: Das steckt hinter Chelseas Transfer-Offensive

von Ralf Lorenzen
09.02.2023 | 17:16 Uhr
Kein Klub hat im Winter mehr Geld für Spieler ausgegeben als der FC Chelsea. Die neuen Besitzer verfolgen damit zwei Ziele - und sie nutzen ein Schlupfloch in den Finanzregeln.
Der argentinische Weltmeister Enzo Fernandez ist der aktuelle Königstransfer des FC Chelsea.Quelle: Reuters
Auch wenn es sportlich mit Platz neun in der Premier League nicht läuft - die Schlagzeilen beherrscht der FC Chelsea trotzdem. Mit 330 Millionen Euro haben die Blues im Winter-Transferfenster mehr Geld für neue Spieler ausgegeben als alle Klubs in den anderen Top-5-Ligen zusammen. Verzocken die neuen Besitzer gerade die Zukunft des Klubs oder machen sie ihn zur neuen Supermacht in Europa?
Diese Transfers wirken wild. Als ob man eine Liste mit den besten Talenten ausgedruckt hat und jetzt versucht, sie alle zu kaufen.
Manu Thiele, Sportjournalist

Chelsea schon immer ein Investoren-Klub

Der Wille zum Geldverdienen ist dem FC Chelsea in die Geburtsurkunde eingeschrieben. Die Brüder August und Joseph Mears kauften 1904 das Areal an der Stamford Bridge, um es an den benachbarten FC Fulham zu vermieten. Als das nicht gelang, gründeten sie eben selbst einen Klub.
"Wir bauen ein Stadion hin und schauen, dass wir das kommerziell nutzen können", schildert der Journalist und Premier-League-Experte Raphael Honigstein die Intention der Gründer in der Sendung Bolzplatz von Manu Thiele. "Das war praktisch am Reißbrett entworfen."

Erfolgreiche Ära unter Abramowitsch

Wie ein Kunstprodukt wirkte der FC Chelsea auch in seiner erfolgreichsten Phase der Neuzeit mitunter. Die ist eng mit dem Namen Roman Abramowitsch verbunden, der den am finanziellen Abgrund stehenden Klub im Jahr 2003 für 140 Millionen Pfund erwarb.
Schon in der ersten Saison gab der russische Oligarch die damals sensationelle Summe von 170 Millionen Euro für neue Spieler aus. In den folgenden Jahren führte er den angestaubten Klub mit Modernisierungen auf allen Ebenen an die Spitze zurück. Am Ende konnte er sich mit 19 Titeln schmücken.
So funktioniert der Poker bei Wintertransfers - ein Blick hinter die Kulissen:

29.01.2023 | 08:01 min

Vom Oligarchen-Hobby zum Spekulationsobjekt

Das Ende kam mit dem russischen Angriff auf die Ukraine. Der Putin-Freund fiel unter den Wirtschaftsboykott und Abramowitsch musste den Klub verkaufen. Der Kaufpreis von ca. 2,8 Milliarden Euro floss auf Weisung der britischen Regierung auf ein Treuhandkonto, mit dem den Opfern des Ukraine-Kriegs geholfen werden soll.
Käufer ist ein Konsortium um den milliardenschweren US-Geschäftsmann Todd Boehly, der mit seiner Firma bislang vor allem in Sport- und Medienunternehmen in den USA investiert hat. Anders als Abramowitsch, für den die Blues eher ein Hobby waren und dem Prestigegewinn dienten, wollen die neuen Bosse mittelfristig Geld verdienen.

Fofana, Mudryk, Fernandez: Top-Talente zu den Blues

Das soll vor allem auf zwei Wegen geschehen: den Klub als Ganzes möglichst schnell wieder nach oben bringen und dessen Wert sowie Werbe-und Medieneinnahmen steigern. Und zweitens über die Wertsteigerung der einzelnen Spieler.
Auffällig ist, dass im Winter vor allem Talente verpflichtet wurden, wie die drei 22-jährigen Wesley Fofana, Enzo Fernandez und Mykhaylo Mudryk. Für die neue Strategie ist Boss Boehly, der fast das gesamte sportliche Management und Trainer Thomas Tuchel entließ, selbst verantwortlich.

Financial Fair Play wird ausgehebelt

Mit ihrer Kernkompetenz, dem Finanzmanagement, haben es die neuen Investoren immerhin geschafft, die Financial-Fairplay-Regeln der UEFA, die die Begrenzung der Personalausgaben zum Ziel haben, zu umgehen. Mit acht- bis neunjährigen Vertragslaufzeiten für einige Neuzugänge werden die Ablösesummen über einen langen Zeitraum abgeschrieben, so dass pro Bilanzjahr nur ein Bruchteil angerechnet wird.
Das betrachten Experten als riskanten Wechsel auf die Zukunft, da sich die Entwicklung von Talenten nicht so berechnen lässt wie eine Bilanz. Und kurzfristig wird angezweifelt, ob Tuchel-Nachfolger Graham Potter aus dem aufgeblähten und wild zusammengestellten Kader ein Team formen kann, das noch einen Europapokal-Platz erreicht.

Chelsea: Ergeben viele Jungstars auch ein Team?

"Chelsea hat die Klicks auf Social Media, aber haben sie ein Team?", fragte die Zeitung "Guardian" vor einer Woche. "Am Freitag spielen sie gegen Fulham an der Stamford Bridge. Sie könnten einen Sieg vertragen." Das Spiel endete 0:0.

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