: Wenn die Online-Annonce in Ausbeutung endet

von Katja Belousova, Christopher Bobyn, Markus Reichert
22.04.2023 | 19:41 Uhr
Viele Ausländer schuften hierzulande unter ausbeuterischen Bedingungen. Auch wenn Behörden punktuell einschreiten, bleiben viele Fälle unerkannt - und Hinterleute oft straffrei.

Angelockt und ausgebeutet

18.04.2023 | 09:11 min
Bojana Rajačićs Weg in die Ausbeutung begann mit einer Facebook-Annonce. Diese versprach lukrative Arbeit in Deutschland. Nach Telefonaten nahm die Serbin den Job an, wurde mit einem Kleinbus nach Baden-Württemberg gebracht. Erst nach ihrer Ankunft wurde ihr bewusst, dass sie getäuscht wurde.
Sie landete in der Nähe von Karlsruhe bei einem Getränkelogistiker, schleppte Getränkekisten. Ein Knochenjob, wie Rajačić sich erinnert. "Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten zwei Schichten hintereinander. Ja wirklich: zwei Schichten, ganze 16 Stunden. Zwei Schichten von je acht Stunden“, erzählt sie ZDF frontal.
Das ist anstrengend. Es ist körperlich und psychisch anstrengend.
Bojana Rajačić

Staatsanwaltschaft Heilbronn ermittelt

Dafür bekam sie einen Stundenlohn von etwa vier Euro, weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn. Die versprochene Unterkunft entpuppte sich als baufälliges Hotel voller Ungeziefer.
Mittlerweile wurde ihr Chef, ein Subunternehmer mit Verbindungen nach Ungarn, vom Zoll verhaftet und sitzt in Untersuchungshaft. 150 ausländische Leiharbeiter, die in Baden-Württemberg und Bayern ausgebeutet wurden, brachten die Beamten auf seine Spur. 
Die Staatsanwaltschaft Heilbronn ermittelt wegen Menschenhandels und Ausbeutung von Arbeitskräften. "Nach ersten Erkenntnissen ging die tägliche Arbeitszeit der eingesetzten Arbeiter weit über das zulässige Maß hinaus", heißt es in der entsprechenden Pressemitteilung.
Die Lohnzahlungen, die die Arbeiter erhielten, waren Schwarzlohnzahlungen unter Mindestlohnniveau. Darüber hinaus sollen sie bei Krankheit keine Lohnfortzahlung erhalten haben.
Staatsanwaltschaft Heilbronn
Gegen den deutschen Getränkelogistiker, für den Rajačić als Leiharbeiterin des ungarischen Subunternehmens tätig war, wird nicht ermittelt. Das Unternehmen teilt mit sagt, er habe den Werkvertrag mit dem Subunternehmer "mit sofortiger Wirkung beendet“ und habe im Ermittlungsverfahren "lediglich Zeugenstatus".

Dubiose Vermittlungsagenturen

31.05.2022 | 08:00 min

Hohe Dunkelziffer bei Arbeitsausbeutung befürchtet

Laut Bundeskriminalamt gab es zuletzt 28 solcher Ermittlungsverfahren im Bereich der Arbeitsausbeutung (Stand 2021). Dies sei aber nur die Spitze des Eisbergs, erklärt die Berichterstattungsstelle zu Menschenhandel. "Wir wissen, das Dunkelfeld ist groß. Aber seriös kann man keine Zahlen benennen“, erklärt Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, bei dem die unabhängige Stelle angesiedelt ist.
Menschenhandel findet in der Mitte der Gesellschaft statt. [...] Es kann nebenan passieren, es kann passieren in der Gaststätte, die ich besuche. Es kann aber auch sein, dass das Obst und Gemüse, das ich kaufe, mit Menschenhandel hergestellt oder gepflückt worden ist.
Beate Rudolf, Deutsches Institut für Menschenrechte

Europarat-Beschluss zu Menschenhandel

Laut Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung von Menschenhandel ist Deutschland verpflichtet, Menschenhandel zu verhindern, zu verfolgen und Betroffene zu schützen. Immer wieder hat der Europarat eine konkrete Strategie der Bundesregierung angemahnt. Im Koalitionsvertrag hat sich die Ampel-Regierung darauf geeinigt, die Bekämpfung von Menschenhandel ressortübergreifend zu koordinieren, die Unterstützung für Betroffene zu verbessern und ihre Rechte zu stärken.

Berichterstattungsstelle zu Menschenhandel

Im November 2022 hat eine unabhängige Stelle zur Beobachtung der Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Menschenhandel ihre Arbeit in Deutschland aufgenommen. Die Stelle ist beim Deutschen Institut für Menschenrechte angesiedelt. Sie soll Daten sammeln und auswerten sowie bewerten, wo es in Deutschland Fortschritte oder Mängel bei der Umsetzung der Menschenhandelskonvention des Europarates gibt. Dabei geht es etwa um die Bekämpfung von sexueller Ausbeutung, Arbeitsausbeutung, Organhandel und Kinderhandel.

Quelle: KNA, epd

Protest von Lkw-Fahrern in Südhessen

Die Opfer sind dabei laut BKA nur in den seltensten Fällen deutsche Staatsangehörige und kommen vor allem aus Südosteuropa. Die Branchen, in denen am häufigsten wegen Arbeitsausbeutung ermittelt wird, sind die Pflege und das Baugewerbe.
Doch auch viele andere Branchen sind betroffen - etwa Speditionen. Auf einer Raststätte in Südhessen protestieren aktuell Dutzende Lkw-Fahrer aus Georgien und Usbekistan gegen ihren Arbeitgeber aus Polen, der ihren Lohn zurückhalten soll.
Dabei hat Deutschland eine Verantwortung gegenüber den Menschen, die auf seinem Boden durch ausländische Firmen ausgebeutet werden. "Noch werden die Rechte von Betroffenen aber nicht in ausreichender Weise geschützt und wahrgenommen", sagt Beate Rudolf.
Deshalb ist es wichtig, dass die Behörden sensibilisiert werden, dass sie Menschenhandel erkennen, dass sie, wenn sie Zweifel haben, sich auch Rat holen. Etwa auch bei Fachberatungsstellen.
Beate Rudolf, Deutsches Institut für Menschenrechte

Behörden zogen Pässe der Arbeiter ein

Dass Deutschland hier Nachholbedarf hat, zeigt nicht nur die vergleichsweise geringe Zahl von Verfahren gegen Arbeitsausbeutung - sondern auch das Verhalten der Institutionen, die auf entsprechende Fälle stoßen.
So zogen die Behörden im Zuge der Ermittlungen von Heilbronn die Pässe der Arbeiter ein. Erst nach etwa einem Monat bekamen sie diese zurück - verbunden mit der Aufforderung, umgehend aus Deutschland auszureisen. Für die Betroffenen war das eine enorme finanzielle Belastung.
Gewerkschafter Philipp Schwertmann vom Verein Arbeit und Leben Berlin-Brandenburg kritisiert das Vorgehen der Behörden scharf - es widerspreche allen internationalen Abkommen, die Deutschland unterzeichnet hat.
Eigentlich steht überall drin, dass die Opfer sicher untergebracht werden, dass sie versorgt werden, dass sie beraten werden. […] Die müssen ihre Rechte kennen!
Philipp Schwertmann, Verein Arbeit und Leben Berlin-Brandenburg

Menschenhandel mitten in Deutschland

09.11.2021

Arbeiter mussten zurück nach Serbien

Bojana Rajačić kannte ihre Rechte nicht - und ist mittlerweile wieder in Serbien.
Ich war unglücklich. Ich konnte meinem Sohn nicht mal Schokolade mitbringen. Ich habe die Unterkunft als Letzte verlassen. Mir war nicht nach Heimkehr.
Bojana Rajačić
In ihrem Heimatland hatte sie sich 500 Euro geliehen, um den ersten Monat in der deutschen Unterkunft, die Anfahrt aus Serbien und die Arbeitskleidung zu zahlen, sagt sie. Sie blieb so lange, um ihre Schulden zurückzuzahlen - trotz allem.

Gemüse für Deutschland

06.04.2021

Hinterleute bleiben straffrei

Während gegen den Subunternehmer, der Rajačić und andere in Deutschland ausgebeutet hat, nun ermittelt wird, werden seine Hinterleute in Serbien bislang nicht belangt - ein Versäumnis mit System.
"Insgesamt betrachtet ist Menschenhandel eine Form der organisierten Kriminalität. Und so sollte es auch in Gerichtsverfahren beurteilt werden. Aber leider passiert das oft nicht. Vor allem, wenn die Behörden die Verbindungen zwischen den Bandenmitgliedern nicht nachweisen können", weiß Marija Vukasinovic von der serbischen Hilfsorganisation Astra.
Ein Mann, der ZDF frontal bestätigt, dass er Arbeitskräfte zu jener baufälligen Unterkunft in Deutschland gefahren hat, wohnt so immer noch ganz in der Nähe von Bojana Rajačić - in Freiheit. Der Kontakt, der damals auf der Facebook-Annonce stand, ist mittlerweile nicht mehr zu erreichen. Seine Rufnummer ist abgemeldet.

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