: Risiko beim Dieselkauf steigt

von Hans Koberstein
26.06.2023 | 15:12 Uhr
Diesel-Gebrauchtwagen könnten irgendwann amtlich stillgelegt werden. Volkswagen geht in dieser Sache einen eigenen Weg und verlagert wohl das Risiko auf die Käufer von Gebrauchten.

Der Abgasskandal nimmt kein Ende: Noch immer verweigert VW betroffenen Dieselfahrern Entschädigung, während das Bundesverkehrsministerium die Dieselaffäre zur Geheimsache erklärt.

27.06.2023 | 16:31 min
Volkswagen sieht offenbar das Risiko, dass seine Diesel-Gebrauchtwagen eines Tages stillgelegt werden müssen und verlangt von seinen Vertragshändlern, Autokäufer über dieses Risiko zu informieren. Ein entsprechendes Schreiben liegt dem ZDF vor.
Wer bei einem VW-Händler einen gebrauchten Diesel kauft, soll demnach künftig unterschreiben, dass er die amtliche Stilllegung seines neuen Gebrauchten in Kauf nimmt. In einem Brief des Volkswagenkonzerns an seine Händler heißt es:
Dies könnte bis zu einem gegen Fahrzeughalter gerichteten Entzug der Fahrzeugzulassung oder einer Nutzungsuntersagung reichen.
Brief VW-Konzern an seine Händler
Der ADAC warnt: "Kunden gehen ein derzeit schwer kalkulierbares Risiko ein, wenn sie das Dokument unterschreiben". Autoexperte Stefan Bratzel, Chef vom Center for Automotive Management, sieht das ähnlich: "Das Risiko beim Kauf von gebrauchten Dieseln steigt." Und VW-Händlern drohten hohe Abschreibungen, sagt Bratzel:
Viele Fahrzeuge sind dann praktisch nicht mehr verkaufbar.
Stefan Bratzel, Auto-Experte
Der Volkswagen-Konzern rechnet nicht mit einem Einbruch bei den Verkaufszahlen. Man informiere lediglich "potenzielle Käufer von gebrauchten Dieselfahrzeugen vor dem Kauf proaktiv, transparent und schriftlich", so VW.
Wenn sich ein Kunde "nach Kenntnisnahme der Kundeninformation gegen den Kauf eines Dieselfahrzeugs entscheidet", würde ihm ein attraktives Angebot unterbreitet, "zum Beispiel für unsere Elektrofahrzeuge oder Benzinmodelle", erklärte ein VW-Sprecher.

Umwelthilfe sieht in VW-Vorgehen "Bauerntrick"

"Damit will Volkswagen offenkundig weitere Schadenersatzforderungen verhindern", sagt Rechtsanwalt Remo Klinger. Er hatte für die Deutsche Umwelthilfe gegen die Zulassung von VW-Dieselautos geklagt, die den Abgasskandal 2015 ausgelöst hatten. Mit Erfolg: Das Verwaltungsgericht Schleswig hat das Software-Update für rechtswidrig erklärt, das die Autos eigentlich in Ordnung bringen sollte. Wenn das Urteil rechtskräftig wird, droht Volkswagen eine neue Klagewelle. Davor will sich der Konzern nun offenbar schützen.
"Das ist ein Bauerntrick", sagt Jürgen Resch, Geschäftsführer der Umwelthilfe, und warnt davor, einen solchen Kaufvertrag zu unterzeichnen. Betroffen sind laut Schreiben des Volkswagen-Konzerns gebrauchte Dieselautos der Marken VW und Audi, die vor September 2017 produziert wurden. Diese Autos enthalten Abschalteinrichtungen - sogenannte "Thermofenster" - die in jüngsten Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für unzulässig erklärt wurden.
Die Chronologie des Diesel-Skandals:

2015

  • Die US-Umweltbehörde EPA wirft im September des Jahres Volkswagen Verstöße gegen das Klimaschutzgesetz "Clean Air Act" vor. Es geht um 482.000 Diesel-Fahrzeuge in Kalifornien.
  • In der Folgezeit gibt Audi den Einsatz von sogenannter "Schummel-Software" in einem großen Dieselaggregat, dem V6-TDI-Motor, zu.
  • VW beauftragt die US-Kanzlei Jones Day, den Abgasskandal und seine Hintergründe aufzuarbeiten. Dazu werden riesige Datenmengen ausgewertet und Manager befragt.

2017

  • Aufgrund der Untersuchungsergebnisse von Jones Day, die nicht veröffentlicht werden, und der Ermittlungsergebnisse der US-Justizbehörden, vergleicht sich VW mit der US-Regierung auf insgesamt 4,3 Milliarden Dollar an Strafen und Bußgeldern. Damit sehen VW und Audi die Dieselkrise als "aufgearbeitet" an, wollen aber mit den Behörden weiter kooperieren. Der frühere Audi-Chef Rupert Stadler selbst sieht sich durch die Untersuchungsergebnisse von Jones Day entlastet.
  • Die Staatsanwaltschaft München II durchsucht im März am Tag der Audi-Bilanz-PK Büroräume des Konzerns in Ingolstadt und Neckarsulm. Auch bei VW in Wolfsburg werden Büros durchsucht. Die Behörden ermitteln gegen Unbekannt wegen des Verdachts des Betrugs und der strafbaren Werbung.

2018

  • Die Staatsanwaltschaft München durchsucht im Februar erneut Büroräume von Audi in München und Neckarsulm. Es geht jetzt erstmals auch um Audi-Modelle mit Abschalteinrichtung, die außerhalb der USA verkauft wurden.
  • Die Staatsanwaltschaft München II ermittelt von Juni an gegen Rupert Stadler persönlich. Er zählt nun zu einem Kreis von 20 Beschuldigten im Abgasskandal
  • 18.06.2018: Rupert Stadler wird festgenommen und kommt in U-Haft. Ihm wird Betrug im Zusammenhang mit dem Verkauf von Dieselfahrzeugen mit manipulierter Abgasreinigung vorgeworfen. Grund der Festnahme ist Verdunklungsgefahr.
  • Anfang Oktober scheidet Rupert Stadler aus dem Vorstand von Audi und VW aus
  • Ende Oktober wird der Haftbefehl gegen Rupert Stadler gegen Kaution ausgesetzt.

2019

  • 31.07.2019: Anklageerhebung durch die Münchner Staatsanwaltschaft.

2020

  • 30.09.2020: Prozess-Beginn in München-Stadelheim

2021

  • 12.01.2021: Rupert Stadler sagt erstmals im Prozess aus
  • 06.08.2020: Anklage gegen vier weitere ehemalige Audi-Manager

2023

  • 25.04.2023: Wolfgang Hatz, ehemaliger Chef der Audi-Motorenentwicklung und Porsche-Vorstand und ein weiterer leitender Ingenieur geben zu, die Software-Manipulationen in Auftrag gegeben zu haben. Sie hatten damit ebenfalls einem Deal zugestimmt.
  • 03.05.2023: Rupert Stadler kündigt an, ein Geständnis ablegen zu wollen. So kann er eine Gefängnisstrafe umgehen.
  • 16.05.2023: Stadler legt ein Geständnis im Audi-Prozess ab.
  • 27.06.2023: Das Landgericht München verurteilt Stadler zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Zudem muss er ein Bußgeld in Höhe von 1,1 Millionen Euro zahlen. Die Wirtschaftsstrafkammer spricht ihn des Betrugs schuldig, weil er den Verkauf von Dieselautos mit manipulierten Abgaswerten zu spät gestoppt hatte.

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