebe Gaa berichtet, dass Russland nach dem Drohnenabschuss über dem Kreml zwar "Kiew beschuldigt […], aber keine Beweise vorgelegt" habe. Außerdem gebe es ein Drohnenflugverbot rund um den Kreml, daraus stellt sich die Frage: "Wieso wurden diese Drohnen erst so kurz, tatsächlich über der Kuppel des Senatspalastes, unschädlich gemacht?"
Es gab in den letzten Wochen immer wieder Meldungen von Drohnen, die über russischem Territorium niedergegangen sind (...). Die Behörden hätten also allen Grund gehabt, besonders wachsam zu sein.
Phoebe Gaa
Gaa verweist auch auf die anstehenden Feierlichkeiten am 9. Mai. Viele Veranstaltungen seien bereits abgesagt, die in Moskau zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht.
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Quelle: Mit Material von dpa.

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