: Javier Milei: Hoffnungsträger oder Scharlatan?

von Stephanie Barrett
22.06.2024 | 08:26 Uhr
Für die einen ultraliberaler Anarchokapitalist, für die anderen ökonomisches Vorbild. An Argentiniens Präsident Milei scheiden sich die Geister. Heute kommt er nach Deutschland.

Argentiniens umstrittener Präsident trifft Scholz und erhält einen Preis von der Hayek-Gesellschaft. Was wir darüber wissen bei ZDFheute live

21.06.2024 | 26:55 min
An diesem Wochenende besucht der radikal-marktliberale argentinische Regierungschef Javier Milei Deutschland - in Hamburg erhält er am Samstag die Hayek-Medaille, in Berlin empfängt ihn am Sonntag Bundeskanzler Scholz - wenn auch ohne militärische Ehren, die geplante Pressekonferenz wurde ebenfalls abgesagt. Der Wunsch, von einer Pressekonferenz abzusehen, kam von Milei selbst, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Einen Tag vorher wird Milei vor der Hayek-Gesellschaft eine Rede halten. Linke Organisationen haben zu Protesten aufgerufen.

Alles Wissenswerte über den Preis der Hayek-Gesellschaft:

Wer war Friedrich von Hayek?

Quelle: dpa
Friedrich August von Hayek (1899–1992) war ein österreichischer Ökonom und Philosoph. Er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter des Liberalismus im 20. Jahrhundert und hat wesentliche Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialtheorie geleistet. Hayek erhielt 1974 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften für seine Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie sowie zur Analyse der wechselseitigen Abhängigkeit wirtschaftlicher und sozialer Prozesse.

Welche ökonomische Schule vertrat er?

Hayek prägte die Österreichische Schule der Nationalökonomie. Nach dieser Lehre führen freie Märkte und individuelle Freiheit zu besseren wirtschaftlichen Ergebnissen als zentrale Planung und staatliche Kontrolle. Hayeks Theorien konzentrieren sich unter anderem auf die spontane Ordnung, die durch freie Marktmechanismen entsteht oder darauf, wie sich Konsum und Investitionen auf die Produktivität auswirken. Von Hayek gilt damit als Vordenker jener Wirtschaftspolitik, die ab den 1980er Jahren Staats- und Regierungschefs wie US-Präsident Ronald Reagan und die britische Premierministerin Margaret Thatcher betrieben - und die geprägt war durch Kürzungen von Sozialleistungen und staatlichen Investitionen sowie Steuersenkungen für Unternehmen. 

Welchen Stellenwert hat die Hayek-Gesellschaft?

Mit dem Friedrich-August-von-Hayek-Preis ehrt die Gesellschaft herausragende Beiträge zur Förderung der Prinzipien des Liberalismus und der freien Marktwirtschaft. Der Preis genießt in akademischen und liberalen Kreisen hohes Ansehen und gilt als bedeutende Auszeichnung auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften und der Sozialphilosophie. Doch wegen ihrer mangelnden Abgrenzung zur AfD steht die Gesellschaft immer wieder in der Kritik. Das führte vor einigen Jahren zum Austritt von einigen prominenten Mitgliedern, darunter auch FDP-Politikern.

Welche Preisträger gab es schon in der Geschichte?

Die Hayek-Medaillen werden an Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Publizistik, Politik und Wirtschaft verliehen, die sich national und international zur Verbreitung der Idee von Liberalismus und Freiheit eingesetzt haben. Zu den prominenten Hayek-Preisträgern gehören unter anderem:

  • Michail Chodorkowski (2017): Der russische Unternehmer und ehemalige Oligarch Michail Chodorkowski hat in der Vergangenheit russische Oppositionsparteien finanziert und sich immer wieder gegen Korruption und für freie Wahlen eingesetzt.
  • Mario Vargas Llosa (2016): Der peruanische Schriftsteller, Journalist und liberale Politiker Mario Vargas Llosa gilt als Verfechter der Demokratie und individueller Freiheiten. Im Jahr 2010 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
  • Elisabeth Noelle-Neumann (2006): Elisabeth Noelle-Neumann war eine deutsche Publizistin und Kommunikationswissenschaftlerin. Sie spielte eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung der wissenschaftlich fundierten Meinungsforschung. Sie ist die erste und eine von insgesamt zwei Frauen, die jemals mit dem Hayek-Preis ausgezeichnet wurden.
  • Gary Becker (2003): Der US-amerikanische Soziologe und Ökonom ist unter anderem für seine "Ökonomische Theorie der Kriminalität" bekannt.

Autorin: Anne Sophie Feil

Milei ist wegen seiner von harten Einschnitten geprägten Politik umstritten und sorgt damit für massive Proteste in seinem Land. Eine Bilanz seines ersten Halbjahres:

Amtsantritt Mileis: Hohe Schulden und Inflation

Argentinien kämpft seit Jahrzehnten mit hohen Staatsschulden und galoppierender Inflation und hat immer wieder auch Staatspleiten erlebt. Die dreistellige Inflationsrate zählt zu den höchsten der Welt: Bei 211 Prozent im Vergleich zum Vorjahr lag sie zum Amtsantritt von Milei.
Argentiniens Präsident Javier Milei bekommt die Hayek-Medaille verliehen. (Archivbild)Quelle: AFP
Das Land leidet unter einem aufgeblähten Staats- und Beamtenapparat und einer wenig produktiven Industrie. Korruption und Steuerhinterziehung sind weit verbreitet. Unternehmen zahlen vergleichsweise hohe Steuern. Im "Index for Economic Freedom", dem Index für ökonomische Freiheit - steht Argentinien an Position 144 von 177 Ländern.

Javier Gerardo Milei hat einen Plan, um Argentinien aus der Krise zu holen. Doch viele befürchten, der ultralibertäre Präsident stürzt sein Land weiter in die Krise.

22.04.2024 | 14:09 min

Javier Mileis libertäre Grundsätze

Milei bezeichnet sich selbst als Libertären, als einen, der den Staat verachtet und dem freien Markt alles zutraut. Sein Credo: "Je weniger Geld der Staat in Umlauf bringt, desto besser." Er glaubt nicht, dass Umverteilung von Reichtum der Weg ist, um soziale Probleme zu lösen:
Antikapitalisten glauben, ein bestehender Kuchen sei zu verteilen, während es tatsächlich darum geht, den Kuchen zu vergrößern.
Argentiniens Präsident Javier Milei

Seit Jahrzehnten leidet Argentinien unter einer Wirtschaftskrise. Der neue Präsident Javier Milei stutzt nun die Staatsausgaben. Die Folge: Steigende Armut und tiefe Rezession.

11.05.2024 | 02:42 min

Mit "Schocktherapie" umbauen - diese Maßnahmen wurden ergriffen

Wie angekündigt, hat Milei dem Land eine "Schocktherapie" verordnet: Aus 18 Ministerien machte er acht, aus 106 Behörden 54. Die Regierung baute Tausende Stellen im öffentlichen Dienst ab. Er strich Zuschüsse für den öffentlichen Verkehr und den Energiebereich und kürzte Sozialleistungen in großem Stil. Auch in der Privatwirtschaft verloren 100.000 Angestellte ihren Job, viele im Bausektor, weil Milei öffentliche Projekte stoppte.
Doch weil er keine Mehrheit im Senat hat, wurde sein Reformpaket auch zuletzt auf ein Drittel eingedampft: Von den ursprünglich 40 staatlichen Unternehmen, die privatisiert werden sollten, sind vorerst acht übriggeblieben. Die Fluggesellschaft "Aerolinas Argentinas" soll vorerst ebenso wie die Post "Correo Argentino" in Staatshand bleiben. Großinvestoren sollen 30 Jahre lang Steuererleichterungen erhalten.

Hunderttausende haben in Argentinien gegen die Sparpolitik der Regierung protestiert. Sie forderten, dass öffentliche Universitäten für Studierende kostenlos bleiben sollen.

24.04.2024 | 00:19 min

Sparmaßnahmen in Argentinien zeigen erste Wirkung

Seit Anfang des Jahres ist der argentinische Staatshaushalt zum ersten Mal seit vielen Jahren ausgeglichen und die Teuerung fiel im Mai erstmals spürbar auf 4,2 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Nach Einschätzung von Experten ist dies durch weniger Konsum gelungen, der Staat zudem weniger ausgab und die Notenbank weniger Geld druckte.
Infolgedessen ist die internationale Kreditwürdigkeit des Landes gestiegen, vor wenigen Tagen genehmigte der IWF eine neue Kredittranche von rund 800 Millionen Dollar. Auch an den Finanzmärkten keimt Hoffnung, setzen Investoren auf den Erfolg der Regierung Milei: Seit Jahresbeginn stieg der Index argentinischer Unternehmen, die an der Wall Street gehandelt werden um 38 Prozent.

Seit Dezember ist der Rechtspopulist Milei im Amt. Mit ersten Reformen schockte er das Land. Ersparnisse sind nur noch halb so viel wert, Lebensmittel und Sprit umso teurer.

14.02.2024 | 06:26 min
Eigentlich hat das Land auch beste Voraussetzungen für eine prosperierende Volkswirtschaft: Es besitzt Bodenschätze wie Lithium und Kupfer. Die Gasvorkommen würden ausreichen, um die eigene Energieversorgung zu gewährleisten, stattdessen importiert das Land aber einen Großteil seiner Energie.
Zudem verfügt die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas über riesige landwirtschaftliche Nutzflächen und exportiert Nahrungsmittel für weltweit 400 Millionen Menschen bei einer Bevölkerung von 44 Millionen Argentiniern.

Aussichten auf wirtschaftliche Erholung Argentiniens

Es wird erst schlimmer, bevor es wieder besser werden könnte - so lassen sich die Aussichten zusammenfassen. In diesem Jahr rechnet der IWF zunächst noch mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 2,8 Prozent bevor es wieder aufwärtsgehen könnte. Wenn die Inflation stetig sinkt, steigen auch die Reallöhne wieder. Die Schlüsselfrage ist: Wie lange wird die Bevölkerung Geduld für die Durststrecke aufbringen?
Die Armutsrate stieg zuletzt wieder an. Mehr als die Hälfte der Argentinier gilt bereits als arm. Gegen Mileis Kurs gibt es regelmäßig Proteste. Doch trotz seines harten Sparkurses genießt er im Land hohe Popularität: Jüngsten Umfragen zufolge unterstützen 55 Prozent der Wähler den Staatschef, vor allem junge Menschen setzen ihre Hoffnungen auf ihn.
Im Wahlkampf hatte Milei angekündigt, es brauche drei Wahlperioden, um seine Reformen umzusetzen und Argentinien wieder zu alter Blüte zu bringen. Denn: Vor 100 Jahren zählte Argentinien noch zu einem der reichsten Länder der Welt.

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