: Dringend gesucht: Munition für die Ukraine

von Florian Neuhann, Stockholm
07.03.2023 | 09:59 Uhr
Wenn sich die Verteidigungsminister der EU nun in Stockholm treffen, steht ein Thema ganz oben auf der Tagesordnung: Wie kann die EU gemeinsam Munition einkaufen?
Patronen des Kalibers 5,56 mm, wie sie auch im Sturmgewehr G36 der Bundeswehr verwendet werden. (Symbolbild)Quelle: dpa
Es sind drei Zahlen, die ganz Europa aufschrecken sollen. Sie stehen in einem Papier, das das estnische Verteidigungsministerium dieser Tage EU-intern verbreitet - "Food for Thought", ein "Denkanstoß", "nur für den offiziellen Gebrauch", so ist das Papier betitelt.
Und hört man sich unter EU-Delegationen in Brüssel um, hat der Anstoß seine Wirkung offenbar erreicht.
  • Russland verbraucht dem Papier zufolge zwischen 20.000 und 60.000 Artillerie-Geschosse pro Tag.
  • Die Ukraine hingegen verschießt nur ein Zehntel dessen: zwischen 2.000 und 7.000 Geschosse pro Tag.
  • Und die europäische Rüstungsindustrie? Sie kann derzeit gerade mal so viel produzieren, wie Russland an einem Tag verschieße: 20.000 bis 25.000 Geschosse - das allerdings pro Monat.

Leopard-Panzer und Co. ohne Munition nutzlos

Im ersten Jahr des Kriegs hat die westliche Öffentlichkeit ausführlich über neue und immer schwerere Waffen diskutiert. Warnungen schon aus dem letzten Herbst, der Ukraine gehe die Munition aus, dagegen wurden geflissentlich überhört.
ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf über den Munitionsmangel:

Die Nato drückt aufs Tempo bei der Lieferung von Waffen und Munition an die Ukraine. "Viele der westlichen Waffen wurden nicht mit ausreichend Munition geliefert", so ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf.

14.02.2023 | 02:29 min
"Munition ist kein so greifbares Thema wie die Frage immer neuer Waffensysteme", sagt Christian Mölling, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, im Interview mit ZDFheute. Jetzt, so Mölling, lerne der Westen gerade:
Krieg heißt vor allem die kontinuierliche Versorgung von Streitkräften: mit Treibstoff, Ersatzteilen, mit Munition.
Christian Mölling, Militärexperte
Eine Haubitze oder ein Leopard-Panzer nützt der Ukraine herzlich wenig - ohne die entsprechenden Geschosse.

EU-Verteidigungsminister beraten

Und so steht die Frage der Munition am Mittwoch allein oben auf der Tagesordnung, wenn sich die Verteidigungsminister der EU zu einer informellen Sitzung in Stockholm treffen. Längst hat auch die EU-Kommission die Vorschläge Estlands aufgegriffen.
In einem internen Papier für die Sitzung, das ZDFheute vorliegt, schlägt der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell einen Drei-Punkte-Plan vor, wie die Europäer den Munitionsmangel beheben wollen:
  1. Die sofortige Lieferung von 155 Millimeter-Großkaliber-Munition an die Ukraine: Dafür soll, so der Borrell-Vorschlag, eine Milliarde Euro aus EU-Mitteln bereitgestellt werden.
  2. Der gemeinsame Einkauf von Munition durch die Europäische Verteidigungsagentur EDA: Damit sollen sowohl die Lücken in den Lagern der Mitgliedstaaten gefüllt - als auch die langfristige Unterstützung für die Ukraine gesichert werden.
  3. Schließlich sollen die europäischen Kapazitäten zur Munitionsherstellung langfristig gesteigert werden.
Es ist ein Plan, mit dem die EU über Jahre angestaute Versäumnisse beheben will. Laut Vorgabe der Nato sollten Mitgliedstaaten Reserven für mindestens 30 Tage haben. Doch fast alle europäischen Staaten sind weit von dieser Vorgabe entfernt. Dazu sagt Christian Mölling:
Nicht nur Deutschland, sondern die meisten anderen Staaten haben schlicht geglaubt, dass ein großer Krieg nur eine theoretische Größe ist.
Christian Mölling, Forschungsdirektor Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

Vorbild: der Einkauf von Corona-Impfstoffen durch die EU

Jetzt soll ein Modell her, das die EU schon einmal nutzte: ein gemeinsamer Einkauf einer stark nachgefragten Ware - wie zuletzt bei den Corona-Impfstoffen. Die EU-Institutionen könnten zentral mit Rüstungskonzernen verhandeln und so etwa einen geringeren Preis erzielen.
Dass der Impfstoff-Einkauf durch die EU dabei nicht überall als großer Erfolg in Sachen Geschwindigkeit gilt, ficht die Befürworter des Plans nicht an. Diesmal, so heißt es, gehe es ja um ein Gut, das längst entwickelt sei - und nur noch produziert werden müsse.
Das aber möglichst schnell. "Es ist das mit Abstand drängendste Thema", hatte der EU-Außenbeauftragte Borrell erst kürzlich in Brüssel gesagt - und eine deutliche Warnung hinzugefügt:
Wenn wir in dieser Frage versagen, ist das Ergebnis dieses Krieges in Gefahr.
Josep Borrell, EU-Außenbeauftragter
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