Exklusiv

: Hunderttausende für Putin-Experten Seipel

von Hans Koberstein, Frederik Obermaier, Bastian Obermayer und Timo Schober
14.11.2023 | 16:00 Uhr
Russland-Experte Seipel hat 600.000 Euro von einem Putin-nahen Oligarchen erhalten. Das zeigen ZDF-Recherchen. Seine Unparteilichkeit sieht der Journalist nicht beeinträchtigt.

Interne Dokumente mehrerer zyprischer Finanzdienstleister legen offen, wie sanktionierte russische Oligarchen Zypern als eine Art Hintertür zur Europäischen Union genutzt haben.

14.11.2023 | 40:51 min
"Deed of Sponsorship", auf Deutsch "Sponsorenvertrag", steht schlicht auf dem Papier von März 2018, das dem bekannten deutschen Fernsehjournalisten und Buchautoren Hubert Seipel die erstaunliche Summe von 600.000 Euro einbringen soll. Seipel, so heißt es in jenem Vertrag, schreibe "ein Buch über die politische Landschaft in der Russischen Föderation". Und der großzügige Sponsor, eine karibische Briefkastenfirma namens "De Vere Worldwide ​Corporation​", möchte mit der Summe "die Entwicklung des Projekts unterstützen".
Hinter der obskuren Briefkastenfirma verbirgt sich letztendlich der russische Oligarch Alexej Mordaschow, langjähriger TUI-Großaktionär, wohl zwanzig Milliarden US-Dollar schwer und so nah am russischen Präsidenten Wladimir Putin, dass Mordaschow seit Februar 2022 von den USA und der Europäischen Union sanktioniert​ ​wird.

Sendehinweis frontal

Quelle: ZDF
Sehen Sie mehr zu dem Thema bei frontal. Am 14. November um 21 Uhr im ZDF und in der ZDF-Mediathek.
Das derart "geförderte" Buch wiederum erschien tatsächlich im Jahr 2021, unter dem Titel: "Putins Macht. Warum Europa Russland braucht". ​Bei seinem Hamburger Verlag​ "Hoffmann und Campe" wusste allerdings niemand davon, dass Seipel von einem Putin-Vertrauten mit Hunderttausenden Euro bedacht wurde. Das erklärt "Hoffmann und Campe" jedenfalls gegenüber ZDF und "Spiegel". Ein handgeschriebener Vermerk in den ​geleakten ​Dokumenten weist zudem darauf hin, dass Seipel bereits 2013 einen ähnlichen Vertrag für sein erstes Buch über Präsident Putin unterschrieben hatte - was dieser auch nicht bestreitet.
Auszüge aus dem Sponsorenvertrag zwischen Hubert Seipel und der Briefkastenfirma "De Vere Worldwide Corporation".Quelle: ZDF

Seipel zeigte Putin als einen Kümmerer

​​​Seipel​, der vor gut fünfzehn Jahren auch für das ZDF tätig war,​ hat das Bild von​ Wladimir Putin in Deutschland über Jahre geprägt, maßgeblich mit der ARD-Dokumentation "Ich, Putin" von 2012. Der deutsche Journalist zeigt Putin als einen, der sich unermüdlich um sein großes Land kümmert. Millionen Deutsche sehen den russischen Präsidenten mit den Augen von Seipel. Betreut wurde die Dokumentation im "Norddeutschen Rundfunk"​ (NDR)​. Der Sender sagt, er habe bis heute nichts gewusst von einem Sponsorenvertrag und verspricht Aufklärung.  
Seipel ist damit der erste bekannt gewordene Fall eines einflussreichen westlichen Journalisten, der mit großzügigen und vor allem heimlichen Geldflüssen aus Russlands Elite um Präsident Putin bedacht wurde.

Russlands Präsident ist kein einsamer Alleinherrscher. Er stützt sich auf einen Kreis von Männern, die mindestes so reich wie mysteriös sind: die Oligarchen.

21.02.2023 | 42:43 min
Sind die Zahlungen der Versuch einer Einflussnahme?​ Der Vorgang stellt Seipels Werk der vergangenen gut 15 Jahre, in denen er sich auf Russland fokussiert hat, und seine journalistische Glaubwürdigkeit enorm in Frage. In dieser Zeit gewann Seipel unter anderem den Deutschen Fernsehpreis für sein Interview mit dem US-Whistleblower Edward Snowden, das er in Moskau führte. Experten hatten in der Vergangenheit wiederholt auf Seipels unkritische Haltung gegenüber der russischen Regierung hingewiesen. 
Lesen Sie hier, was das Recherche-Projekt "Cyprus Confidential" neben dem Fall Seipel recherchiert hat:

Seipel gesteht Zahlung - beharrt aber auf Unparteilichkeit

Die Recherche zu Seipels Sponsorenvertrag ist Teil des "Cyprus Confidential"-Projekts, in dessen Rahmen in den vergangenen Monaten mehr als 270 Journalistinnen und Journalisten von 69 Medienhäusern geleakte Daten aus Zypern ausgewertet haben - unter Leitung des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) und von der Investigativredaktion paper trail media. Unter den Medienpartnern sind neben dem ZDF auch "Spiegel", "Standard", "ORF", das Schweizer Medienhaus "Tamedia" sowie "Washington Post", "Guardian" und "Le Monde".
In einer ausführlichen Stellungnahme gesteht Seipel ein, dass der Oligarch Alexej Mordaschow seine "Buchprojekte" unterstützt habe. Er bestreitet aber vehement, dass dadurch seine Unparteilichkeit beeinträchtigt worden sei. Er verweist auf einen Passus in jenem nun geleakten Vertrag, wonach er dem Sponsor gegenüber "keine Verpflichtung" habe, was das Projekt angehe, also "den Inhalt und die Komposition des Buches".

Seipel hatte noch 2021 bestritten, aus Russland Geld erhalten zu haben

Mordaschow ließ eine ZDF-Anfrage zu dem Sachverhalt unbeantwortet​, ebenso der russische Präsident Putin​. Allerdings erklärt Seipel nicht, weshalb er seine Bezahlung nicht offengelegt hat. Selbst auf Nachfrage hatte er 2021 in einem "SWR"-Interview vehement bestritten, aus Russland jemals Geld bekommen zu haben. 
Der "NDR" sowie "Hoffmann und Campe" haben mittlerweile auf ZDF-Anfrage erklärt, die Vorgänge intern prüfen zu lassen, auch im Hinblick auf rechtliche Schritte. Der "NDR" erklärt zudem, dass Seipel "über eine etwaige Interessenkollision, wie zum Beispiel eine Bezahlung", hätte informieren müssen. Bei einer "Zahlung zur Beeinflussung eines Autoren", so der "NDR", sähe der Sender "sich und sein Publikum getäuscht". 
Der NDR hat mittlerweile eine Untersuchung zum Fall Seipel angekündigt:

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