Interview

: "Demokratie wird mit Cyberwaffen angegriffen"

15.02.2023 | 08:57 Uhr
Die israelische Firma Team Jorge soll weltweit Wahlen manipuliert haben. Für die Desinformations-Forscherin Anat Ben-David ist es eine neue Dimension der Gefahr für die Demokratie.
Die Desinformationsexpertin Prof. Anat Ben-David ist entsetzt über die Enthüllungen zu Wahlmanipulation durch eine israelische Hacker-Firma.Quelle: ZDF
Wahlen und öffentliche Meinungen mit Hacks und versteckten digitalen Kampagnen zu beeinflussen – das ist nach eigenen Angaben das Geschäftsmodell der israelischen Firma Team Jorge.
Das Recherchenetzwerk "Forbidden Stories", an dem auch ZDF frontal beteiligt ist, ist weltweit Hinweisen auf Manipulation nachgegangen. Mit erschreckenden Ergebnissen. Anat Ben-David, Professorin für Kommunikation und Gründerin der Datenschutzorganisation Privacy Israel, erklärt im ZDF-Interview, wie gefährlich die Firma Team Jorge ist.

Eine israelische Firma bietet gegen Geld Desinformationskampagnen an – weltweit. Gemeinsame Recherchen von ZDF, SPIEGEL und ZEIT mit Forbidden Stories enthüllen das Ausmaß.

15.02.2023 | 29:10 min
ZDF frontal: Frau Ben-David, wie bedeutsam sind die Recherchen zu Team Jorge?
Anat Ben-David: Seit dem Cambridge-Analytica-Skandal suchen wir nach Brotkrumen, nach Hinweisen auf Einflusskampagnen in den sozialen Medien. Etwa mit Data Mining können wir versuchen, Muster zu finden. Doch auch damit gelangen wir maximal an Hinweise, an Wahrscheinlichkeiten, dass vermutlich Kampagnen stattfinden.
Diese Recherche lässt uns zum ersten Mal ohne Beteiligung von Whistleblowern sehen, wie es hinter den Kulissen abläuft. Indem die Beteiligten einfach selbst erklären, wie sie Desinformationssysteme betreiben.
Anat Ben-David, Professorin für Kommunikation
Wir alle spüren, dass mit den sozialen Medien etwas falsch ist. Aber wir schaffen es sonst nie, Belege zu finden, denn die Plattformen verhindern, dass wir an sie rankommen. Und weil böswillige Akteure das ausnutzen.

Welche Methoden helfen, um im Internet Falschmeldungen zu erkennen? Tipps von Kommunikationswissenschaftler Prof. Wolfgang Schweiger und vom Recherchezentrum "Correctiv".

07.02.2023 | 02:30 min
ZDF frontal: Wenn Sie sich die Beispiele anschauen, etwa wie der Telegram-Account einer Person in Kenia gehackt wird – was sagt Ihnen das?
Ben-David: Das hat mich schockiert. Wenn jemand in Echtzeit und unerkannt auf den Telegram-Account einer Person zugreifen kann; Nachrichten im Namen dieser Person schreiben kann, um sie fälschlich zu bezichtigen und etwa davon abzuhalten, bei einer Wahl anzutreten - dann ist das eine Frage von Menschenrechten.
Was wir dort gesehen haben, hat das Ausmaß des Cambridge-Analytica-Skandals kombiniert mit dem Pegasus-Spionage-Skandal. Es geht hier um eine Waffe.
Anat Ben-David, Professorin für Kommunikation
ZDF frontal: Wenn solche Software gegen Dissidenten in China oder Iran eingesetzt wird, kann das schnell Leben in Gefahr bringen.
Ben-David: Ich vermute, dass diese Technologie in einem Militär-Kontext entwickelt wurde, um gegen einzelne Terroristen vorzugehen, oder einen Anschlag zu verhindern. Mit Blick auf Sicherheit ein gutes Anliegen also. Doch jetzt wird sie in einem zivilen Kontext eingesetzt; in einer Weise die komplett untergräbt, wie wir über Menschenrechte denken.

Laut einer Recherchegruppe sind weltweit Journalisten, Aktivisten und Oppositionelle abgehört worden. Auch die ungarische Regierung habe die Software Pegasus dafür missbraucht.

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Diese Technologien sind Waffen. Und sie müssen keine Schusswaffe sein, um Menschen zu töten. Diese Informationswaffen können Menschen an ihr Ende bringen und ihr Leben kosten. Es gibt da keine Moral, keine Zurückhaltung. Es gibt keine Regulation, keine Limits, was diese Technologien tun können. Von einer einfachen Einzelperson bis hoch zu einem Präsidenten im Wahlkampf.
Es ist die Erschaffung einer neuen Realität, in der die Demokratie mit Cyberwaffen und Desinformation auf Bestellung angegriffen wird.
Anat Ben-David, Professorin für Kommunikation
ZDF frontal: Sind Sie überrascht davon? Gab es schon zuvor vergleichbare Kampagnen?
Ben-David: Wir wissen, dass Desinformationskampagnen in großem Umfang Bots einsetzen. Wir haben die Belege aus Russland. Das Erstellen von Avataren, das Verstärken von Desinformation ist nicht neu.
Was neu ist, ist die Kombination dieser Art von Desinformation mit Cyberwaffen, der Fähigkeit spezifische Personen gezielt anzugreifen. Ihre Accounts zu hacken, in ihrem Namen zu posten, ihre Telekommunikation anzuzapfen. Dass es nicht nur Beeinflussung in den sozialen Medien ist, sondern eine so umfassende Operation, das ist neu.

Prof. Anat Ben-David ...

Quelle: ZDF
... ist Associate Professor für Kommunikation an der Open University in Israel. Sie forscht dort zu Desinformation und den sozialen Medien. Sie ist Mitgründerin der Datenschutzorganisation Privacy Israel.
ZDF frontal: Gibt es weitere Firmen, die ähnliche Dienste anbieten?
Ben-David: Dafür haben wir keine harten Belege. Auch von dieser Firma hatten wir zuvor nie gehört. Wir wissen also nicht, wie viele Firmen mit identischen Methoden arbeiten. Aber wir wissen, dass Regierungen, dass unsere Sicherheitsbehörden mit diesen Akteuren zusammenarbeiten.

Dutzende katalanische Unabhängigkeitsbefürworter sollen mit der Spionagesoftware Pegasus ausgespäht worden sein. Auch Kataloniens Regionalpräsident Aragonès ist wohl betroffen.

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ZDF frontal: Was bedeuten diese Enthüllungen für Wahlen und Demokratie weltweit?
Ben-David: Ich glaube weiterhin an die Stärke demokratischer Institutionen, um die Integrität von Wahlen zu wahren. Aber wenn es Länder im Globalen Süden gibt, die schon jetzt verletzlich sind mit Blick auf ihre Wahl-Infrastruktur, dann kann ich mir vorstellen, dass diese Länder mehr als zuvor Gefahr laufen, keine fairen Wahlen zu haben.
Diese Leute definieren neu, was eine Wahl ist. Es geht nicht um den freien Willen, es geht nicht um einen fairen Ablauf. Es geht nicht um das Recht gewählt zu werden, oder eine Stimme zu haben. Es geht nur darum, einen Krieg gewinnen zu müssen. Und meine größte Furcht ist, dass sich diese Definition von Wahlen langsam durchsetzt.

So arbeitet das "Forbidden-Stories"-Netzwerk

Jedes Jahr werden weltweit Journalisten wegen ihrer Arbeit getötet. Das Netzwerk "Forbidden Stories" hat es sich zum Ziel gesetzt, ihre Themen und ihre Recherchen fortzuführen. Seit der Gründung 2017 haben mehr als 60 Medien und mehr als 150 Journalisten aus 49 Ländern gemeinsam an solchen Rechercheprojekten gearbeitet. Dabei ging es zuletzt um die Überwachungssoftware Pegasus, um globale Umweltschäden durch Bergbau, oder um die Geschäfte des marokkanischen Königshauses. Das ZDF arbeitet im Rahmen des neuen Projekts "Storykillers" erstmals mit "Forbidden Stories" zusammen. Das Netzwerk stellt eine sichere Plattform zur Verfügung, über die Journalisten auf sensible Informationen zugreifen können. Finanziert wird das Projekt aus Spenden.
Die Fragen stellte Armin Coerper, Redakteur des ZDF-Magazins frontal.
Lesen Sie hier die gesamte Recherche zu weltweiter Wahlmanipulation durch die Firma Team Jorge:

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