: Was gegen das "Gewitter im Kopf" helfen kann

von Gunnar Fischer
05.10.2023 | 10:01 Uhr
Epilepsie zählt zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen in Deutschland. Was beim epileptischen Anfall zu tun ist - und wie man sie behandelt, wenn Medikamente nicht helfen.

Trotz vieler Medikamente kommt es bei Denis Mallon zu Krampfanfällen. Jetzt soll ein spezielles Verfahren, die Radiofrequenz-Thermokoagulation, für Anfallsfreiheit sorgen.

05.10.2023 | 05:32 min
Die Krankheit Epilepsie ist mit vielen Vorurteilen und Halbwissen behaftet. Manch Unwissender hält sie sogar für eine Geisteskrankheit und stuft Betroffene womöglich als unzurechnungsfähig ein. Weil sie Diffamierungen befürchten, verschweigen viele Epileptiker ihre Krankheit und ziehen sich aus dem öffentlichen Leben zurück.
Dabei zählt die Epilepsie zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. Allein in Deutschland leiden etwa 600.000 Menschen daran.

Jede Handlung wird vor der Ausführung im Gehirn im sensorischen und motorischen Kortex geplant. Es gibt auch einen Fehlerkorrekturmodus: im Nucleus Subthalamicus.

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Epilepsie: Gewitterstürme im Gehirn

Ursachen, Ausprägungen und Schweregrade von Epilepsien können ganz unterschiedlich sein. Typisch für alle Formen sind jedoch wiederholt auftretende Anfälle, die durch eine verstärkte Hirnaktivität ausgelöst werden.
Bei einem Anfall feuern kleinere oder größere Gruppen von Nervenzellen im Gleichtakt und erzeugen dadurch eine krankhafte Hirnaktivität.
Prof. Dr. Rainer Surges, Klinik für Epileptologie am Universitätsklinikum Bonn
Je nachdem, welche Funktion die betroffenen Hirnareale haben, können sich epileptische Anfälle in Form von Bewusstseinsstörungen, Muskelzuckungen oder auch durch Sprech- und Sehstörungen äußern. Die Beeinträchtigung des Zusammenspiels der Nervenzellen im Gehirn lässt sich gut mit einem "Gewitter im Kopf" vergleichen.

Die junge und erfolgreiche Sängerin Zoe Wees lebte in ihrer Kindheit mit Rolando-Epilepsie. Kontrollverlust und Depression waren die Folge.

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Epileptische Anfälle kann jeder bekommen

Der gefährlichste und gefürchtetste Anfall ist der "Grand Mal", der medizinisch korrekt auch tonisch-klonischer Anfall genannt wird. Rainer Surges von der Klinik für Epileptologie am Universitätsklinikum Bonn erläutert: "Beim tonisch-klonischen Anfall breitet sich die Hirnaktivität dieser Krankheit auf das ganze Gehirn aus."
Das führt dazu, dass man die Kontrolle über den Körper verliert, der Körper sich versteift und anschließend rhythmisch zuckt.
Prof. Dr. Rainer Surges, Klinik für Epileptologie, Bonn
Die Neigung zu epileptischen Anfällen ist entweder angeboren oder wird im Laufe des Lebens beispielsweise durch eine Verletzung des Gehirns bei einem Unfall oder durch einen Tumor erworben. Grundsätzlich ist jedoch niemand vor einem epileptischen Anfall gefeit.

Was bei einem epileptischen Anfall zu tun ist

1. Ruhe bewahren

Auch wenn ein epileptischer Anfall auf den ersten Blick furchteinflößend aussieht, handelt es sich in der überwiegenden Zahl der Fälle um keinen Notfall. Meist hört der Krampfanfall nach kurzer Zeit von selbst wieder auf. Eine Schädigung des Gehirns ist in der Regel nicht zu befürchten. In der Anfallsituation kommt es darauf an, Ruhe zu bewahren, die betroffene Person zu beruhigen und Sicherheit und Halt zu vermitteln.

2. Person vor Verletzungen schützen

Die wichtigste Aufgabe des Ersthelfers besteht darin, die Person vor einer Gefahrensituation zu schützen. Vor allem bei einem großen Anfall, der mit Krampfattacken und Bewusstseinsverlust einhergeht, besteht eine große Sturz- und Verletzungsgefahr. Deshalb sollten das Umfeld gesichert und gefährliche Gegenstände aus dem Weg geräumt werden. Es ist wichtig, darauf zu achten, dass die betroffene Person beispielsweise nicht auf die Straße gerät oder eine Treppe herunterfallen kann. Beim Schutz vor Verletzungen sollte nichts in den Mund reingeschoben werden. Der früher empfohlene Holzkeil zwischen den Zähnen führt eher zu Verletzungen, als dass dieser nützt.

3. Bei längeren Anfällen Notarzt rufen

Dauert ein epileptischer Anfall außergewöhnlich lange oder kommt es zu wiederholten Anfällen, könnte es sich um einen sogenannten Status epilepticus handeln, der lebensbedrohlich ist. Deswegen sollte bei Anfällen von über vier Minuten Dauer unbedingt ein Notarzt gerufen werden. Der Status epilepticus muss medikamentös unterbrochen werden, um schwerwiegende Schädigungen zu vermeiden.

Mit Hirnstrommessung und MRT den Anfallsherd suchen

Die Diagnose einer Epilepsie stützt sich zunächst auf eine Beschreibung der Anfälle. Neurologische Untersuchungen, wie die Hirnstrommessung (EEG) und die Kernspintomographie (MRT), liefern weitere Erkenntnisse.
Im MRT lassen sich Veränderungen der Gehirnstruktur, auch Läsionen genannt, darstellen. Im EEG können krankhafte elektrische Hirnaktivitäten als Merkmal eines Anfalls festgestellt werden.
Bei schwer behandelbaren Epilepsien werden in speziellen Zentren Langzeittests durchgeführt. Hierbei soll herausgefunden werden, in welchem Hirnbereich die epileptischen Anfälle ihren Ursprung haben. Um die Anfallsherde präzise zu orten, ist es gelegentlich erforderlich, Elektroden ins Gehirn zu implantieren.

Vorbeugende Behandlung mit Antiepileptika

Je nach Ausprägung und Häufigkeit kann eine Epilepsie die Lebensqualität stark einschränken. Wichtige Fragen zu Berufswahl, Kinderwunsch, Autofahren und verschiedenen Aspekten der Lebensführung müssen bei Diagnose der Krankheit von Fall zu Fall geklärt werden.
Bei bestimmten Epilepsieformen, vor allem wenn sie in der Kindheit auftreten, kann die Krankheit auch wieder verschwinden. In der Regel ist aber eine langfristige vorbeugende Behandlung mit Medikamenten notwendig. Diese sogenannten Antiepileptika führen bei mehr als zwei Drittel aller Betroffenen zur Anfallsfreiheit.

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Erzielt die medikamentöse Therapie nicht den gewünschten Erfolg, können weitere Behandlungsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden. Dazu zählen neurochirurgische Eingriffe, eine Radiofrequenz-Thermokoagulation oder Verfahren zur Neuro-Stimulation (Hirnschrittmacher).

Was tun, wenn Medikamente nicht helfen?

Operative Verfahren zur Behandlung von Epilepsie

Lassen sich die Anfälle mit Medikamenten nicht kontrollieren, stellt eine Gehirnoperation für Epileptiker eine Behandlungschance dar. Eine Langzeitstudie eines Forscherteams des Universitätsklinikums Erlangen und des Universitätsklinikums Utrecht ergab, dass rund zwei Drittel aller Operierten dauerhaft anfallsfrei geworden sind. Wichtige Voraussetzung für eine OP ist die exakte Lokalisierung des Anfallsherds. Nur dann ist es möglich, die betreffende Stelle millimetergenau zu entfernen, ohne dass dabei wichtige Funktionen, wie etwa das Sprachzentrum, beeinträchtigt werden.

Bei multifokalen Epilepsien, die von mehreren Stellen im Gehirn ausgehen, sowie bei generalisierten Anfällen ohne nachweisbaren herdförmigen, eingrenzbaren Bereich, ist eine Operation in der Regel nicht durchführbar.

Bei sogenannten resektiven Verfahren entfernt der Neurochirurg die Hirnregion, in der die epileptischen Anfälle entstehen. Bei einer anderen Methode werden einzelne Nervenstränge durchtrennt, um die auslösenden Prozesse für einen epileptischen Anfall zu unterbrechen.

Stereotaktische Radiofrequenz-Thermokoagulation

Bei diesem Verfahren wird die anfallsverursachende Hirnregion nicht entfernt, sondern mithilfe von Elektroden verödet. Das Besondere: Der Eingriff erfolgt bei den Betroffenen im wachen Zustand. Im Vergleich zur offenen Operation ist dieses Verfahren schonender, da die Elektroden "nur" über kleine Bohrlöcher in das Gehirn gesetzt werden. Rainer Surges vom Universitätsklinikum Bonn betont: "Die Thermokoagulation ist ein elegantes Verfahren. Wir implantieren ja die EEG-Elektroden ins Gehirn, um herauszufinden, wo der Anfallsherd ist. Und mit den gleichen Elektroden können wir sogar behandeln. Wir haben Diagnostik und Therapie mit einem Verfahren."

Das Verfahren kommt jedoch nur bei Betroffenen mit einer fokalen Epilepsie zum Einsatz, bei denen der Anfallsherd auf einen kleinen Bereich begrenzt ist. Großflächige Areale können mit dieser Methode nicht entfernt werden.

Schrittmacher im Gehirn

Im vergangenen Jahr wurde der weltweit erste minimalinvasiv eingesetzte Hirnschrittmacher für Epilepsiebetroffene zugelassen. Studien konnten belegen, dass dieses Gerät die Häufigkeit und Intensität epileptischer Anfälle erheblich mindern konnte. Bei diesem Stimulationsverfahren wird eine Elektrode unter der Kopfhaut platziert.

Ein Hirnschrittmacher hat zwei Bestandteile: eine Elektrode zur Übertragung der elektrischen Reize und einen Generator zur Steuerung der Reizimpulse. Der Generator wird am Rumpf implantiert und per Kabel mit der Elektrode unter der Kopfhaut verbunden. Der Vorteil des Verfahrens liegt darin, dass die Elektrode nicht im Gehirn sondern unter der Kopfhaut eingesetzt wird. Dadurch werden OP-Risiken wie etwa Gefäßverletzungen reduziert.

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