Interview

: Warum die Gefahr durch Felsstürze steigt

20.06.2023 | 11:36 Uhr
Nach den Felsstürzen in Tirol und Brienz stellt sich die Frage: Wie sicher sind die Alpen? Was Forscher über die Stabilität der Berge und die Uhrzeiten von Felsstürzen wissen.

In Tirol ist ein ganzer Gipfel ins Tal gestürzt - und solche Ereignisse scheinen immer häufiger vorzukommen, wie der Geograph Jan Blöthe erklärt.

13.06.2023 | 05:10 min
Felsstürze in Hochgebirgen sind ein normales, geologisches Phänomen. Aufgrund von Plattentektonik befinden sich Gebirge in einer ständigen Bewegung. Erdbeben und extreme Wetterereignisse, kontinuierliche Erosion oder die Beschaffenheiten des Gesteins sorgen für eine fortwährende Aktivität der Felsen.
Doch die steigenden Durchschnittstemperaturen in den Alpen führen zu einer neuen Dynamik. In Tirol löste schmelzender Permafrost einen Bergsturz aus. Und im Schweizer Ort Brienz verfehlten herabfallende Felsen den Ort nur knapp - nachdem die Bewohner wegen der drohenden Gefahr bereits Wochen zuvor ihre Häuser verlassen mussten. Geograph Jan Blöhte von der Universität Freiburg erforscht die Dynamik in den Bergen im Rahmen des Klimawandels genauer.

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ZDFheute: Die Alpen sind schon immer in Bewegung und Felsstürze gab es schon vor Jahrhunderten. Was ist denn jetzt neu an Dynamik im System?
Jan Blöthe: Was sich heute dramatisch und sehr schnell verändert, sind die zunehmenden Temperaturen in den Alpen. Die führen dazu, dass der Permafrost in den Hochlagen der Alpen schmilzt. Dieser Permafrost hat eigentlich eine stabilisierende Wirkung auf Felsmassive. Das Eis, das kann man sich als den Kitt vorstellen, der Felsmassive zusammenhalten kann. Wenn dieses Eis mit der Erwärmung zu tauen beginnt, dann kommt es vermehrt zu Felsstürzen, wie wir es jetzt auch in Tirol gesehen haben.
ZDFheute: Ihr Kollege sagt, das Wasser verändere sich, das dann in den Felsen eindringt. Wie muss ich mir das vorstellen?
Blöthe: Das Wasser hat einen ganz entscheidenden Einfluss auf die Felsstabilitäten. Die Alpen waren diesen Winter relativ trocken und dann kam im Mai noch mal sehr viel Schnee. Seit Anfang Juni ist es dann sehr warm geworden. Das führt dazu, dass der Schnee, der sich jetzt in den Wochen davor dort angesammelt hat, schnell schmilzt.
Dieses schmelzende Wasser transportiert Wärme in den Untergrund und verändert sehr schnell Prozesse im Untergrund und führt zum schnellen Auftauen des Untergrundes.
Jan Blöthe, Universität Freiburg
Insgesamt verändern sich im Klimawandel auch die Wasserressourcen in den Alpen. Wir beobachten, dass das Einsetzen der Schneedecke etwas später und das Auftauen der Schneedecke wiederum früher stattfindet. Das verschiebt jede Menge Prozesse in den Hochgebirgen heutzutage.

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ZDFheute: Die einzelnen Ereignisse sind natürlich schlimm, aber wie groß ist das Gesamtproblem, wenn man den ganzen Alpenraum betrachtet?
Blöthe: Das Gesamtproblem, so wie wir es jetzt gerade in Tirol gesehen haben, ist eher ein Problem der Hochlagen. Da, wo wir wirklich Permafrost finden - und das sind nur wenige Prozent der Alpen, wo dieser Permafrost heutzutage noch vorkommt - dort ist es schon so, dass wir wirklich eine Erhöhung dieser Ereignisse feststellen können in den letzten Jahren beziehungsweise eher Jahrzehnten.
In den niedrigeren Regionen der Alpen - dort kommen Felsstürze genauso vor, wie in den Permafrostlagen - aber dort können wir bisher noch nicht so genau sagen: Verändert sich wirklich die Frequenz auch mit dem Klimawandel? Aber es geht nicht nur um die Hochlagen der Alpen, sondern verschiedene Beispiele - jetzt aus Italien oder Brienz in der Schweiz: Das sind natürlich genau diese Themen, die uns heute auch außerhalb der Permafrost-Zonen betreffen.

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ZDFheute: Was kommt denn perspektivisch in den nächsten Jahrzehnten auf die Alpen noch alles zu?
Blöhte: Ich glaube, wir kriegen heute tatsächlich einen Vorgeschmack dessen, was wir in den Alpen auch in Zukunft sehen werden. Man kann tatsächlich beobachten, dass solche Felsstürze eine Regelmäßigkeit haben - sowohl im Tagesverlauf als auch im saisonalen Verlauf. Das sind erst einmal - aus meiner Perspektive - ganz gute Nachrichten, da wir diese Naturgefahr heute schon so weit verstehen, dass wir sagen können:
In den Morgenstunden sind Felsstürze weniger wahrscheinlich, sondern eher in den Nachmittagsstunden, wenn sich die Gebirge aufgeheizt haben.
Jan Blöthe, Universität Freiburg
Das Gleiche gilt auch für die saisonale Verteilung. Im Spätsommer beobachten wir besonders große Ereignisse. Im Frühsommer eher kleinere Ereignisse. Dieses Wissen gibt die optimistische Sicht, dass wir die Alpen auch in Zukunft noch nutzen und betreten können. Aber natürlich müssen wir uns auf solche geänderten Gefahrensituationen einstellen.

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ZDFheute: Sie sagen, wir werden die Alpen auch in Zukunft noch nutzen und betreten. Aber wir bauen im Moment wahnsinnig aus. Es werden immer noch Gondeln und Skilifte gebaut. Das wird enden, oder?
Blöhte: Das ist natürlich schwierig zu sagen. Aber ich glaube, es ist wichtig zu wissen, dass sehr viel Energie investiert wird, um solche Anlagen zu sichern und auch wirklich die Felsen drumherum zu monitoren und Gefahrensituationen auszuschließen.
Das Gespräch führte 3sat NANO-Moderator Gregor Steinbrenner am 13. Juni 2023.

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