: Kopftuch: Irans Führung greift härter durch

11.05.2023 | 11:23 Uhr
Immer mehr Frauen im Iran gehen ohne Kopftuch aus dem Haus. Der Verzicht auf die vorgeschriebene Kopfbedeckung ist zum Widerstandssymbol geworden. Die Behörden erhöhen den Druck.
Iran überwacht Kopftuchpflicht nun mit Videokameras. (Archivfoto)Quelle: dpa
Riesige Plakate in Teheran verkünden es groß: Frauen sollten zu Ehren ihrer Mütter Kopftuch tragen. Doch vielleicht zum ersten Mal seit der Islamischen Revolution 1979 entscheiden sich immer mehr Frauen dagegen. Das stellt eine neue Herausforderung für die religiösen Führer des Landes dar. Der offene Widerstand der Frauen legt Spaltungen im Iran offen, die jahrzehntelang verborgen geblieben waren.
Die Behörden drohten mit juristischen Schritten, Polizei und Freiwillige ermahnten Frauen in U-Bahnen, Flughäfen und anderen öffentlichen Orten. In Textnachrichten wurden Fahrer davor gewarnt, Frauen ohne Kopftuch in ihren Fahrzeugen zu befördern. Und die Behörden schlossen zeitweise über 2.000 Geschäfte, die Frauen ohne Hidschab bedient hatten.
[Der offene Widerstand der Frauen entwickelte sich mit monatelangen Protesten nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die von der Sittenpolizei festgenommen worden war, weil sie ihren Hidschab angeblich zu locker trug.]

Iranische Frauen wehren sich

Einige Frauen verkündeten jetzt, sie hätten genug: Ungeachtet der Konsequenzen wollten sie für mehr Freiheit im Iran und eine bessere Zukunft für ihre Töchter kämpfen. "Wollen sie alle Läden schließen?", fragt die 23-jährige Teheraner Studentin Scherwin, die ihr Haar nicht bedeckt. "Wenn ich zu einer Polizeistation gehe, werden sie die auch schließen?"

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Trotzdem: Aus Furcht vor Repressalien nannten die befragten Frauen nur ihre Vornamen. Die 29-jährige Vida betonte, ihr und ihren Freundinnen gehe es nicht nur um das Kopftuch:
Es ist eine Botschaft an die Regierung: Lasst uns in Ruhe!
Vida
Bevor die Proteste ausbrachen, waren nur selten Frauen ohne Kopftuch zu sehen, auch wenn einige ihren Hidschab gelegentlich auf die Schultern fallen ließen. Heute sind in einigen Gegenden Teherans Frauen ohne Kopftuch alltäglich.
Für gläubige Musliminnen ist das Kopftuch eigentlich ein Zeichen der Frömmigkeit, im Iran sind der Hidschab und der alles verhüllende schwarze Tschador seit langem auch ein politisches Symbol.
Kopftuch im Iran: Vom Hidschab-Verbot zur Hidschab-Pflicht:

Hidschab-Verbot Ende der 1930er-Jahre

Der iranische Schah Reza Pahlavi verbot den Hidschab 1936 als Teil seiner Bemühungen, sich dem Westen anzunähern. Fünf Jahre später wurde das Verbot aufgehoben, als sein Sohn, Schah Mohammad Reza Pahlavi, die Macht übernahm. Dennoch entschieden sich viele Frauen der iranischen Mittel- und Oberschicht gegen den Hidschab.

Hidschab seit 1983 Pflicht im Iran

Zur Zeit der Islamischen Revolution 1979 trugen einige der Frauen, die zum Sturz des Schahs beigetragen hatten, den Tschador, ein Gewand, das den Körper von Kopf bis Fuß verhüllt und nur das Gesicht freilässt. Bilder von bewaffneten, in schwarze Gewänder gehüllten Frauen, wurden ein vertrauter Anblick während der Besetzung der US-Botschaft und der Geiselnahme von Amerikanern dort 1979.

Andere Frauen protestierten jedoch gegen eine Anordnung von Großajatollah Ruhollah Chomeini, den Hidschab in der Öffentlichkeit zu tragen. 1983 wurde dies zum Gesetz, das mit Geldstrafen und zwei Monaten Haft durchgesetzt werden konnte. (Quelle: AP)

Kopftuch-Pflicht: Irans Regierung greift härter durch

Zunächst vermied die Regierung eine direkte Konfrontation, doch in den vergangenen Wochen setzte sie zunehmend die Macht des Staates ein. Anfang April erklärte Irans Oberster Führer, Ajatollah Ali Chamenei, dass "das Abnehmen des Hidschab weder islamisch noch politisch zulässig" sei. Chamenei behauptete, Frauen ohne Hidschab seien manipuliert:
Sie sind sich nicht bewusst, wer hinter dieser Politik des Ablegens und Bekämpfens des Hidschab steht.
Ajatollah Ali Chamenei, Irans Oberster Führer
"Spione und Spionagedienste des Feindes verfolgen diese Angelegenheit. Wenn sie darüber Bescheid wissen, werden sie sich bestimmt nicht daran beteiligen."

Die Frauenrechtlerin Masih Alinejad organisiert und engagiert sich wie viele andere im Exil.

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Kleriker fordern Einsatz von Soldaten

Einige Kleriker forderten nun den Einsatz von Soldaten und der paramilitärischen Revolutionsgarden, um das Hidschab-Gesetz durchzusetzen. Berichten der halbstaatlichen Nachrichtenagentur Fars zufolge beschlagnahmten die Garden in der Nähe der Insel Hormus ein iranisches Fischerboot mit Frauen an Bord, die keinen Hidschab trugen.
Der Polizei zufolge sollen Überwachungskameras mit "künstlicher Intelligenz" Frauen ohne Hidschab aufspüren. Nach einem von den iranischen Medien verbreiteten Video sollen die Aufnahmen der Kameras mit Ausweis-Fotos abgeglichen werden - wobei unklar ist, ob ein solches System derzeit funktioniert.

Proteste: Es geht um mehr als ums Kopftuch

Auch für die 33-jährige Sorajja ist klar: Es geht nicht mehr nur ums Kopftuch:
Ich möchte nicht, dass meine Tochter demselben ideologischen Druck ausgesetzt ist, den ich und meine Generation erlebt haben.
Sorajja
Während sie ihre siebenjährige Tochter in einer Grundschule im Zentrum Teherans absetzt, sagt sie: "Es geht um eine bessere Zukunft für meine Tochter."
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Quelle: AP

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