: "Fachkräftegewinnung ist unser neues Hobby"

von Kristina Hofmann
27.01.2023 | 13:34 Uhr
Was tun gegen den Lehrermangel? Wissenschaftler empfehlen weniger Teilzeit, größere Klassen, mehr Online-Unterricht etwa. Die Gewerkschaften sind entsetzt, manche Länder skeptisch.
Verbeamtung nach dem Bachelor wie in Brandenburg? Oder gezieltes Abwerben mit Umzugspauschale und mehr Geld wie in Bayern? Alle Bundesländer versuchen derzeit, mehr Lehrkräfte einzustellen. Schon jetzt sind Stellen umbesetzt. Bis 2025 könnten, je nach Prognose, zwischen 25.000 und 40.000 Lehrkräfte fehlen. Bis 2030/35 zwischen 31.000 und mehr als 70.000.
Nach einer neuen Stellungnahme von Bildungswissenschaftlern, die die Kultusminister der Länder beraten, wird das auch noch mindestens 20 Jahre so bleiben.
Ohne kurz- und mittelfristige Maßnahmen, die vor allem die derzeitigen Lehrkräfte weiter belasten, gehe es kaum, so Felicitas Thie, Co-Vorsitzende der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission. Ohne sie könne der "Bildungsauftrag nicht mehr erfüllt werden", so Thiel.

Busse: "Fachkräftegewinnung neues Hobby"

Allein in Nordrhein-Westfalen ist der Bedarf an Physiklehrkräften bis 2030 nur zu einem Fünftel gedeckt. Die Hälfte des nichtgedeckten Lehrerbedarfs betrifft die Klassen fünf bis zehn, auch an den Grundschulen sei die Situation "kritisch". Den größten Bedarf gebe es bei in den Fächern Mathematik, Chemie, Physik, Musik und Kunst.

Der Lehrermangel sei auf ein "demographisches Problem" zurückzuführen, so die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz Astrid-Sabine Busse, die für mehr Ausbildung plädiert.

27.01.2023 | 05:17 min
Astrid-Sabine Busse (SPD), die neue Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK) und Bildungssenatorin in Berlin, sagte am Freitag zur neuen Stellungnahme, man müsse mit der Lage nun umgehen.
Fachkräftegewinnung ist unser neues Hobby.
Astrid-Sabine Busse (SPD)
Dabei dürfe man allerdings die derzeitigen Lehrkräfte "nicht verprellen". Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) sagte, es dürfe dabei "keine Tabus und Denkverbote geben".
Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) warnte vor einer "Kannibalisierung" zwischen den Bundesländern, wenn sie sich gegenseitig die Lehrkräfte abwerben. Es handele sich um ein generelles demographisches Problem, das auch andere Berufe betreffe. Es sei keine "hausgemachtes Problem" der Kultusministerien:
Das Kernproblem entstand vor 30 Jahren in deutschen Ehebetten, nicht in der aktuellen Politik.
Ties Rabe (SPD)

Vorschlag: Weniger Teilzeit, größere Klassen, mehr online

Das wissenschaftliche Gremium schlägt konkret vor, dass:
  • Bei bereits qualifizierten Lehrkräften Reserven zu aktivieren, indem Lehrkräfte leichter aus dem Ruhestand geholt werden, prinzipiell länger arbeiten können, Teilzeit um mehr als 50 Prozent eingeschränkt, Abschlüsse aus dem Ausland leichter anerkannt und Lehrkräfte von Organisations- und Verwaltungsvorgaben entlastet werden.
  • Gymnasiallehrkräfte für andere Schulformen weitergebildet und so befristet an Grund- oder Mittelschulen abgeordnet oder Lehrkräfte in Mangelfächer gezielt weitergebildet werden.  
  • Lehrkräfte sollten durch Studierende aus dem Master- oder Hauptstudium oder andere entlastet werden, die aber von Lehrkräften betreut werden sollen.
  • Lehrkräfte sollten in der gymnasialen Oberstufe flexibler eingesetzt werden, indem mehr auf Hybridunterricht umgestiegen wird, die Selbstlernzeit der Kinder steigt und die Klassen größer werden.
  • Lehrkräfte gestärkt werden durch Achtsamkeitstrainings oder Coaching; Einrichtung von Krisenhotlines.
  • Die verschiedenen Modelle von Quer- und Seiteneinsteigern in den Lehrberuf sollten besser koordiniert werden.
Die Maßnahmen sollten befristet werden, so das Gremium. Denn die Lehrkräfte seien jetzt schon durch die Folgen der Corona-Pandemie und Integration der Kinder aus der Ukraine immens belastet.

Gewerkschaften: "Offenbarungseid"

Was mit den Empfehlungen der Wissenschaftler nun passiert, ist offen. KMK-Vorsitzend Busse spricht von einem "ersten Aufschlag", der nun, vermutlich über Jahre diskutiert werden müsse. Kritisch sieht sie den Vorschlag, Lehrkräfte weniger Teilzeit anzubieten. Die meisten hätten kleine Kinder oder versorgten Angehörige:
Die allerwenigsten machen Teilzeit wegen Work-Life-Balance oder so.
Astrid-Sabine Busse (SPD)
Mecklenburg-Vorpommern warnt vor mehr Arbeitsbelastung: "Eins steht fest: Es wird keine Anhebung der Unterrichtsverpflichtung, keine Beschränkung bei der Teilzeitregelung und keine größeren Klassen geben", heißt es in einer ersten Reaktion aus dem Bildungsministerium.
Die Gewerkschaft Verband für Bildung und Erziehung hält die Vorschläge für einen "Offenbarungseid". Mit diesen Maßnahmen werde "das Versagen der Politik auf dem Rücken der Lehrkräfte ausgetragenDem erteilen wir eine klare Absage!" Auch Maike Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft spricht von "Hilfslosigkeit" der Politik. Lehrkräfte mehr zu belasten und mehr Coaching anzubieten sei:
Blanker Hohn.
Maike Finnern, GEW-Vorsitzende

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