: Kriegsgefahr im Indopazifik: Japan rüstet auf

von Elisabeth Schmidt
09.04.2023 | 17:26 Uhr
Statt reiner Landesverteidigung bei einem Angriff will Japan auch Gegenschläge ausüben können. Für das pazifistische Land ist es der radikalste Kurswechsel seit dem 2. Weltkrieg.
Jeder Handgriff muss sitzen, bei einem Angriff darf keine Sekunde verloren gehen: Ein Lkw der "Japanese Ground Self-Defence Forces" (JGSDF), Japans Bodenselbstverteidigungsstreitkräfte, fährt vor, wird gesichert, dann fährt das Flugabwehrraketen-System senkrecht nach oben. Masaaki Hidaka, JGSDF-Kommandeur auf Amami-Oshima, erklärt:
Wir trainieren, wie wir Bedrohung von Kampfjets aus der Luft und Beschuss vom Meer und von der Landseite ausschalten können.
Masaaki Hidaka, Kommandeur
Die Insel ist Teil des Nansei-Archipels. In Militärkreisen wird es als "First Island Chain", als erste Inselkette, bezeichnet. Sowohl für China als auch für Japan mit seiner Schutzmacht USA sind die Nansei-Inseln strategisch wichtig - sie wären für beide Parteien die erste Verteidigungsfrontlinie. Vom südlichsten Zipfel der Nansei-Inseln sind es nur etwa 110 Kilometer nach Taiwan.

Chinesisches Militärmanöver rund um Taiwan

Zurzeit spitzt sich die Lage dort wieder zu: China hält gerade rund um Taiwan ein Militär-Manöver ab, mit neun Kriegsschiffen und mehr als 70 Militär-Flugzeugen. Chinesische Staatsmedien berichten darüber mit der Headline "Das Mutterland muss und wird wiedervereinigt werden".
China betrachtet die demokratische Insel-Republik Taiwan als abtrünnige Provinz, die Wiedervereinigung hat Staatschef Xi Jinping als erklärtes Ziel ausgegeben. Immer wieder wird in Peking zwar eine friedliche Lösung betont, in der Vergangenheit verwendete Xi allerdings bereits den Zusatz "notfalls auch mit Gewalt".

Japan rüstet militärisch massiv auf

"Wir nehmen es als deutliche Bedrohung wahr, dass einer unserer großen Nachbarstaaten versucht, den Status Quo mit Gewalt zu verändern", sagt der Kommandeur auf Amami, ohne China beim Namen zu nennen. In den vergangenen Monaten hat Japan massiv aufgerüstet: Neben der Militärbasis auf Okinawa, die zugleich die wichtigste Basis der US-Truppen in der unruhigen Indo-Pazifik-Region ist, wurden japanische Stützpunkte auf den Inseln Miyako, Amami und Yonaguni errichtet.
Mitte März wurde der Stützpunkt auf der fünften Nansei-Insel, Ishigaki, eröffnet. Im Dezember hatte die Regierung in Tokio ihre "Nationale Sicherheitsstrategie" überarbeitet. Die russische Invasion in der Ukraine habe alle Regeln der Weltordnung erschüttert, heißt es darin:
Die Möglichkeit kann nicht ausgeschlossen werden, dass es künftig auch in der Indo-Pazifik-Region zu einer ähnlich gravierenden Situation kommen kann.
Aus Japans Sicherheitsstrategie
Japan will in den kommenden Jahren massiv aufrüsten.Quelle: ZDF

Japan strebt militärische Unabhängigkeit an

Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg will Japan massiv aufrüsten. Eine "Zeitenwende", ähnlich der in Deutschland: Bis 2027 soll der Verteidigungshaushalt auf zwei Prozent des japanischen Bruttoinlandsproduktes ansteigen. Kommt es dazu, hätte Japan nach den USA und China den drittgrößten Rüstungsetat weltweit.
In den kommenden Jahren sollen die Streitkräfte auch in der Lage sein, Gegenschläge auszuüben. Das ist völlig neu in dem traditionell pazifistischen Land. Auf den Nansei-Inseln sollen langfristig auch Langstreckenraketen zur Flugabwehr stationiert werden. Damit will sich die Regierung in Tokio auch unabhängiger machen von den USA. Japan will sich im Ernstfall selbst verteidigen können.

Bewohner auf Amami-Inseln besorgt

Hirofumi Jomura macht das große Sorgen. Er baut auf Amami schwarzen Reis an. "Seit letztem Jahr trainieren unsere Streitkräfte hier regelmäßig mit den Amerikanern", erzählt er.
Es macht mir Angst, dass Amami ein Schlachtfeld werden könnte.
Hirofumi Jomura, Bewohner der Insel Amami
Die Lokalregierung habe den Inselbewohnern erzählt, die JGSDF seien hier stationiert, um die Bevölkerung bei Naturkatastrophen zu schützen. Jetzt sehe und höre er immer häufiger Schießübungen, erzählt Jomura. Auf Amami fühlten sich einige nicht mitgenommen von der Regierung. Die meisten leben hier, neben der Landwirtschaft, vom Tourismus.
In der Hauptstadt Tokio scheint die unmittelbare persönliche Bedrohung weiter weg. Fragt man die Menschen hier, ist das Bild ein anderes: Viel Zuspruch für Japans Aufrüstung. China, Nordkorea und Russland - Japans Nachbarstaaten werden immer wieder als Bedrohung genannt. "Wir trainieren, um Angriffe abzuwehren", sagt Kommandeur Hidaka auf Amami. Dafür seien Streitkräfte und Flugraketen-Abwehrsysteme nötig. Es ist der radikalste Kurswechsel in Japans Sicherheitspolitik seit dem Zweiten Weltkrieg.
Elisabeth Schmidt ist ZDF-Ostasien-Korrespondentin.

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