: Machen uns unsere Städte krank?

von Isabel Handrich
18.03.2023 | 10:28 Uhr
Lärm, Luftverschmutzung und trotzdem lebenswert: Schadet das Stadtleben unserer Gesundheit und wie sehen Städte in Zukunft aus? Ein Stadtstressforscher erklärt, worauf es ankommt.
Die Hochhäuser der Skyline der Mainmetropole spiegeln sich in einer PfützeQuelle: dpa
Schon jetzt leben weltweit mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Laut den Vereinten Nationen werden bis 2050 zwei Drittel der Menschheit in großen Städten leben.
Großstädte und Ballungszentren wachsen weiterhin, wenngleich wir in den letzten Jahren auch einen deutlichen Zuzug ins Umland spüren.
Marianna Roscher, Deutscher Städte- und Gemeindebund
Mit zunehmender Verdichtung nehme vielfach auch die Lebensqualität in Städten ab, erklärt Marianna Roscher, die beim Deutschen Städte- und Gemeindebund für Stadtentwicklung zuständig ist.

Stressfaktoren in der Stadt

Tatsächlich gibt es in der Wissenschaft Hinweise darauf, dass Menschen, die in der Stadt leben, ein erhöhtes Risiko haben, an Depressionen, Schizophrenie oder Angststörungen zu erkranken. Ein Thema, mit welchen sich auch der Stadtstressforscher Mazda Adli beschäftigt.
In der Forschung, die es bisher hierzu gibt, deutet vieles darauf hin, dass sozialer Stress ursächlich dafür ist.
Mazda Adli, Neurourbanistiker
Sozialer Stress kann vor allem dann entstehen, wenn Menschen auf begrenztem Raum zusammenleben. Lautstärke, Dreck und Reizüberflutung - alles Faktoren, die "nerven" und Stress auslösen können. Sie würden aber nicht automatisch krank machen, erklärt Adli.
Neben genetischen Faktoren wie der persönlichen Stressresistenz spielten auch soziale Variablen eine wichtige Rolle. Entscheidend sei: "Wenn es sich um Dauerstress handelt, den wir nicht abschalten können, kann er uns krank machen. Je mehr wir uns dem Stress unserer Umgebung ausgesetzt fühlen und je hilfloser wir uns dabei fühlen, desto belastender wird er."

Gefährliche Mischung

Ein entscheidender Faktor sei "Dichtestress", sagt Stadtstressforscher Adli. Dieser kann das Resultat von beengten Wohnverhältnissen oder einem fehlenden Rückzugsort sein.
Ein zweiter Faktor sei "Isolationsstress". In Dörfern sind die Verbindungen zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern traditionell stärker, erklärt Adli. Das hat zur Folge, dass man weniger schnell "durch das soziale Netz fällt". Wer sich in der Großstadt einsam fühlt, dem rät er, sich so gut es geht auf die Stadt mit ihren sozialen und kulturellen Angeboten einzulassen und zu anderen Menschen, zum Beispiel den Nachbarinnen und Nachbarn, Kontakt zu suchen. Denn:
Zeit vor der eigenen Haustüre ist für die psychische Gesundheit im Allgemeinen besser als die Zeit dahinter.
Mazda Adli, Neurourbanistiker
Wenn beide Faktoren "Dichtestress" und "Isolationsstress" zusammenkommen, können sie eine toxische Mischung ergeben, erläutert Adli.

Zugang zu Vorteilen der Stadt

Städte bieten aber häufig entscheidende Vorteile gegenüber dem Leben auf dem Land. Eine bessere medizinische Versorgung, vielfältige persönliche Entfaltungsmöglichkeiten sowie zahlreiche Kultureinrichtungen sind nur einige Beispiele. Sie können ein Gegengewicht zu stadttypischen Stressfaktoren bilden.
Schwierig wird es laut Adli allerdings, wenn der Zugang zu diesen Vorteilen fehlt, beispielsweise durch Armut oder soziale Benachteiligung. Wie gut es uns mit dem Leben in der Stadt geht, ist also nicht ausschließlich - aber auch - eine Frage des eigenen sozioökonomischen Status.

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Mehr Flächen als Allgemeingut

Politikerinnen und Politiker in Städten stünden oft vor der Herausforderung, dass auf der einen Seite weniger Flächen versiegelt werden sollen, auf der anderen Seite aber ein enormer Wohnungsdruck herrscht, erklärt Roscher vom Städte- und Gemeindebund. Die Lösung muss also möglichst sozialverträglich und in Abstimmung mit allen Betroffenen verhandelt werden.
Viel Potenzial sieht sie daher im Ausbau von grünen und blauen Flächen, die für alle zugänglich sind.
Es ist in stadtplanerischem Kontext schwer vermittelbar, wenn die schönen Flusslagen ausschließlich einigen wenigen Menschen vorbehalten sind und die Allgemeinheit diese zukünftig nicht mehr nutzen darf.
Marianna Roscher, Deutscher Städte- und Gemeindebund

Feinstaubbelastung und unser Gehirn

Dass der Zugang zu "mehr Grün und Blau", wie Roscher es nennt, wichtig ist, zeigt auch die Wissenschaft. So gibt es Studien, die einen positiven Einfluss von Grünflächen auf das Wohlbefinden nahelegen. Außerdem sorgen sie für eine bessere Luftqualität in von Feinstaub belasteten Gebieten.
Laut Adli gibt es in der neurowissenschaftlichen Literatur mehr und mehr Hinweise darauf, dass auch Feinstaub unsere psychische Gesundheit schädigt.
Das beobachteten auch Forschende aus den USA. Untersucht wurden in einer Längsschnitt-Kohortenstudie die Daten von über acht Millionen Krankenversicherten. Das Ergebnis: ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der langfristigen Exposition gegenüber allgemeiner Luftverschmutzung und dem erhöhten Risiko einer Depressionsdiagnose nach dem 63. Lebensjahr. Vermutete Ursache:
Besonders kleine Feinstaub-Partikel können die Blut-Hirn-Schranke überqueren und so ins Gehirn eindringen.
Mazda Adli, Neurourbanistiker
Dort können sie entzündungsähnliche Reaktionen hervorrufen und damit das Risiko für psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Demenz erhöhen, erklärt der Stadtstressforscher.

Mental-Health-Strategie für Städte

Für Adli liegt die Lösung nicht in der Flucht aufs Land, sondern vielmehr darin, den sozialen Stress in Städten zu vermeiden. Er plädiert dafür, die psychische Gesundheit beim Städtebau mitzudenken:

Beispiele für Mental-Health-Strategie:

  • Lärmschutz beim Wohnungsbau
  • Angemessene Wohnfläche auch in dicht besiedelten Gebieten
  • Begegnungsräume schaffen (z.B. Parks und Plätze)
  • Kultureinrichtungen schützen
  • Für ausreichend Grünflächen sorgen, gerade in benachteiligten Gegenden
Quelle: Mazda Adli, Neurourbanistiker