: Türkei: Fachkräfte zieht es nach Deutschland

von Stephanie Gargosch
19.06.2023 | 21:30 Uhr
Türkische Fachkräfte zieht es nach Deutschland - auch Pfleger und Ärzte. Nach dem Wahlsieg Erdogans dürften es noch mehr werden.
Eine türkische Ärztin in einem Lübecker Krankenhaus bei einer Behandlung.Quelle: dpa
Ein warmer Sommernachmittag in Berlin. Der studierte Marketingexperte Cenk Toker sitzt in einem der schicken Cafés am Kurfürstendamm und berät den bekannten türkischen Musiker Ferhat Güneyli. Cenk Toker erläutert dem Musiker einige Werbeideen für seine Website. Dem Kunden gefallen seine Ideen. Der Musiker lebt bereits seit 50 Jahren in Berlin, Toker verließ seine Heimat erst vor zwei Jahren.
Er ist smart, spricht fließend Englisch und hat in Berlin sein Start-up gegründet, eine digitale Agentur. "Ich habe mich entschieden, nach Berlin zu gehen, weil wir in der Türkei wirklich große wirtschaftliche Probleme haben und die Inflation sehr hoch ist", erklärt Toker in Englisch.
Besonders Deutschland, Berlin unterstützt ausländische Start-ups. Und ich sage euch, jetzt nach dem Wahlsieg von Erdogan werden noch mehr türkische Fachkräfte das Land verlassen.
Cenk Toker
Noch am Wahlsonntag schrieben ihm vier Freunde: "Es reicht, wir verlassen die Türkei", berichtet er.

Nach dem Wahlsieg Erdogans wird das Parlament vereidigt. Mit seiner Mehrheit kann der Präsident quasi durchregieren.

02.06.2023 | 02:03 min

Unternehmensberater: Ausländische Firmen verlassen die Türkei

Das beobachtet auch der türkischstämmige Unternehmensberater Emre Kiraz. Der Deutsche berät seit 20 Jahren Firmen, die in der Türkei Investitionen planen. Seit etwa drei Jahren hilft er aber vor allem türkischen Unternehmern und Fachkräften, die nach Deutschland wollen.
"Am Anfang der Regierungszeit von Erdogan, vor 20 Jahren, gab es eine Art Aufbruchstimmung", teilt Kiraz seine Erfahrungen.
Viele deutsche Unternehmen wollten in der Türkei investieren. Das ist seit etwa zehn Jahren anders. Ausländische Firmen verlassen die Türkei und seit kurzem gibt es eine massive Abwanderung von klugen Köpfen.
Emre Kiraz, Unternehmensberater
Der türkische Wirtschaftsverband Türkonfed spricht von 300.000 meist jungen und gut ausgebildeten Türken, die das Land in den vergangenen drei Jahren verlassen haben. Dies werde sich wahrscheinlich nach der Türkei-Wahl noch verstärken, sagt auch Zeynep Yanasmayan vom Deutschen Institut für Integrations- und Migrationsforschung.
Die Frage ist, inwiefern die Botschaften in der Türkei die Visa-Vergabe beschleunigen können. Wir wissen bereits jetzt, dass die sehr überlastet sind.
Zeynep Yanasmayan, Deutsches Institut für Integrations- und Migrationsforschung

Der türkische Präsident Erdogan ist nach seiner Wiederwahl offiziell in eine dritte, fünfjährige Amtszeit gestartet. Erdogan ist seit insgesamt 20 Jahren an der Macht.

03.06.2023 | 01:41 min

Berlin unterstützt eingewanderte Unternehmer

Wer es nach Berlin schafft, bekommt als Unternehmer seit kurzem Unterstützung von der Bürgschaftsbank Berlin. Gefällt der Bürgschaftsbank eine Geschäftsidee, bietet sie eine Bürgschaft an, also eine Sicherheit für einen Kredit bei einer anderen Bank. Etwas, das zugewanderten Unternehmern oder Flüchtlingen meist fehlt.
"Es kommt irgendwann zu der Frage, ob diese Leute Sicherheiten für einen Kredit anbieten können. Diese haben sie meistens nicht", erklärt der Geschäftsführer der Bürgschaftsbank Berlin. "Wir helfen ihnen dann mit einer Bürgschaft. Ein Drittel ist privatfinanziert, ein Drittel unterstützt das Land Berlin, ein Drittel unterstützt der Bund. Das ist ein bundesweit einmaliges Projekt. Das gibt es bisher also nur in Berlin."

Viele befürchten, dass die Wahlergebnisse dem autokratischen Kurs des wiedergewählten Präsidenten Erdogan weiteren Antrieb geben könnte. Erste Anzeichen dafür gibt es bereits.

02.06.2023 | 01:36 min

Ärzte und Pfleger aus Türkei gegen Fachkräftemangel

In den vergangenen Jahren verließen auch viele Ärzte und Pfleger die Türkei. Fachkräfte, die in Deutschland dringend gebraucht werden. Krankenpflegerin Asya Sarial ist eine davon. Sie zog vergangenes Jahr von Istanbul nach Berlin. Ihr Deutsch ist noch ein wenig holprig, aber neben der Arbeit in der Hauskrankenpflege übt sie so oft wie möglich die Sprache. "Die Ökonomie ist schwer in der Türkei. Darum bin ich gegangen."
Auch die Situation für Frauen sei nicht gut. "Ich habe vorher recherchiert und gesehen, in Deutschland gibt es Defizit an Gesundheitskräften, deshalb bin ich gekommen." Ihr gefällt es in Berlin und sie will bleiben. Am Wahlabend, als die Wiederwahl von Präsident Recep Tayyip Erdogan feststand, haben auch ihre Freunde geschrieben, dass sie nun auch das Land verlassen wollen.
Das finde ich natürlich schade für die Türkei. Aber was sollen die Leute machen, wenn die Situation dort schlecht ist?
Asya Sarial
So sorgt die Politik des türkischen Präsidenten dafür, dass Deutschland dringend benötigte kluge Köpfe, Ärzte und Pfleger bekommt.

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