: Wer muss noch in den Krieg?

von Phoebe Gaa und Sebastian Ehm
30.01.2023 | 20:43 Uhr
Ende Oktober erklärte Russlands Präsident Wladimir Putin die Mobilisierung für beendet. Viele Menschen in Russland befürchten, dass jetzt eine weitere Welle bevorsteht.
In Russland wächst die Sorge vor einer weiteren Mobilmachung. (Archivbild) Quelle: Reuters
Im Stadtzentrum von St. Petersburg stehen zwei leuchtende Herzen. Auf einem steht St. Petersburg, auf dem anderen Mariupol. Die beiden Herzen umarmen einander. Eine Frau erklärt einer Gruppe davorstehender Kinder, dass Mariupol zu den neuen russischen Territorien gehöre. "Wir sind Partnerstädte. Unsere Stadt hilft Mariupol beim Wiederaufbau."
Wer Mariupol zerstört hat, sagt sie nicht. Etwas abseits des Denkmals und der Polizisten in Zivil blickt der Stadtteil-Abgeordnete Alexander Budberg auf die beiden Herzen. Er ist nicht einverstanden mit der Invasion der russischen Armee in die Ukraine und auch nicht, wie sich Russland seit einigen Jahren entwickelt.
Menschen befinden sich in Haft, weil sie ihre Gedanken gegen den Krieg ausgedrückt haben.
Alexander Budberg, Stadtteil-Abgeordneter in Mariupol
Es habe zwar nicht die Dimensionen der Stalinzeit, der Terror sei selektiver. Doch es sei immer noch Terror gegen die eigene Bevölkerung mit dem Ziel, sie einzuschüchtern.

Mobilisierung als Druckmittel

Als Präsident Wladimir Putin im September vergangenen Jahres die Teilmobilmachung ankündigte und sich Protest im Land regte, wurden einige Demonstranten eingezogen. Wer protestiert, muss an die Front - das wirkte. Größere Demonstrationen gab es seitdem kaum noch.
Die Mobilisierung schwebt wie ein Damoklesschwert über allem. Viele Männer müssen fürchten, eingezogen zu werden. Zwar sagte Putin Ende Oktober, dass die Teilmobilisierung erfolgreich beendet sei, doch einen offiziellen Erlass gab es dazu nie. Laut Nico Lange, Senior Fellow bei der Münchner Sicherheitskonferenz, haben die Russen nie aufgehört, zu mobilisieren.
Die Mobilisierung läuft die ganze Zeit verdeckt weiter. Nur wenn sie die Anzahl der zu mobilisierenden Menschen erhöhen wollen, müsste sich die Führung vielleicht nochmal erklären.
Nico Lange, Münchner Sicherheitskonferenz

Panik bei der ersten Mobilisierungswelle

Elena Popova ist Anwältin in St. Petersburg und hilft Männern, die einen Einberufungsbescheid bekommen haben. Als die Teilmobilisierung im September losging, standen die Telefone bei ihr und den vielen Freiwilligen nicht mehr still. Die Leute seien damals in Panik gewesen, sagt sie.
Sie gibt allen, die bei ihr anrufen, den gleichen Rat. Wenn der Einberufungsbescheid kommt, bloß nicht zur Meldestelle gehen.
Es kann formal zu einer Strafe von 3.000 Rubel kommen. Aber bisher hat diese Strafe niemand bekommen.
Elena Popova, Anwältin in St. Petersburg
Das Militärkommissariat wolle die Menschen einschüchtern und damit zwingen, zu kommen, meint die Anwältin.
Kaum eine Chance hatten diejenigen, bei denen die Einberufungsbeamten zuhause oder bei der Arbeit aufgetaucht sind. Auch daran erinnert sich Elena Popova. Schrecklich sei das gewesen. Sie denkt, dass es zu einer zweiten Mobilisierungswelle kommt. Darauf richtet sie sich mit ihren freiwilligen Helfern ein.   

Auch Wehrpflichtige in die Ukraine?

Auch westliche Geheimdienste rechnen seit Wochen damit, dass es eine neue große Mobilisierungswelle geben wird. Die Zahlen schwanken zwischen 200.000 bis 500.000 Mann. Ob es tatsächlich dazu kommt, ist unklar.
In Russland gebe es laut Experte Nico Lange aber mittlerweile eine Paralleldiskussion. Immer öfter werde gefordert, Wehrpflichtige in die sogenannte militärische Sonderoperation miteinzubinden.
Russische Militärs sind genervt, weil sie sie ihre Ziele mit den jetzigen Mitteln nicht erreichen. Die Wehrpflichtigen sind gut ausgebildet, jünger und oft in guter körperlicher Verfassung.
Nico Lange
Doch Wladimir Putin hatte zu Beginn des Einmarsches in die Ukraine versprochen, dass Wehrpflichtige nicht systematisch eingezogen werden. Würde er sich dazu entscheiden, müsste er sein damals geäußertes Versprechen zurücknehmen.  

Ukraine: Hier können Sie spenden

Quelle: ZDF
Wenn Sie helfen wollen, können Sie das durch eine Spende tun. Alle Informationen hierzu im Überblick.

Wie arbeitet das Aktionsbündnis?

Das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe hilft Menschen in der Ukraine und auf der Flucht. Gemeinsam sorgen die Organisationen Caritas international, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF Deutschland für Unterkünfte und Waschmöglichkeiten, für Nahrungsmittel, Kleidung, Medikamente und andere Dinge des täglichen Bedarfs. Auch psychosoziale Hilfe für Kinder und traumatisierte Erwachsene ist ein wichtiger Bestandteil des Hilfsangebots.
Der Stadtabgeordnete Alexander Budberg möchte gerne in Russland bleiben, doch ob das für ihn möglich ist, weiß er nicht. Der Staat reagiere immer restriktiver auf Kritik. Er will, so lange es geht, mit Menschen diskutieren und versuchen, sie von seinen Ansichten zu überzeugen.
Er habe jedoch Vorkehrungen für sich selbst getroffen. Wenn es zu brenzlig werde, sei er vorbereitet, Russland zu verlassen.
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