Interview

: Was ein Grunderbe ab 18 bewirken könnte

08.01.2024 | 12:00 Uhr
Ein Grunderbe als Modell gegen Vermögensungleichheit: Wirtschaftsexperte Thiemann hat dies auch für Deutschland berechnet. Was die Vorteile sind und wo die Nachteile liegen.

20.000 Euro vom Staat für alle 18-Jährigen - egal, ob arm oder reich. Für mehr Chancengleichheit und Vermögensaufbau. Revolutionäre Idee oder völliger Quatsch?

19.02.2024 | 42:26 min
ZDFheute: Wie stark ist das Vermögen in Deutschland konzentriert - im Vergleich zu anderen Ländern?
Andreas Thiemann: Vermögen ist sowohl in Deutschland als auch in vielen anderen Staaten grundsätzlich sehr stark konzentriert.
Das bedeutet: Es gibt sehr wenige Menschen, die sehr viel Vermögen besitzen. Und es gibt sehr viele Menschen, die relativ wenig Vermögen haben. Innerhalb der EU liegt Deutschland hier tendenziell eher am oberen Rand.
ZDFheute: Woran machen Sie das fest?
Thiemann: Da gibt es verschiedene Aspekte. Vermögen besteht zu einem großen Anteil aus Immobilien. Wenn wir zum Beispiel Deutschland mit Spanien vergleichen, ist es so, dass in Spanien deutlich mehr Menschen in ihrem eigenen Haus wohnen als in Deutschland.
Ein weiterer Aspekt sind Rentenansprüche. Deutsche haben vergleichsweise hohe Rentenansprüche, so dass die Notwendigkeit für das Alter privat vorzusorgen geringer ausfällt, als in anderen Staaten. Würden diese dem privaten Vermögen zugerechnet, so würde auch die Vermögensungleichheit geringer ausfallen.

Andreas Thiemann ...

Quelle: ZDF
... ist Wirtschaftswissenschaftler. Während der Promotion forschte er für das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung zu Fragen der Alterssicherung, Erbschafts- und Vermögenssteuern sowie Vermögensverteilung. Im Joint Research Centre der Europäischen Kommission befasste er sich mit Steuerpolitik. Hier untersuchte er zuletzt auch das Grunderbe und seine Verteilungseffekte im europäischen Rahmen. Heute arbeitet er als Referent im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
ZDFheute: Wie wird die Idee eines staatlichen Erbes für junge Menschen in anderen Ländern diskutiert? Das Grunderbe an sich ist ja keine deutsche Idee.
Thiemann: In Frankreich hat der bekannte Ökonom Thomas Piketty vorgeschlagen, allen 25-Jährigen 60 Prozent des nationalen Durchschnittsvermögens beziehungsweise etwa 120.000 Euro auszuzahlen. Nach dem Modell von Piketty sollte der Betrag über eine progressive Erbschafts- und Vermögenssteuer finanziert werden. Progressiv bedeutet, dass die Menschen, die mehr Vermögen besitzen oder höhere Erbschaften bekommen, auch proportional zu ihrem Vermögen mehr bezahlen. Zu einer Realisierung des Vorschlags ist es jedoch nicht gekommen.

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12.12.2023 | 43:28 min
In Großbritannien gab es den "Child Trust Fund" - eine Art staatliches "Zuschussprogramm" für junge Menschen. Konkret erhielten diejenigen, die zwischen September 2002 und Januar 2011 geboren wurden, einen Gutschein in Höhe von 250 Pfund. Bei Kindern von Geringverdienenden wurde der Betrag auf 500 Pfund aufgestockt. Der Gutschein konnte von den Eltern beziehungsweise Erziehungsberechtigten eingelöst werden. Geschah dies nicht, eröffnete die britische Regierung ein Spar- beziehungsweise Anlage-Konto im Namen des Kindes.
Die dabei über Jahre erwirtschaftete Rendite war steuerfrei. Und die Idee dahinter war, für junge Menschen ein gewisses Vermögen aufzubauen, das sie mit 18 Jahren als Startkapital nutzen konnten, um nicht mit null Geld dazustehen.

WISO-Doku: "Ein Erbe vom Staat? - 20.000 Euro für Jeden"

WISO feiert Jubiläum: Das ZDF-Magazin für Wirtschaft und Soziales ist seit 40 Jahren auf Sendung, die erste Sendung war am 3. Januar 1984 im ZDF zu sehen. Zum Start ins Jubiläumsjahr bietet das ZDF am Montag, 8. Januar 2024, um 19:25 Uhr die "WISO"-Dokumentation "Ein Erbe vom Staat? - 20.000 Euro für Jeden". Der Film von Ute Mattigkeit und Katrin Ohlendorf steht auch jederzeit in der ZDFmediathek zur Verfügung.
ZDFheute: Großbritannien hat den Fonds inzwischen eingestellt. Auch das Modell von Piketty wurde nicht realisiert. Warum scheitert die Idee eines Grunderbes bislang in der praktischen Umsetzung?
Thiemann: Es gibt meines Wissens in der Tat kein Land, das ein nachhaltiges Grunderbe eingeführt hat - also mit einem nennenswerten Betrag, der einen wirklichen Unterschied machen würde. Der wesentliche Grund dürfte sein, dass ein Grunderbe sehr teuer wäre.
Nehmen Sie nur mal einen Betrag von beispielsweise 20.000 Euro und multiplizieren ihn mit der Anzahl der Menschen, die in einem Jahr das 18. Lebensjahr vollenden. Dann kommt man relativ schnell auf eine hohe Summe.
Nichtsdestotrotz ist das Grunderbe eine sehr interessante Idee, die auch eine nachhaltige Wirkung entfalten könnte.
Wir haben das für vier europäische Länder in einer Simulation durchgerechnet.
ZDFheute: Mit welchem Ergebnis?
Thiemann: Gemeinsam mit meinen spanischen Kolleginnen und Kollegen haben wir am Joint Research Centre für Deutschland, Finnland, Italien und Irland ein Grunderbe simuliert. Nehmen wir mal das Beispiel Irland. Hier haben wir ein Grunderbe in Höhe von 20.000 Euro angenommen, wobei wir als Finanzierung eine Vermögenssteuer mit einem Freibetrag von einer Million unterstellt haben. Das bedeutet: Nettovermögen wird erst ab einer Million Euro besteuert. In diesem Fall sehen wir, dass netto die reichsten zehn Prozent des Landes das Grunderbe finanzieren, während die anderen 90 Prozent davon profitieren - vor allem die ärmsten 50 Prozent der Bevölkerung.
Insgesamt steigt das Vermögen der ärmsten 50 Prozent der Haushalte sehr viel stärker an als das Vermögen der reichsten zehn Prozent abnimmt. Im Ergebnis konnten wir in der Studie einen ähnlichen Effekt in allen Ländern nachweisen.
Die Vermögensungleichheit ging zurück.

Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erklärt, was hinter der Idee "Grunderbe" steckt.

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ZDFheute: Wie realistisch sind solche wissenschaftlichen Modellrechnungen?
Thiemann: Die Schwierigkeit bei einem Vorschlag wie dem Grunderbe ist, dass Menschen sehr wahrscheinlich ihr Verhalten anpassen, sollte dieser Vorschlag tatsächlich realisiert werden. Wenn ich weiß, dass ich mit 18 oder vielleicht 25 Jahren einen gewissen Geldbetrag bekomme, dann spare ich möglicherweise weniger oder passe meine beruflichen Pläne an.
Dasselbe gilt auch für diejenigen, die das Grunderbe maßgeblich finanzieren. Wenn ich als Millionär oder Milliardär weiß, dass mein Vermögen im Laufe der nächsten Jahre massiv besteuert wird, entscheide ich unter Umständen, meinen Wohnsitz zu verlagern oder könnte versuchen anderweitig der Besteuerung zu entgehen. Bei einem so radikalen Vorschlag ist es sehr schwierig, solche Verhaltensanpassungen angemessen in Modellrechnungen zu berücksichtigen.
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Woher die Daten stammen

Andreas Bornefeld ist Daten-Rechercheur und arbeitet unter anderem im Auftrag von Medien und Unternehmen. Seit über 25 Jahren baut er ein umfassendes Archiv auf, in dem er alle verfügbaren Informationen über Hochvermögende in Deutschland sammelt. Unter anderem nutzt er dafür Quellen wie das Handelsregister und Unternehmensbilanzen.

Auch auf Grundlage seiner Daten erscheinen sogenannte "Reichen-Rankings" regelmäßig in Zeitungen und Zeitschriften. Die hier genannten Vermögenshöhen stammen aus aktuellen Berechnungen einer neuen Studie des Netzwerks Steuergerechtigkeit und der Hans-Böckler-Stiftung des DGB.

Wir als Wissenschaftler haben also leider auch keine Glaskugel. Nichtsdestotrotz können wir durch unsere Modellrechnungen einen gewissen Effekt darstellen und aus einem Modell lernen, in welche Richtung sich ein Grunderbe auswirken könnte.
Das Interview führte Ute Mattigkeit.

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