: Brauchen wir mehr Kant?

von Normen Odenthal
07.01.2024 | 13:02 Uhr
Es koste "Nervensaft", sich mit dem Werk Immanuel Kants zu beschäftigen, klagten selbst seine gebildetsten Zeitgenossen. Aber es lohnt sich noch heute: Kant ist aktueller denn je.

Menschenwürde, Rechtsstaat, freiheitliche Demokratie: Keiner hat unsere moralischen Maßstäbe so geprägt wie Immanuel Kant. Wie würde der Philosoph wohl auf die Gegenwart blicken?

07.01.2024 | 03:00 min
Man kann sich seine Verehrer nicht aussuchen. Putin - heißt es - schätze Kant. Aber würde Kant auch Wladimir Putin schätzen? "Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen", sagt Philosophie-Professor Marcus Willaschek.
Kant war ein Verfechter des freiheitlichen Rechtsstaates, der Demokratie. Den heutigen Zustand des russischen Staates würde er sicher nicht befürworten.
Marcus Willaschek, Kant-Kenner
Und doch - in Kaliningrad, dem früheren ostpreußischem Königsberg - ist die Parole gesetzt: Kant gehöre Russland. Dort, in Königsberg, ist Kant 1724 geboren. Er hat die Stadt nie verlassen. Auch nicht in den vier Jahren seines knapp 80-jährigen Lebens, in denen die Truppen der Zarin die Stadt besetzt hielten, und die nun heute auch die Besitznahme Kants begründen sollen.
Grab des Philosophen Immanuel Kant in Kaliningrad.Quelle: Reuters

"Alleszermalmer" Kant

Kant ist begehrt, man schmückt sich mit dem großen Philosophen, dessen Werke eine Revolution des Denkens begründeten. Einen "Alleszermalmer" nannte ihn der kluge Freund Mendelssohn, halb bewundernd, halb herabsetzend. Vielleicht auch in der Vorahnung, dass Kants Ideen einen fundamentalen Durchbruch markierten - und von großer Nachhaltigkeit sein würden.

Der deutsche Philosoph Immanuel Kant wurde vor 300 Jahren geboren. Als Theoretiker der Weltfriedensordnung sei er auch heute noch aktuell, sagt Kant-Kenner Marcus Willaschek.

07.01.2024 | 03:50 min
"Kant ist aktuell", sagt daher der Kant-Experte Willaschek. Etwa weil er der "große Theoretiker der Weltfriedensordnung ist, die wir heute mehr denn je brauchen". Dass er sich auch da an Putins Russland stoßen würde, liegt auf der Hand. Kant war kein Pazifist, setzte aber doch auf ein Handeln, das den "ewigen Frieden" zum Ziel hat.

Verzweiflung für Kant "moralisch falsch"

Würde Kant an uns heute verzweifeln? Keinesfalls, sagt Marcus Willaschek. "Verzweiflung ist kontraproduktiv und für Kant moralisch falsch. Wir müssen den Mut behalten und auf die richtigen Ziele hinarbeiten." So sei jeder Krieg zwar ein Rückschritt, aber keiner, der Kant überraschen würde, schrieb er doch:
Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.
Immanuel Kant
Laut Willaschek sähe sich Kant eher bestätigt, weil unsere jüngere Geschichte doch viel Annäherung und Frieden zwischen demokratischen Staaten gebracht habe.

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Kants Aufforderung zum kritischen Selbstdenken

Kant in der Beweisführung seines Denkens zu folgen, ist schwierig. Und doch: Viele seiner Erkenntnisse sind so eingänglich, dass sie als erheblicher Beitrag für wesentliche zivilisatorische Entwicklungen gelten. Sein Glaube an den Rechtsstaat, an die Würde des Menschen finden sich im Grundgesetz wieder und bei den Vereinten Nationen. Sein "kategorischer Imperativ" aus der "Kritik der praktischen Vernunft" von 1788 ist das moralische Fundament, an dem man kaum rütteln kann: "Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne."
Die Bundeskunsthalle in Bonn stellt noch bis zum 17. März 2024 den Philosophen Immanuel Kant in einer Ausstellung vor.Quelle: dpa
Ausgangspunkt und vielleicht der bleibendste Gedanke Kants: "Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen" - die Aufforderung zum kritischen Selbstdenken. Aber wäre es im Sinne Kants, was sich heute auf den Straßen genauso vollzieht wie im Internet, dass jeder zu allem eine Meinung hat, sei sie auch noch so abstrus und ohne faktische Grundlage?

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Dazu sagt Kant-Kenner Willaschek: "Das hat eine gewisse Ironie. Leute, die vielleicht nicht sehr gründlich selbst denken, berufen sich auf Kants Aufforderung zum Selbstdenken."
Eine dogmatische Meinung nach dem Motto 'Ich habe immer Recht' ist nicht kritisches Denken im Sinne Kants.
Marcus Willaschek, Kant-Kenner
Dazu gehöre, den eigenen Standpunkt zu hinterfragen und nicht zu meinen, dass man alles besser weiß als andere, so Willaschek.

"Wir wollen Kant nicht auf einen Sockel stellen"

Schließlich war auch Kant ein Mensch mit Fehlern, er äußerte sich sexistisch, rassistisch, judenfeindlich. Das wird auch in der aktuellen Kant-Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle thematisiert. "Wir wollen Kant nicht auf einen Sockel stellen", sagt Thomas Ebers, Co-Kurator. "Wir müssen natürlich auch selbst noch über Kant und unser Denken reflektieren." Ein fürwahr Kant'sches Prinzip also. Das Denken nimmt kein Ende. Besser nicht.

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