Kommentar

: Sunak - letzte Hoffnung der Tories

von Andreas Stamm
24.10.2022 | 17:22 Uhr
Rishi Sunak wird neuer britischer Premier. Er soll nach dem Brexit-Drama, den Chaostagen unter Johnson und dem wirtschaftlichen Wirrwarr unter Liz Truss für Stabilität sorgen.
Einen großen Seufzer der Erleichterung geht durch Westminster, durch die Reihen der konservativen Parlamentsfraktion: Ein Kandidat, der auf Anhieb gewinnt, vielleicht die Möglichkeit, den chaotischen Hühnerhaufen - so präsentierten sich die Tories jüngst - wieder auf Kurs zu bringen. Keine Stichwahl, keine Entscheidung durch die Parteibasis, die Liz Truss vor gerade mal sieben Wochen auf den Schild gehoben hatte, obwohl Rishi Sunak damals schon der Favorit der Fraktion war und die meisten Unterstützer hatte.
Und viele waren sich einig - Sunak hätte es in einer Stichwahl schwer gehabt. Er ist bei der Parteibasis bislang unbeliebt. Vor allem, da er als Königsmörder gilt. Sein Rücktritt hatte Boris Johnson schließlich Anfang Juli zu Fall gebracht. Jeder in einer Stichwahl, etwa Ex-Verteidigungsministerin Penny Mordaunt, hätte die Basis eher hinter sich gehabt, aber definitiv keine Mehrheit in der Fraktion bekommen. Noch mehr Unregierbarkeit lag da in der Luft.

Choreograph des Chaos, Boris Johnson, zieht zurück

Und Johnson hätte gegen Sunak in einer Stichwahl vor der Basis triumphiert, darauf weisen fast alle politischen Beobachter hin. Dass er in letzter Stunde zurückzog, erklären viele damit, dass er nicht mehr genug Unterstützung hatte und schon gar nicht in der Lage gewesen wäre, die Fraktion zu einen. Weil im wirtschaftlichen Chaos, das Truss hinterlassen hat, ein falscher Satz eines Premiers die Finanzmärkte ins Chaos stürzen könnte. Was, wie schon geschehen unter Truss, das Land Milliarden kosten kann.
In einer solchen Situation den Choreographen des Chaos - Boris Johnson - ans Ruder zurücklassen? Den die Partei als amtsunfähig, als wandelnden Zerstörer erst kürzlich aus dem Amt gejagt hatte - das war dann doch zu abenteuerlich. Selbst für eine Partei in Panik, an der Wahlurne ausgelöscht zu werden.

Sunak - der Mann der konservativen Stunde

Sunak ist der Mann der konservativen Stunde, weil er als ehemaliger Investmentbanker und Finanzminister für das steht, was gerade am meisten gebraucht wird: finanzpolitische Expertise, Seriosität, eine Prise Langeweile vielleicht, aber vor allem: Stabilität in ökonomisch äußerst unsicheren Zeiten.
Die wirtschaftlichen Probleme im Vereinigten Königreich türmen sich höher als bei anderen, ebenfalls gebeutelten Nachbarn. Mit Sunak wittert die Partei wenigstens die Chance, durch diese unruhigen Gewässer zu kommen und einer Totalbestrafung - wie sie aktuelle Umfragen zeigen - durch den Wähler zu entgehen. Für einen Wahlsieg spätestens 2024 wird das vielleicht nicht reichen. Den hat nur Boris Johnson vollmundig versprochen.
So scheint es, zum ersten Mal seit dem Brexit, seit 2016, hat die konservative Partei mal nicht die Harakiri-Variante gewählt, sondern auf Vernunft gesetzt. Im - und das muss man deutlich sagen - Rahmen der bescheidenen Möglichkeiten der Konservativen nach dem Brexit-Drama mit Theresa May. Den Chaostagen unter Boris Johnson und der fast vollständigen Aufgabe von politischer Vernunft unter Liz Truss.

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