: Ex-Audi-Chef Stadler erhält Bewährungsstrafe

von Peter Aumeier
27.06.2023 | 10:04 Uhr
Seit gut acht Jahren beschäftigt der Diesel-Skandal die Öffentlichkeit. Über die strafrechtlichen Vergehen der Angeklagten wurde nun das Urteil gesprochen. Manchen ist es zu milde.

Im Betrugsprozess um Dieselmotoren ist Ex-Audi-Chef Stadler zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden.

27.06.2023 | 00:23 min
Normalerweise ist Rupert Stadler einer der ersten im Gerichtsaal, geradezu überpünktlich. Heute, am 172. Verhandlungstag, nicht. Heute wird nach mehr als zweieinhalb Jahren das Urteil gesprochen.
Als der Vorsitzende Richter Stefan Weickert sehr knapp und präzise das Strafmaß vorträgt, nimmt Ex-Audi-Chef Stadler, die Gallionsfigur des Prozesses, das Urteil ohne Regung auf. Es ist aber auch keine Überraschung für ihn.

Bewährungsstrafen für die Angeklagten

Mit seinem Geständnis vor wenigen Wochen hatte der heute 60-Jährige den Weg für eine gerichtliche Verständigung, einen sogenannten Deal, freigemacht: Ein Geständnis, dafür die Zusicherung des Gerichts, dass er nicht wieder in Haft muss.

Vor acht Jahren wurde der Diesel-Skandal aufgedeckt. Heute ist Ex-Audi-Chef Stadler wegen Betrugs zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden.

27.06.2023 | 01:41 min
Das Ergebnis für Stadler: Ein Jahr und neun Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung und eine Geldauflage von 1,1 Millionen Euro, zu zahlen an gemeinnützige Organisationen.
Zudem muss Stadler noch Prozesskosten in Höhe von rund einer Million Euro begleichen. Damit gilt der frühere Vorstandsvorsitzende der Audi AG und einer der ehemals mächtigsten Auto-Manager Deutschlands als vorbestraft.

2015

  • Die US-Umweltbehörde EPA wirft im September des Jahres Volkswagen Verstöße gegen das Klimaschutzgesetz "Clean Air Act" vor. Es geht um 482.000 Diesel-Fahrzeuge in Kalifornien.
  • In der Folgezeit gibt Audi den Einsatz von sogenannter "Schummel-Software" in einem großen Dieselaggregat, dem V6-TDI-Motor, zu.
  • VW beauftragt die US-Kanzlei Jones Day, den Abgasskandal und seine Hintergründe aufzuarbeiten. Dazu werden riesige Datenmengen ausgewertet und Manager befragt.

2017

  • Aufgrund der Untersuchungsergebnisse von Jones Day, die nicht veröffentlicht werden, und der Ermittlungsergebnisse der US-Justizbehörden, vergleicht sich VW mit der US-Regierung auf insgesamt 4,3 Milliarden Dollar an Strafen und Bußgeldern. Damit sehen VW und Audi die Dieselkrise als "aufgearbeitet" an, wollen aber mit den Behörden weiter kooperieren. Der frühere Audi-Chef Rupert Stadler selbst sieht sich durch die Untersuchungsergebnisse von Jones Day entlastet.
  • Die Staatsanwaltschaft München II durchsucht im März am Tag der Audi-Bilanz-PK Büroräume des Konzerns in Ingolstadt und Neckarsulm. Auch bei VW in Wolfsburg werden Büros durchsucht. Die Behörden ermitteln gegen Unbekannt wegen des Verdachts des Betrugs und der strafbaren Werbung.

2018

  • Die Staatsanwaltschaft München durchsucht im Februar erneut Büroräume von Audi in München und Neckarsulm. Es geht jetzt erstmals auch um Audi-Modelle mit Abschalteinrichtung, die außerhalb der USA verkauft wurden.
  • Die Staatsanwaltschaft München II ermittelt von Juni an gegen Rupert Stadler persönlich. Er zählt nun zu einem Kreis von 20 Beschuldigten im Abgasskandal
  • 18.06.2018: Rupert Stadler wird festgenommen und kommt in U-Haft. Ihm wird Betrug im Zusammenhang mit dem Verkauf von Dieselfahrzeugen mit manipulierter Abgasreinigung vorgeworfen. Grund der Festnahme ist Verdunklungsgefahr.
  • Anfang Oktober scheidet Rupert Stadler aus dem Vorstand von Audi und VW aus
  • Ende Oktober wird der Haftbefehl gegen Rupert Stadler gegen Kaution ausgesetzt.

2019

  • 31.07.2019: Anklageerhebung durch die Münchner Staatsanwaltschaft.

2020

  • 30.09.2020: Prozess-Beginn in München-Stadelheim

2021

  • 12.01.2021: Rupert Stadler sagt erstmals im Prozess aus
  • 06.08.2020: Anklage gegen vier weitere ehemalige Audi-Manager

2023

  • 25.04.2023: Wolfgang Hatz, ehemaliger Chef der Audi-Motorenentwicklung und Porsche-Vorstand und ein weiterer leitender Ingenieur geben zu, die Software-Manipulationen in Auftrag gegeben zu haben. Sie hatten damit ebenfalls einem Deal zugestimmt.
  • 03.05.2023: Rupert Stadler kündigt an, ein Geständnis ablegen zu wollen. So kann er eine Gefängnisstrafe umgehen.
  • 16.05.2023: Stadler legt ein Geständnis im Audi-Prozess ab.
  • 27.06.2023: Das Landgericht München verurteilt Stadler zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Zudem muss er ein Bußgeld in Höhe von 1,1 Millionen Euro zahlen. Die Wirtschaftsstrafkammer spricht ihn des Betrugs schuldig, weil er den Verkauf von Dieselautos mit manipulierten Abgaswerten zu spät gestoppt hatte.

Urteile als Schlusspunkt von Mammutverfahren

Seit dem 30. September 2020 wurde am Landgericht München, meist im Hochsicherheitssaal der JVA in München-Stadelheim, verhandelt. Allein die Anklageschrift umfasste über 90 Seiten, 190 Zeugen wurden angehört.
Der verursachte Schaden der Dieselmanipulationen, so die Münchner Staatsanwaltschaft, betrug 2,2 Milliarden Euro. Manche nennen eine Summe von über drei Milliarden. Ein Mammutverfahren oder - wie ein Gerichtssprecher es heute nennt - ein "außergewöhnliches Verfahren". Nun der Schlusspunkt.

Motoren hielten Werte nur im Labor ein

Im September 2015 war der Skandal um millionenfach manipulierte Abgaswerte aufgeflogen. Ingenieure um den ehemaligen Audi-Motorenchef und Porsche-Entwicklungsvorstand Wolfgang Hatz hatten für die Manipulation von Motoren gesorgt, damit zwar die gesetzliche Abgaswerte auf dem Prüfstand eingehalten wurden, jedoch auf der Straße überschritten wurden.
Im Juni 2018 war dann der Diesel-Skandal ganz oben in der Audi-AG angekommen. Wegen Verdunklungsgefahr war Rupert Stadler rund vier Monate in Haft genommen worden. Kernvorwurf gegen Stadler: den Verkauf von manipulierten Diesel-Fahrzeugen nicht gestoppt zu haben, nachdem er von der Manipulation erfahren hatte.

Im Dieselskandal hat Ex-Audi-Chef Rupert Stadler heute ein Geständnis abgelegt. Er vermeidet damit eine Gefängnisstrafe und kommt auf Bewährung frei.

16.05.2023 | 01:50 min

Zivilrechtliche Ansprüche nicht mehr zu erwarten

Anders als seinen Mitangeklagten wurde Stadler allerdings nie vorgeworfen, Motoren manipuliert zu haben oder den Auftrag dazu erteilt zu haben. Nun also Bewährungsstrafen für alle drei Angeklagten. Wolfgang Hatz soll 400.000 Euro und der Ingenieur Giovanni P. 50.000 Euro zahlen.
Bereits vor Ostern hatte der mitangeklagte Ingenieur Henning L. ein Geständnis abgelegt und das Verfahren gegen ihn war gegen eine Geldauflage von 25.000 Euro eingestellt worden. Er hatte als Kronzeuge die Mitangeklagten schwer belastet.
Mit weiteren zivilrechtlichen Ansprüchen haben die Angeklagten Stadler und Hatz wohl nicht mehr zu rechnen. Denn gezahlt haben beide Ex-Manager bereits: Volkswagen hatte sich Mitte 2021 mit Stadler auf eine Schadenersatz-Zahlung in Höhe von 4,1 Millionen verständigt. Bei Hatz waren es 1,5 Millionen Euro gewesen.

Im Diesel-Abgas-Skandal hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Betroffene Diesel-Käufer mit eingebauten Thermofenstern grundsätzlich ein Recht auf Schadensersatz haben.

26.06.2023 | 02:35 min

Werden in Wirtschaftsverfahren mildere Urteile gesprochen?

Der frühere Volkswagen-Konzernchef Martin Winterkorn musste 11,2 Millionen Euro zahlen. VW hatte seinen früheren Spitzenverdienern vorgeworfen, sie hätten Sorgfaltspflichten fahrlässig vernachlässigt. Die Abgasaffäre hat den VW-Konzern insgesamt mehr als 30 Milliarden Euro an Strafen und Schadenersatzzahlungen für getäuschte Kunden gekostet.
Schon vor dem Urteil hatten Prozessbeobachter kritisch angemerkt, dass wohl keiner der Angeklagten eine Haftstrafe verbüßen müsse. Der Vorwurf der Kritiker: in Wirtschaftsstrafverfahren werde milder geurteilt als in anderen Verfahren. Diese Kritik trifft offenbar zu, sagen Fachjuristen.
"Der Allgemeinplatz, dass bei Wirtschaftsstrafverfahren milder geurteilt wird, ist richtig", sagt Frank Saliger, Wirtschaftsjurist an der Uni München. Wirtschaftsstrafverfahren seien in der Regel komplizierter und länger. Damit sei auch die zeitliche, finanzielle und psychische Belastung für die Angeklagten höher. "Daher werden diese Verfahren meist milder geahndet," sagt Saliger.
Peter Aumeier ist Redakteur im ZDF-Studio München.

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