: Das Rätsel der Babys mit Handfehlbildung
von Nora Mahmoud und Anne Waltermann
08.04.2023 | 11:15 UhrBennets Leben mit nur einer voll ausgebildeten Hand ist nicht wie das von anderen Kindern. Er findet sich auf seine ganz eigene Art und Weise im Alltag zurecht.
13.02.2023 | 05:19 minGerade werdende Eltern wünschen sich für ihr Kind nur das Beste. Umso mehr sind sie erschüttert, wenn bei der Entwicklung ihres Kindes etwas nicht stimmt und sich eine Fehlbildung abzeichnet. Melanie Kroll war im fünften Schwangerschaftsmonat, als sie erfährt, dass ihr Sohn Bennet eine Handfehlbildung hat. Bei einer Ultraschalluntersuchung sagte ihr der Arzt: "Oh, es gibt ein Problem. Das Kind hat keine Hand, ihm fehlt die rechte Hand", erzählt die Grundschullehrerin.
Melanie Kroll war schockiert. Sie suchte die Schuld bei sich: "Liegt das an meiner vegetarischen Ernährung oder liegt es daran, dass ich noch Schlagzeug gespielt habe während der Schwangerschaft?"
Handfehlbildungen bei Babys sind grundsätzlich selten
Handfehlbildungen sind eigentlich sehr selten. Doch im Herbst 2019 kam es in einem Gelsenkirchener Krankenhaus zu einer ungewöhnlichen Häufung: Innerhalb von nur wenigen Wochen wurden gleich drei Babys mit einer fehlgebildeten Hand geboren. Eltern und Ärzte waren alarmiert.
Bei solchen Fehlbildungen, erst recht, wenn mehrere zur gleichen Zeit auftauchen, will man wissen, was ist die Ursache.
Generell mögliche Gründe für Fehlbildungen
- medikamentöse Auslöser
- genetische Ursachen
- Umwelteinflüsse
- Viruserkrankungen der Mutter in der Schwangerschaft
- generelle Risikofaktoren wie Rauchen, Alkohol oder Drogen während der Schwangerschaft
Fälle in Gelsenkirchen: Zufall oder Häufung?
Die Wahrscheinlichkeit für eine Fehlbildung von Händen und Armen bei Neugeborenen liegt bei 1:1.000. Umso mehr waren Eltern und Experten alarmiert, als es 2019 in Gelsenkirchen in einer Klinik in einem kurzen Zeitraum zu einer Häufung kam. Im Fall der drei Kinder leitete das Gesundheitsministerium in NRW eine Untersuchung ein. Die Behörde fragte die Häufigkeit von Handfehlbildungen in den Jahren 2017, 2018 und 2019 ab. Dabei war jedoch laut Ärztezeitung keine signifikante Häufung erkennbar.
Darüber hinaus gab es nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums eine weitere Untersuchung. Dafür wurden in allen Bundesländern Krankenhäuser, Ärzte- und Hebammen-Vereinigungen nach Handfehlbildungen befragt. Das Ergebnis: Es konnten keine signifikanten Häufungen festgestellt werden.
Im Endergebnis bestand Einvernehmen in der Einschätzung, dass sich diese Anhäufung von drei Fehlbildungsfällen des Gelsenkirchener Krankenhauses um ein zwar seltenes, aber noch im erwartbaren Bereich befindliches Zufallsereignis interpretieren lässt.
Ursache für Experten noch nicht geklärt
Entwarnung also vom Bundesgesundheitsministerium. Doch Experten rätseln nach wie vor über die möglichen Gründe.
Die Frage, ob eine Mangelernährung oder die Aufnahme von Giften aus Kunststoffen die Ursache sein könnte, wurde bislang nicht ausreichend wissenschaftlich untersucht.
Viele zukünftigen Mütter und Väter sind beunruhigt. Jochen Frenzel, Gynäkologe, Pränataldiagnostiker und Landesvorsitzender des Berufsverbandes der Frauenärzte im Saarland (BVF), hält Panik aber für unangebracht. "Solche Handfehlbildungen sind extrem selten", betont der Mediziner.
Behandlungsmöglichkeiten bei Handfehlbildungen
Eine Möglichkeit der Behandlung einer Handfehlbildung ist eine Operation. Am Universitätsklinikum Mannheim werden im Jahr rund 300 Handfehlbildungen operiert, sagt Daniel Svoboda, einer der führenden Kinderhandchirurgen in Deutschland.
Natürlich ist am Anfang der Leidensdruck der Eltern groß. Sie machen sich oft Gedanken, ob sie dafür mitverantwortlich sind, dass das Kind eine Handfehlbildung hat.
"Das können wir ihnen glücklicherweise in nahezu allen Fällen nehmen", so Svoboda. Für viele Familien sind der Chirurg und sein Team Retter in der Not.
Die Hand des sechsjährigen Bennet ist sehr wenig ausgeprägt. Eine OP kam für ihn daher nicht in Frage. Doch Bennet und seine Mutter Melanie ließen sich nicht entmutigen. Mit einer Prothese kann er beide Hände benutzen.
Therapie im Mutterleib
Wird schon im Mutterleib eine Fehlbildung der Extremitäten des Kindes festgestellt, sind die Möglichkeiten der Therapie im Mutterleib begrenzt. Arme und Beine beginnen sich bereits sehr früh, etwa ab der fünften Schwangerschaftswoche zu entwickeln. Was dann bis zur zwölften Schwangerschaftswoche nicht angelegt ist, lässt sich kaum anbauen, erklärt Pränatalmediziner Jochen Frenzel. Nach der Geburt könnten solche Missbildungen aber durchaus behandelt werden. Wie gut das gelingen würde, hänge vom Schweregrad ab.