: Warum Moskaus Offensive früh beginnen könnte

von Christian Mölling und András Rácz
01.02.2023 | 22:06 Uhr
Die Zeit ist nicht auf Russlands Seite: Moskau muss noch vor dem Eintreffen westlicher Panzer handeln. Der Schwerpunkt einer Offensive würde wahrscheinlich im Donbass liegen.
Ukrainische Soldaten feuern auf russische Stellungen im Donbass. Es wird damit gerechnet, dass Russland bald mit einer Großoffensive in der Region beginnt. Quelle: dpa
Es ist wahrscheinlich, dass Russland in den kommenden Wochen eine Großoffensive gegen die Ukraine beginnt. Die Gründe für diesen Zeitpunkt sind vielfältig. Doch es gibt mehrere Punkte, die für einen frühen Beginn dieser Offensive sprechen. Der erste, nicht unbedingt wichtigste, ist die Vorliebe des Kremls für symbolische Daten und Anlässe. Der erste Jahrestag des Krieges, der 24. Februar, rückt näher.
Präsident Wladimir Putin würde es wahrscheinlich bevorzugen, zu diesem Anlass etwas Bedeutendes, oder zumindest etwas, das bedeutend aussieht, zu verkünden. Das Wahrscheinlichste wäre die Einnahme der Stadt Bachmut.
Karte: Bachmut, 28.01.2023Quelle: ZDF

Zeitdruck durch die westlichen Panzer

Der zweite Grund ist, dass die versprochene Lieferung von modernen westlichen Panzern Russland unter Zeitdruck setzt. Sie soll wahrscheinlich zwischen März und April erfolgen. Mit diesen Panzern in den Reihen der Ukraine würde jede russische Offensive sehr viel kostspieliger werden.

Angst vor Eskalation

31.01.2023 | 07:54 min
Insbesondere Panzer und gepanzerte Fahrzeuge sind in Russland bereits knapp. Daher muss Moskau noch vor dem Eintreffen der neuen westlichen Lieferungen einen entscheidenden Schritt unternehmen.

Die kommende Schlammsaison in der Ukraine

Der dritte Faktor ist die übliche, bereits bekannte Schlammsaison, die berüchtigte Rasputitsa (russisch) oder Bezdorizhzhia (Ukrainisch). Im Frühjahr verwandeln die Schneeschmelze und der nicht gefrorene Boden in Verbindung mit heftigen Regenfällen, alle Felder und unbefestigten Straßen in kaum befahrbare Schlammmeere.

Dr. Christian Mölling ...

Quelle: DGAP
... ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und leitet dort das Programm Sicherheit, Verteidigung und Rüstung. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.

Dr. András Rácz ...

Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Das erschwert mechanisierte Manöver erheblich. Auch wenn der derzeitige Winter in der Ukraine ungewöhnlich mild war, ist es nicht leicht, die Rasputiza vorherzusagen, die normalerweise von Mitte März bis Mitte April oder sogar bis zum Ende des Monats dauert. Ein weiterer Grund, der Putin also dazu bewegen könnte, schnell zu handeln.

Russland hat das Personal ausgebildet

Der vierte Faktor ist, dass Russland in den letzten Monaten sein im Herbst mobilisiertes Personal intensiv ausgebildet hat. Während etwa 150.000 der insgesamt rund 300.000 Soldaten bereits in der Ukraine eingesetzt wurden, haben die anderen eine intensive Ausbildung durchlaufen.
Darüber hinaus werden im Februar auch die Wehrpflichtigen, die ab dem 1. November eingezogen wurden, ihre ersten Ausbildungsrunden absolvieren. So können sie bereits für Unterstützungs- und logistische Aufgaben, wenn auch noch nicht für Kampfeinsätze, eingesetzt werden. Alles in allem würde Russland dann über ein beträchtliches Kontingent an Kräften verfügen.

Russland geht die Munition aus

Der fünfte Grund ist, dass den russischen Streitkräften zunehmend die Artilleriemunition ausgeht. Während die russische Artillerie im Sommer 2022 Berichten zufolge in der Lage war, bis zu 80.000 Granaten pro Tag abzufeuern, ging diese Zahl bis Ende Januar auf etwa 15.000 pro Tag zurück. Das ist immer noch weit mehr als die von der ukrainischen Artillerie abgefeuerten Schüsse, aber der Unterschied wird geringer, und die Ukraine erhält immer mehr hochpräzise, moderne Artilleriesysteme - im Gegensatz zu Russland.
Unabhängig davon, dass die Wirtschaft allmählich auf eine kriegstaugliche Basis gestellt wird, ist es unwahrscheinlich, dass Russland seine Produktion von Artilleriegranaten kurzfristig erheblich steigern kann. Da die ukrainische Artillerie allmählich stärker wird, ist die Zeit auch aus dieser Perspektive nicht auf Russlands Seite.

Wahrscheinliches Ziel: Donbass

Der Schwerpunkt der wahrscheinlich bevorstehenden neuen russischen Offensive wird weiterhin der Donbass sein. Der Kreml ist seit langem bestrebt, die Kontrolle über die gesamte Region zu erlangen. Außerdem wurden bereits extrem viele Ressourcen für diese Aufgabe bereitgestellt - eine entscheidende Verlagerung des Schwerpunkts ist daher nach dem Stand der Dinge Anfang Februar äußerst unwahrscheinlich.
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