FAQ

: HIV-Infektionen: Wieso die Zahlen steigen

von Julian Schmidt-Farrent
11.07.2024 | 15:53 Uhr
Die Zahl der Neuinfektionen mit dem Aids-Virus HIV steigt. Das geht aus neuen Zahlen des Robert-Koch-Instituts hervor. Besonders eine Gruppe ist betroffen.
In Deutschland gab es im vergangenen Jahr 2.200 HIV-Neuinfektionen. (Symbolbild)Quelle: dpa
Längst ist eine HIV-Infektion kein Todesurteil mehr - und doch beunruhigen die steigenden Zahlen die Expert*innen. Im vergangenen Jahr infizierten sich laut Robert-Koch-Institut (RKI) rund 2.200 Menschen mit dem Virus, ein Plus von 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Woran liegt das?
Das RKI schätzt die Neuinfektionen anhand von Erstdiagnosen ab. Der neue Anstieg könnte deshalb auch eine Folge von verzögerten HIV-Diagnosen während der Corona-Pandemie sein. Trotzdem sorgen sich Beobachter*innen im Gespräch mit ZDFheute.

Der "Düsseldorfer Patient" Marc Franke berichtet von seiner HIV-Heilung. Seine Ärzte und der HIV-Experte Norbert Brockmeyer ordnen den Behandlungserfolg ein.

28.04.2023 | 10:25 min

HIV: Wo steigen die Zahlen?

Grundsätzlich unterscheidet das RKI bei seiner Analyse zwischen drei Gruppen: Heterosexuelle Menschen, Drogenkonsumierende und die sogenannte MSM-Gruppe - das sind Männer, die Sex mit Männern haben.
Die MSM stellen mit rund 1.200 Fällen mehr als die Hälfte der jährlichen Neuinfektionen. Im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie (2019: 1.400 Fälle) sinkt die Zahl allerdings - ein genereller Trend in dieser Personengruppe. Bei heterosexuellen Menschen ist die Zahl von 520 geschätzten Neuinfektionen auf rund 620 gestiegen. Allerdings mahnt das RKI zur Vorsicht: Schon in der Vergangenheit habe man sich bei dieser Gruppe wegen unvollständiger Meldeangaben verschätzt.

In den 1980er-Jahren war die Sorge vor der Ansteckung mit HIV groß. Noch immer infizieren sich in Deutschland rund 1.800 Menschen pro Jahr.

01.12.2023 | 01:38 min
Mehr Sorgen bereiten Expert*innen hingegen die seit Jahren steigenden Zahlen unter Menschen, die Drogen nehmen. Sei es Heroin, Fentanyl oder andere Drogen - etwa 380 Menschen steckten sich darüber im vergangenen Jahr mit HIV an. Ein Problem: Bei sogenannten "Cluster-Ausbrüchen" infizieren sich Menschen ohne ihr Wissen über unsaubere Spritzen. Holger Wicht von der Deutschen Aidshilfe sieht daher noch Verbesserungsbedarf bei der Aids-Prävention:
Deutschland stellt sich gerne als beispielhaft dar. Gleichzeitig haben wir aber auch große Lücken.
Holger Wicht, Deutsche Aidshilfe
Die Gründe für die steigenen HIV-Neuinfektionen bei Drogenkonsumenten sind noch nicht genau geklärt - klar hingegen sei, dass die Präventionsmaßnahmen nicht reichten, sagt auch der Infektiologe Christoph Spinner vom Münchner Klinikum rechts der Isar. Auch wenn die Fallzahlen in Deutschland relativ niedrig sind: Grundsätzlich sei der Anstieg der Neuinfektionen beunruhigend, egal in welcher Risikogruppe.

HIV-Infektionen verhindern: Was muss passieren?

Expert*innen sehen vor allem Nachholbedarf bei der Risikogruppe der Drogenkonsumierenden: Sie brauchen saubere Spritzen und Konsumräume, fordert Holger Wicht von der Aidshilfe. Allerdings hapere es an Gesetzesänderungen aus der Politik - und Geld für lokale Drogenhilfen.
Jetzt schon bröckeln die Erfolge in dieser Gruppe, die wir über Jahrzehnte aufgebaut haben.
Holger Wicht, Deutsche Aidshilfe
Eine positive Entwicklung gibt es aber bei der MSM-Gruppe - auch wegen neuer Medikamente: Mit "PrEP" ist inzwischen ein Mittel auf dem Markt, das eine Infektion verhindern kann.

Das bedeutet "PrEP"

PrEP ist die Abkürzung für Prä-Expositions-Prophylaxe, auf Deutsch: Vorsorge vor einem möglichen HIV-Kontakt. Bei dieser Schutzmethode nehmen HIV-negative Menschen ein HIV-Medikament ein, um sich vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen.

Die PrEP schützt so gut wie Kondome oder Schutz durch Therapie vor HIV, wenn sie richtig angewendet wird. Es wird empfohlen, PrEP täglich zu nehmen, sie kann auch vor und nach dem Sex genommen werden. Aktuell gibt es Lieferengpässe. Dies hängt auch damit zusammen, dass zwei Hersteller die Produktion eingestellt haben.

Quelle: Deutsche Aidshilfe

Nur: Das Medikament müsse besser verteilt werden, meint Wicht. In Städten übersteige die Nachfrage oftmals das Angebot, während es auf dem Land teilweise komplett an "PrEP" fehle. Außerdem sei mehr Aufklärung bei anderen Risikogruppen wie Sexarbeiterinnen notwendig.

Der diesjährige Welttag der sexuellen Gesundheit dreht sich um die Frage, wann Handlungen einvernehmlich sind. Aktuelle Skandale zeigen, wie viel Klärungsbedarf besteht.

04.09.2023

Wie sieht Deutschland im internationalen Vergleich aus?

Deutschland steht mit rund 2.200 Neuinfektionen pro Jahr vergleichsweise gut da. Weltweit haben sich 2022 laut der Deutschen Aidshilfe rund 1,3 Millionen Menschen mit HIV angesteckt. Allerdings fällt auch diese Zahl seit Jahren beständig - nur in bestimmten Regionen häufen sich wieder die Neuinfektionen.
Vor allem die steigenden Zahlen in Osteuropa und Zentralasien alarmieren die Expert*innen: Risikogruppen wie schwule Männer und Drogenkonsumenten seien hier systematisch diskriminiert, sagt Holger Wicht. Gerade homophobe Gesetze wie in Russland erschwerten die Präventionsarbeit von NGOs.
Es gibt eine Sabotage von Prävention, statt einer staatlichen Förderung.
Holger Wicht, Deutsche Aidshilfe

Trotz jahrelanger Aufklärung wissen immer noch zu viele Menschen zu wenig über HIV. Bis heute erleben Betroffene Ausgrenzung und Diskriminierung - und das in allen Lebensbereichen.

01.12.2022 | 05:27 min

Ist HIV heilbar?

Heute ist ein Leben mit HIV fast problemlos möglich. Mit der rechtzeitigen Therapie sei die Lebenserwartung ähnlich wie bei Nicht-Infizierten, erklärt Infektiologe Spinner. Und: Die Übertragung des Virus kann vollständig verhindert werden.
Hoffnung macht ihm eine Studie aus Südafrika: Der Wirkstoff Lenacapavir wurde Frauen zweimal im Jahr per Spritze verabreicht - und schützte sie zu 100 Prozent. Fast wie ein Impfstoff.
"Wir haben alles, was wir brauchen, um HIV in den Griff zu bekommen", sagt auch Holger Wicht von der Aidshilfe. Das Hauptproblem für Infizierte sei vor allem die Stigmatisierung, auch in Deutschland.
Und dem kann man nicht medizinisch begegnen, sondern da müssen wir als Gesellschaft ran.
Holger Wicht, Deutsche Aidshilfe
Julian Schmidt-Farrent ist Reporter im ZDF-Landesstudio Bayern.

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Quelle: ZDF
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