: Bildet Deutschland zu wenig aus?

von Klaus Weber
07.05.2023 | 04:35 Uhr
Für die Duale Ausbildung wurden wir lange beneidet. Jetzt steckt sie in der Krise. Das Dilemma kündigte sich vor Jahren an. Jetzt braucht es neue Rezepte, um ihm zu begegnen.
Viele Lehrstellen in Deutschland bleiben unbesetzt - obwohl es zahlreich Bewerber gibt, die keinen Ausbildungsplatz bekommen. Quelle: dpa
Der Kanzler möchte, dass mehr Betriebe ausbilden, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. So sagte Olaf Scholz (SPD) bei einer Kundgebung am 1. Mai:
Wir müssen sicherstellen, dass wieder mehr in Deutschland ausgebildet wird, dann haben wir auch weniger Probleme bei der Suche nach Fachkräften.
Olaf Scholz, Bundeskanzler
Doch wäre das wirklich eine Hilfe? Schließlich wird die Diskrepanz zwischen Bewerbern und verfügbaren Ausbildungsplätzen immer größer. Rund um die Jahre 2015 und 2016 gab es einen Kipppunkt. Seitdem dreht sich das Verhältnis zwischen angebotenen Ausbildungsplätzen und potenziellen Lehrlingen immer mehr um.

Immer mehr Ausbildungsplätze nicht besetzt

Inzwischen haben wir in Deutschland bei den Lehrstellen eine Nichtbesetzungsquote von 28 Prozent. Eine alarmierende Zahl. Jetzt mag man als Hobby-Arbeitsmarktexperte sofort das Thema Demographie in die Waagschale werfen und hat damit auch nicht ganz unrecht. Dennoch ist dies nur ein Teil der Wahrheit und viel zu kurz gesprungen.

Nach dem Abitur eine Ausbildung zu machen, statt zu studieren, klingt für viele wenig attraktiv. Dabei sind die Entwicklungschancen gerade in den Handwerksberufen vergleichsweise gut.

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Seit Jahren gibt es einen Sockel von unversorgten Bewerbern - also auch an Ausbildung Interessierte bekommen einfach keine Lehrstelle. Das ist ein seit Jahren ungehobenes Potenzial für den Arbeitsmarkt und damit das, was die Experten als sogenanntes "Mismatch" bezeichnen. Da passt also irgendwas nicht zusammen und deswegen spricht man auch von Passungsproblemen, die zugenommen haben.

Oft eines Frage des Standortes

Aber was ist es genau, was da nicht passt? Bernd Fitzenberger, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, sagt:
Berufswünsche der jungen Leute, Region und räumliche Lage passen häufig nicht zusammen. Wenn mehr Betriebe ausbilden würden, gäbe es vielleicht mehr Jugendliche, die einen Ausbildungsplatz finden.
Bernd Fitzenberger, Arbeitsmarktexperte
Vieles, was junge Leute interessiert, befindet sich eben nicht am Ort, ist zu weit weg. Und für eine Ausbildung von zu Hause wegziehen wollen inzwischen die Wenigsten. Mehr Angebot in der Fläche wäre also sicher ein richtiger Schritt und möglicherweise das, was der Kanzler in seiner Rede etwas unvollständig forderte.

Pandemie sorgt für Lehrstellen-Entfremdung

Allerdings muss man auch festhalten: Während der Corona-Pandemie haben sich Betriebe und Jugendliche voneinander entfernt. Aus wirtschaftlichen Gründen haben viele Betriebe weniger oder gar keine Ausbildungsplätze mehr angeboten. Gleichzeitig waren etwa Berufspraktika verboten. Und viele entschieden sich wegen der Unsicherheit gegen eine Ausbildung, schlugen andere Wege ein und kamen nicht mehr zurück. Der Trend, sich von der dualen Ausbildung abzuwenden, verstärkte sich so nochmal.
Der Weg zurück ist nun weit. Fitzenberger fordert deshalb auch eine frühere Heranführung an den Berufswunsch. "Dieser muss erst mal definiert werden und da sind wir nicht gut. Deshalb sollten wir Pflichtpraktika stärker vermitteln." Die Vorbereitung auf eine Lehre müsste also schon viel stärker in der Schule gefördert werden. Zudem müsse die Politik auch "Pakete für Schulabbrecher schnüren", um die Attraktivität einer Ausbildung zu erhöhen.

Die Zahl der Schulabbrecher in Deutschland, besonders im Osten, ist hoch. Es gibt viele Gründe, warum sie den Abschluss nicht schaffen: schlechte Noten, Prüfungsangst oder nach Corona den Anschluss verloren.

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Andere Länder sind Deutschland voraus

Ebenso hat ein Blick über den Tellerrand, sprich über Deutschlands Grenzen hinaus, selten geschadet. Fitzenberger führt als Positivbeispiele unsere Nachbarn Schweiz und Österreich an. Während es der Schweiz gelänge, durch "Krisen durchzugehen, weil es für Betriebe zur gesellschaftlichen Norm gehöre, Ausbildung anzubieten und es für Jugendliche in der Schweiz ebenso klar sei, dieses Angebot anzunehmen“, sieht er Österreich durch seine Ausbildungsgarantie gegenüber Deutschland im Vorteil. In Deutschland noch politisch diskutiert, ist sie in Österreich seit Jahren Garant für Ausbildungserfolge.

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Die Maßnahme gilt dort bis zum 25. Lebensjahr. Jeder und jede der/die sich bei der Arbeitsagentur meldet, erhält das Angebot, eine überbetriebliche Lehre anzufangen. Der Staat vermittelt und fördert die Ausbildungsträger. Sie hat nicht nur dazu geführt, dass in Österreich die Jugendlichen im Schnitt mit 16 Jahren eine Ausbildung beginnen, während man in Deutschland erst mit etwa 20 Jahren "in die Lehre geht". Sie ist auch gerade für junge Frauen eine Chance, die in unserem Nachbarland viel häufiger eine Lehrstelle antreten.
Das ist ebenfalls ein hierzulande immer noch zu wenig genutztes Potential. Ausbildung ist in Deutschland nämlich immer noch eher eine "Jungssache". Mehr Ausbildungsplätze alleine werden den Lehrstellenmarkt also nicht retten oder gar den Fachkräftemangel beheben. Aber die richtigen Maßnahmen zusammen genommen könnten einen großen Beitrag dafür leisten.

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