: Das unterscheidet Judenhass von Israel-Kritik

von Lara Wiedeking
08.11.2023 | 08:56 Uhr
Der Israel-Hamas-Krieg befeuert weltweit Antisemitismus und Antizionismus. Und es stellt sich die Frage, was sachliche Israel-Kritik ist - und wo Grenzen überschritten werden.

Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung appelliert für mehr Solidarität - mit in Deutschland lebenden Juden und mit Israel. Diese sei nicht ausreichend, so Felix Klein.

07.11.2023 | 05:53 min
An einem Freitag Ende Oktober strömten Hunderte Protestierende in den Bahnhof Grand Central in New York City und forderten eine Feuerpause im Gazastreifen. Drei Wochen waren seit den Terroranschlägen der Hamas im Süden Israels vergangenen, bei denen über 1.000 Israelis ermordet worden waren.
Solche Proteste gibt es weltweit in den vergangenen Wochen - organisiert von unterschiedlichsten Gruppierungen. Auch von solchen, die radikale anti-israelische Ideen und Ideologien verbreiten. Was davon aber ist Antizionismus, was Antisemitismus - und was ist einfach sachliche Kritik an Israel?

Die Amadeu-Antonio-Stiftung hat ein "Lagebild Antisemitismus" vorgestellt. Dabei ging es auch um aktuelle Bedrohungen im Zusammenhang mit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel.

07.11.2023 | 01:23 min
Viele der Teilnehmer dieser Israel-kritischen Protestaktionen würden zum Beispiel Begriffe und Wendungen nutzen, die eine jüdische Weltverschwörung implizierten. Das erklärt Juliane Wetzel, Historikerin und Antisemitismus-Forscherin an der TU Berlin:
Die Grenze wird überschritten, zum Beispiel, wenn antisemitische Stereotype oder Vorurteile benutzt werden.
Juliane Wetzel, Antisemitismus-Forscherin, TU Berlin

Antizionismus, Antisemitismus und Israel-bezogener Antisemitismus

"Antizionismus ist eine Bewegung, die es gibt, seitdem es den Zionismus gibt", erlärt Wetzel. Anfang des 20. Jahrhundert gab es unter anderem eine innerjüdische Debatte dazu, ob ein jüdischer Staat die Antwort auf Antisemitismus sein sollte - lange bevor Israel 1948 gegründet wurde.
Stimmen, die sich dagegen aussprachen, galten als Antizionisten. Allerdings hatten auch die deutschen Nationalsozialisten schon früh gegen die Idee eines zionistischen Staates agitiert.

Zionismus

Die politische Bewegung des Zionismus entstand im 19. Jahrhundert als Reaktion auf die Pogrome in Osteuropa und die wachsenden Anfeindungen gegen Juden in Europa. Die Zionisten suchten einen Ort, um vor Verfolgung sicher zu sein. Palästina sollte die neue Heimat werden. Durch die Gründung des Zionistischen Weltkongress 1897, dessen Präsident Theodor Herzl war, wurde der Zionismus zu einer wichtigen geistigen Strömung in Europa. Herzl lieferte mit seinem Werk "Der Judenstaat" die Grundlage für diese Ideologie.

Wenn Antizionismus in Antisemitismus übergeht

Mit der Staatsgründung, so Professor Lars Rensmann, Politikwissenschaftler an der Universität Passau, habe der Antizionismus aber seine letzte Unschuld verloren. Denn wenn die Existenzberechtigung des Staates Israel und sein Recht auf Selbstverteidigung in Frage gestellt werden, wie es im Antizionismus geschieht, und dies auch noch exklusiv gegenüber dem jüdischen Staat, gehe die Feindschaft gegen Israel häufig in Antisemitismus über, so Rensmann:
Übertragen wir das doch einfach mal auf Deutschland und sagen, Frankreich oder Polen habe keine Existenzberechtigung. Da würde man auch vermuten, so jemand käme aus der rechtsradikalen Ecke.
Professor Lars Rensmann, Politikwissenschaftler, Universität Passau
Die Nähe vom Antizionismus zum Antisemitismus lasse sich bis in die 1930er Jahre zurückverfolgen und wurde schon in frühen Reden von Adolf Hitler gefunden.

An US-Hochschulen stehen sich pro-israelische und pro-palästinensische Studierende unversöhnlich gegenüber. Antisemitische Angriffe sind in den USA um fast 400 Prozent gestiegen.

01.11.2023 | 02:33 min
Heute sieht Rensmann eine hohe Korrelation zwischen Antisemitismus und Antizionismus, das lasse sich auch empirisch belegen: "Je stärker die Ablehnung der Idee eines Zionismus, also einer jüdischen, politischen Selbstbestimmung, eines jüdischen Staates, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand antisemitische Ressentiments hegt."

Antisemitismus getarnt als Israel-Kritik

Statt des historischen Begriffs des Antizionismus werde in der Wissenschaft häufig von Israel-bezogenem Antisemitismus geredet, so Rensmann. Dabei werde Israel als Projektionsfläche genutzt, um antisemitische Vorurteile zu verbreiten.
Judenfeindlichkeit, getarnt als vermeintlich legitime Kritik am Staat Israel, so erklärt es auch die Bundeszentrale für politische Bildung. So lassen sich judenfeindliche Ressentiments verbreiten, ohne von "den Juden" reden zu müssen.

Was ist sachliche Kritik am Staat Israel?

Die Diskussion in Bezug auf Israel und Palästina sei häufig binär, beobachtet Rensmann: "Insbesondere im Zeitalter der sozialen Medien wollen die Menschen einfache, klare, pauschale Schuldzuweisungen.
In Deutschland verläuft die öffentliche Debatte derzeit relativ sachlich - in vielen Ländern herrscht aber ein hoch emotional aufgeladener Diskurs, in dem die Welt in gut und böse eingeteilt wird, und in der öffentlichen Meinung erscheint dabei Israel, dessen Zivilbevölkerung von der Hamas brutal angegriffen worden ist, als böser kolonialer Unterdrücker. Solche Wahrnehmung sperrt sich aber gegen die Realitäten im Nahen Osten und der Komplexitäten des Nahen Ostens."

Die Pro-Palästina-Demos vom Wochenende blieben weitgehend friedlich, trugen aber zum Teil erneut Judenhass auf die Straße. Für den Staat eine schwierige Situation.

06.11.2023 | 01:20 min
Kritik am Staat Israel oder seiner Politik sei nicht automatisch antizionistisch oder antisemitisch, das sagt auch Juliane Wetzel. Vor den Massakern der Hamas an der israelischen Bevölkerung hätten auch Jüdinnen und Juden zu hunderttausenden gegen die Justizreform demonstriert:
Wenn ich konkrete Kritik, zum Beispiel an einem israelischen Politiker äußere, kann ich das natürlich tun. Wenn ich aber etwas sage wie 'das ist typisch für Juden', habe ich die Grenze zum Antisemitismus überschritten.
Juliane Wetzel
Auch historische Vergleiche zur NS-Zeit seien kritisch, zum Beispiel wenn das Handeln der Israelis gegenüber den Palästinensern mit dem der Deutschen gegenüber den Juden gleichgesetzt wird.
Natürlich stehe es jedem frei, Israels Regierung zu kritisieren und auch den Einsatz im Gazastreifen - es kommt aber darauf an, ob antisemitische Stereotype bedient werden oder nicht. Leider sei aber genau dies bei solchen Demonstrationen, wie in New York, Berlin und weltweit, häufig zu beobachten.
Alles rund um die aktuellen Ereignisse hier:

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