: Wer ist der größte Offensiv-Stratege der NFL?
von Patrick Brandenburg, Las Vegas
08.02.2024 | 09:57 UhrNatürlich ist die Familie Thema bei der Opening Night, dem Medienspektakel vorm Super Bowl in Las Vegas. Kyle Shanahan sitzt auf einem kleinen Podium im Allegiant Stadium, belagert von einer hungrigen Reportermeute, und seine Stimme wird warm, als er über Vater Mike spricht:
Es war echt cool, ihm bei der Arbeit zuzuschauen. Er hat mir so viel beigebracht.
Seit früher Jugend hat der Coach der San Francisco 49ers Daddys Tipps und Tricks aufgesaugt, bewusst und unbewusst. Zuhause beim Dinner, als Kabelträger an der Seitenlinie, später sogar als Assistent in der National Football League.
Wie der Vater, so der Sohn?
Mit einem Sieg im NFL-Finale über die Kansas City Chiefs könnte er dem Senior ein wenig näher rücken. Der trägt schon drei Siegerringe. Es wäre die erste Vater-Sohn-Kombi, die als Trainer den Super Bowl gewinnt.
Kyle macht nicht den Eindruck, als brauche er den Eintrag in die Geschichtsbücher fürs Ego oder für die Hoheit am Familientisch. Der 44-Jährige verfügt über eine stolze Vita. Er gilt als gewiefter Stratege, Erfinder innovativer Spielzüge und einflussreicher Pädagoge. In vielerlei Hinsicht ähnelt er dem Vater.
Der blieb nicht nur dafür in Erinnerung, dass er als Offensive Coordinator der 49ers zu deren Endspielsieg 1995 beitrug. Oder, dass er als Chefcoach der Denver Broncos die Quarterback-Legende John Elway nach drei vergeblichen Anläufen noch zu zwei Titeln führte.
Shanahans formen nächste Trainer-Erfolge
Die langen Schatten der Shanahans messen sich auch darin, wie viele andere Trainer sie geprägt haben. Beim Vater waren es sieben Assistenten, die selbst zu Chefs in der NFL aufstiegen. Zwei gewannen sogar den Super Bowl: Gary Kubiak, 2016 mit den Broncos und Sean McVay vor zwei Jahren mit den Los Angeles Rams.
In viel kürzerer Zeit kommt der Junior schon auf drei Jünger, die seine Football-Philosophie nun anderswo verbreiten: Robert Saleh (New York Jets), Mike McDaniel (Miami Dolphins) und DeMeco Ryans (Houston Texans). Lehrer für die Lehrer - das ist die wahre Tradition im Hause Shanahan.
Aus Fehlern lernen
Natürlich muss auch auf dem Platz Zählbares herausspringen und ein Händchen für die Spieler ist unabdingbar. In sechs Jahren hat Kyle die 49ers vier mal ins Halbfinale geführt. Nun zum zweiten Mal ins Endspiel. Das Erfolgsgeheimnis?
Seine Team-Meetings sind phänomenal. Wie er Football erklärt! Ich habe schon mit fünf Jahren angefangen zu spielen, aber in den letzten vier Jahren habe ich mehr gelernt als in der ganzen Zeit davor.
Auch der Coach lernt fleißig dazu. Sonst wäre seine Turbokarriere nicht möglich gewesen: mit 26 Jahren jüngster Positionstrainer der NFL, mit 28 jüngster Offensiv-Coach, neun Jahre danach bereits Headcoach und fünf Profi-Stationen auf dem Buckel.
Auch Fehler und Rückschläge reflektiert er. Womöglich hat er mit zu aggressiven Spielzügen zur legendären Implosion der Atlanta Falcons beigetragen: 2017 verspielte die von ihm betreute Offensive - die beste der Liga - einen 25-Punkte-Vorsprung im Super Bowl gegen die New England Patriots.
Super-Bowl-Titel nur eine Frage der Zeit
Auch sein erster Final-Anlauf als Cheftrainer ging knapp daneben: Vor vier Jahren brachten seine 49ers späte zehn Punkte Vorsprung nicht über die Ziellinie - gegen Kansas City.
Heute ist Shanahan geduldiger. Aus Erfahrung und mit Blick auf die Karriere seines Vaters weiß er: Momente erzwingen zu wollen, funktioniert selten. Es lohnt vielmehr, der Dynamik eines Football-Spiels zu vertrauen. Am Ende setzt sich Klasse durch.
So wie jüngst in den Playoffs, als sein Team mit späten Comebacks gegen Green Bay und Detroit noch rechtzeitig die Kurve kriegte. Für viele Experten ist die Frage nicht mehr, ob Shanahan einen Super-Bowl-Titel holt, sondern wann.