: Wie Russland westliche Sanktionen umgeht

von Nina Niebergall
02.02.2023 | 21:28 Uhr
Der russische Ministerpräsident reist zum Treffen der Eurasischen Wirtschaftsunion. Ein wichtiger Termin, da die Nachbarländer beim Aushebeln westlicher Sanktionen helfen sollen.
Michail Mischustins Reisen finden in den Augen der Weltöffentlichkeit normalerweise keine große Beachtung. Der russische Ministerpräsident spielt qua Verfassung die zweite Geige hinter Präsident Putin, in der russischen Realität wohl sogar nur die fünfte bis zehnte.
Dennoch ist Mischustins Reise zum Treffen der Eurasischen Wirtschaftsunion in Almaty, Kasachstan, mehr als eine Randnotiz.

Parallelimporte westlicher Marken

Denn die russische Wirtschaft ist angeschlagen, auch wenn der Kreml das ungern zugibt. Nach Zählung der Yale-Universität haben sich 830 Firmen aus Russland zurückgezogen oder liefern nicht mehr dorthin. Sogenannte Parallelimporte sollen helfen, trotzdem an westliche Produkte zu kommen, indem über den Umweg eines Drittlandes importiert wird.
Auch, damit die russische Bevölkerung liebgewonnene Konsumgüter nicht vermissen muss. Und wer wäre dafür besser geeignet als die Mitgliedsländer der gemeinsamen Wirtschaftsunion, in denen das zollfrei möglich ist?
Schon kurz nach Kriegsbeginn in der Ukraine hatte die russische Duma Parallelimporte erlaubt. Auf einer Liste des Moskauer Handelsministerium stehen hunderte Marken, deren Einfuhr über ein anderes Land legal ist. Darunter Mercedes, Volkswagen, Tesla, Miele, Philips, Apple und Samsung.

Handys und Autos aus Kasachstan und Armenien

Im vergangenen Jahr wurden so russischen Angaben zufolge Waren im Wert von 20 Milliarden Dollar eingeführt, das sind etwa sechs Prozent der Gesamtimporte. In Ländern wie Kasachstan, Kirgisistan oder Armenien sind gleichzeitig die Exporte von Handys und Pkw in die Höhe geschossen.
Solche Parallelimporte können unterschiedlich aussehen: Privatpersonen kaufen bei Händlern in Zentralasien in kleinem Umfang iPhones oder Autos und verkaufen sie in Russland zu einem höheren Preis weiter. Oder große Händler kaufen ganze Containerladungen. Und verkaufen etwa über Online-Plattformen weiter an Interessenten in Russland.
Wirtschaftswissenschaftler Michael Rochlitz spricht dennoch von einer "Zwischenlösung" für Russland. Waren über Drittländer zu importieren sei "viel teurer, viel komplizierter und man kann längst nicht die gleichen Mengen importieren."
Mittel- und langfristig ist das größte Problem, dass Russland keinen Zugang mehr hat zu Märkten mit Hochtechnologiegütern. Und die braucht man, um die zivile Wirtschaft aufrechtzuerhalten.
Michael Rochlitz, Wirtschaftswissenschaftler Uni Bremen

Russlands Autobranche eingebrochen

Besonders betroffen ist die Automobilbranche. Im abgelaufenen Jahr sind die Verkäufe um 58,8 Prozent auf knapp 688.000 Autos eingebrochen. Das meldete die in Moskau ansässige Association of European Businesses, ein Zusammenschluss internationaler Investoren. Dabei war Russland 2021 mit einem Verkauf von 1,7 Millionen Neuwagen noch der achtgrößte Automarkt der Welt.

Michael Rochlitz ...

Quelle: Harald Rehling / Universität Bremen
... ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bremen. Er hat viele Jahre in Moskau und Jekaterinburg gearbeitet. Seine Forschung beschäftigt sich vorwiegend mit der russischen Wirtschaft.
Ein Großteil der in Russland verkauften Autos wird im Land selbst produziert. Doch viele Komponenten müssen von westlichen Zulieferern importiert werden.

Bauteile für Waffen werden auch "parallelimportiert"

Das Hauptziel der sogenannten Parallelimporte sei der Waffensektor, so Rochlitz. "Wenn man moderne Waffen herstellen möchte, braucht man Mikrochips und andere Bauteile, die Russland selbst nicht herstellt. Und die sind durch die Sanktionen weggebrochen."
Aus russischen Zollunterlagen, die dem Nachrichtendienst Reuters vorliegen, geht hervor, dass in den sieben Monaten bis zum 31. Oktober 2022 Computerteile und andere elektronische Komponenten im Wert von mindestens 2,6 Milliarden US-Dollar nach Russland importiert wurden. Der Anteil westlicher Bauteile etwa von Intel oder AMD liege demnach bei mindestens 777 Millionen Dollar.

Nachteile für Kasachstan, China und Co.

"Gerade die Chinesen sind sehr vorsichtig und wollen keine Sanktionen brechen, weil die Märkte in den USA und in Europa viel wichtiger für China sind als der russische Markt", erklärt Rochlitz. Er bezweifelt, dass Armenien, Kasachstan oder auch China bereit sind, ein zu großes Risiko einzugehen.
Die EU habe diesen Ländern klargemacht, dass sie ebenfalls auf der Sanktionsliste landen können, wenn sie Parallelimporte zulassen. Langfristig sind die Märkte in Asien, Europa, den USA wichtiger.
Nina Niebergall berichtet als ZDF-Korrespondentin über Russland, Zentralasien und die Kaukasusregion.

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