: Mannheim versucht autofrei und erntet Streit

von Max Schwarz
26.03.2023 | 11:12 Uhr
In Mannheim endet ein umstrittener Verkehrsversuch. Ein Jahr lang wurden zwei Straßen gesperrt - zum Leid vieler Händler und zur Freude vieler Anwohner. Eine erste Bilanz.
Mannheim ist wie ein Schachbrett angelegt. Bei der Planung, zu Beginn des 17. Jahrhunderts, dominierten Pferdekutschen den Stadtverkehr. Heute drängen sich Blechlawinen durch die engen Straßen der Innenstadt. Mannheim hat ein Verkehrsproblem - mit vielen Seiten: Staus, Motorenlärm und einer hohen Luftbelastung.

Mannheim soll autofrei schön werden

Ein einjähriger Verkehrsversuch der Stadtverwaltung sollte das ändern. Das Ziel: den Durchgangsverkehr aus der Innenstadt herauszuhalten und die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt zu steigern. Dafür wurden zwei Verkehrsachsen durch eine Schranke sowie eine geänderte Verkehrsführung unterbrochen.
Es muss nicht gleich autofrei sein, meinen viele Städte. Immer mehr Kommunen wollen Tempo 30 in der City:

Augsburg, Ulm und Freiburg haben die Initiative für Tempo 30 in den Innenstädten gegründet. Das Anliegen findet immer mehr Unterstützer.

23.02.2023 | 01:56 min
Antonio Platero Weber betreibt ein Lederwaren- und Koffergeschäft auf der Mannheimer Haupteinkaufsstraße. Diese ist bereits seit dem Jahr 1975 autofrei. Wegen des Verkehrsversuchs seien aber viele seiner Kunden erst gar nicht mehr nach Mannheim gekommen. Zusammen mit weiteren Einzelhändlern drohte er der Stadt mit einer Klage.
Wir sind [...] sehr froh, dass der Verkehrsversuch vorerst beendet wurde, weil wir massive Frequenz- und Umsatzverluste hatten - bei uns waren es zwischen 20 und 40 Prozent.
Antonio Platero Weber, Einzelhändler
Der Einzelhandel in den deutschen Innenstädten steht nicht erst seit der erneuten Insolvenz von Galeria Kaufhof Karstadt unter Druck. Viele konnten die Verluste durch die Einschränkungen wegen Corona nicht aufholen, auch weil Inflation und Energiepreise die Kaufkraft bremsen.

Corona, Inflation, Energiekrise - Händler sind erschöpft

Daher betont der Präsident der IHK Rhein-Neckar, dass man prinzipiell das Anliegen des Verkehrsversuchs teile, dieser aber zum falschen Zeitpunkt gestartet wurde.
Wir brauchen jetzt eine Phase der Ruhe. Wir können nach dieser Corona-Zeit eben keine weiteren Experimente gebrauchen, wo zum Schluss vielleicht die Operation gelungen, aber der Patient tot ist.
Manfred Schnabel, IHK-Präsident Rhein-Neckar
Der stationäre Einzelhandel steckt in einer tiefen Krise - auch weil die Deutschen immer öfter online shoppen:

Online oder in der Stadt? ZDFzeit fragt: Wo ist der Einkauf besser und warum?

08.12.2020 | 43:59 min

Mehr Fahrradfahrer auf autofreien Straßen

Die vorläufige Bilanz des zuständigen Bürgermeisters, Ralf Eisenhauer (SPD), fällt derweil positiv aus. Es sei gelungen die Aufenthaltsqualität an vielen Stellen in der Innenstadt zu steigern. Zudem habe sich die Zahl der Fahrradfahrer in den autofreien Straßen fast verdoppelt. Auf Grund dieser Erkenntnisse wolle man auch in Zukunft den Verkehr planen.
Er betont, dass Veränderungen nicht zu vermeiden seien, wenn "übergeordnete Ziele" ernst genommen und verfolgt würden:
Wir werden viele Abläufe in unserer eigenen Lebensumwelt verändern [...], wenn wir Klimaneutralität erreichen wollen, wenn wir lebenswerte Innenstädte haben wollen.
Ralf Eisenhauer (SPD), Mannheimer Bürgermeister für Verkehr
Bis in den Mai läuft jetzt die weitere Auswertung von Verkehrs- und Umweltdaten, zudem werden die Bewohner der Innenstadt befragt.

Viele Anwohner würden Stadt ohne Autos begrüßen

Viele von ihnen würden sich auch über den Verkehrsversuch hinaus eine autofreie Innenstadt wünschen, sagt Anwohnerin Sabina Bopp. Die Interessen der Menschen, die in Mannheim wohnen, und der Menschen, die in Mannheim arbeiten, seien eigentlich gar nicht so verschieden. Schließlich möchte niemand entlang eines Staus einkaufen oder im Café sitzen.
Ausgestorbene Fußgängerzonen ohne Geschäfte seien dabei natürlich nicht das Ziel der Mannheimer.
Wir wollen eine lebendige Innenstadt, aber eine zeitgemäße.
Sabina Bopp, Anwohnerin

Expertin: "Irritation und Unmut" bei Neuerungen normal

Aber wie könnte eine zeitgemäße Innenstadt aussehen? Martina Baum ist Professorin für Stadtplanung und befürwortet Experimente wie den Verkehrsversuch in Mannheim. Wenn man Autos aus den Innenstädten rausnimmt, verändere man das Gewohnte. Kurzfristig führe das immer zu Irritation und Unmut.
Sie betont, dass "eine autofreie Innenstadt kein Problem, sondern ein notwendiger Schritt im Sinne einer nachhaltigen Gestaltung unsere Städte" sei. Jedenfalls wenn man öffentlichen Raum wirklich attraktiv gestalten wolle und zeitgleich die Verkehrsalternativen ausbaue und verbessere.
Machen uns unsere Städte krank? Ein Stadtstressforscher erklärt, wie Städtebau in Zukunft aussehen könnte:

Verkehrsproblem für lebenswertere Innenstadt lösen

Ob der Verkehrsversuch in der Mannheimer Innenstadt ein erster Schritt in Richtung einer nachhaltigen Stadt war, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Zumindest in einem Punkt sind sich alle Akteure einig: Für eine lebenswerte Innenstadt der Zukunft muss das Verkehrsproblem gelöst werden.
Max Schwarz berichtet für das ZDF aus dem Landesstudio Baden-Württemberg.

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