: Wie digitale Medien dem Lesen schaden

12.12.2023 | 10:40 Uhr
Schulbücher gelten als altbacken, Tablets als innovativ. Doch trotz digitaler Unterstützung lesen Schüler in Deutschland so schlecht wie nie. Ist die digitale Schule ein Irrweg?

Ist die digitale Schule ein Irrweg? Bildungspsychologen fordern mehr Papier und genaue Analysen darüber, wo digitale Medien sinnvoll sind und wo sie störend wirken.

06.12.2023 | 07:13 min
Deutsche Schüler schneiden beim Pisa-Test 2023 schlechter ab als je zuvor. Nach der internationalen Grundschulstudie Iglu 2023 können 25 Prozent der Viertklässler nicht gut genug lesen und die Entwicklung des Bildungsniveaus ist besorgniserregend. Die Liste der Mängel ist lang, die der Ursachen noch länger.
Immer mehr Schüler und Schülerinnen werden mit geringen Deutschkenntnissen eingeschult, die Corona-Lockdowns gingen nicht spurlos an den Kindern vorbei und der Mangel an Lehrpersonal lähmt die Schulen. Vor allem aber wird das Potenzial digitaler Lern- und Organisationsmethoden nicht ausgeschöpft. Planlos eingesetzt können sie sogar mehr schaden als nützen.

Schulen werden mit Computern und Tablets ausgestattet

In Deutschland werden seit einigen Jahren immer mehr Schulen mit Computern und Co für Schüler und Schülerinnen ausgestattet - teils schon in Grundschulen.
In Bayern, wo schon länger mit dem Slogan "mit Laptop und Lederhose" die Zukunft gestaltet wird, soll jetzt auch noch das Tablet dazukommen. Die Landesregierung hat angekündigt, in den nächsten fünf Jahren über 1,6 Millionen Schüler und Schülerinnen an gut 6.400 bayerischen Schulen mit Tablets auszustatten.

Große Pläne werden auf dem Digitalgipfel der Bundesregierung in Jena diskutiert. Die Schulen kämpfen derweil mit großen Problemen bei der Digitalisierung. Es fehlt an W-Lan, Hardware und Fachpersonal.

20.11.2023 | 02:00 min

Digitalisierung nicht automatisch sinnvoll

Aus erziehungswissenschaftlicher Sicht sei diese Entwicklung kritisch zu beäugen - so Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg. Die heutige Bildung gelinge nicht zwangsläufig mit digitalen Medien besser. Bildungsforschung zeigt, eine Digitalisierung nur der Digitalisierung wegen sei schlicht nicht richtig.
Das macht nur politisch, aber weniger pädagogisch Sinn.
Prof. Dr. Klaus Zierer, Erziehungswissenschaftler, Uni Augsburg

Körper beim Lesen digitaler Texte nicht beteiligt

Damit beruft sich Zierer unter anderem auf eine empirische Bildungsstudie der Universität Sevilla, die offenbart: Pauschal schulischen Unterricht zu digitalisieren, ist aus pädagogischer Sicht völlig unvernünftig. So hemmen digitale Medien die Fähigkeit zur Textproduktion und zum Textverständnis.
Dafür gäbe es zwei Haupthypothesen, so Pablo Delgado, Bildungspsychologe an der Universität Sevilla. Eine sei die fehlende Beteiligung eines Körpers beim Lesen digitaler Texte auf den Bildschirmen. Laut einer Theorie wären unsere Denkprozesse demnach nicht allein auf den Verstand beschränkt, sondern unser Umgang mit Objekten spiele ebenfalls eine Rolle.

Erhöhter Wortschatz durch analoge Bücher

Die zweite Hypothese vermutet, dass es Menschen, die digitale Texte im Internet lesen darum ginge, schnell Informationen zu finden. Dies würde zu einer oberflächlichen Lesegewohnheit führen. Beides beeinflusse das Lernverhalten von Schülern und Schülerinnen.
Auch andere Studien zeigen den Einfluss von digitalen Medien auf das Bildungsniveau. Eine Erhebung des Dortmunder Instituts für Schulentwicklungsforschung zeigt, dass der Wortschatz von Kindern in der vierten Klasse umso größer ist, je häufiger sie analoge Bücher lesen. So können sie sich sprachlich deutlich besser ausdrücken.

Lieber Texte auf Papier oder am Bildschirm lesen? Da gibt es auf jeden Fall Unterschiede.

12.09.2023 | 01:36 min

Digitale Medien müssen erlernt werden

Aber was bedeutet das für die Schulen? Sollen digitale Medien wieder aus dem Unterricht verschwinden? Delgado ist der Auffassung, dass dies nicht die Konsequenz der Studie zur Bildung sein sollte. Vielmehr sollen Schüler und Schülerinnen lernen, wie man diese Werkzeuge nutze. Sie müssten eine Hilfe, keine Hindernisse sein.
Die Nutzung der Instrumente muss ein eigenes Bildungsziel sein.
Prof. Dr. Pablo Delgado, Bildungspsychologe, Universität Sevilla
Andere Länder wie Frankreich, die Niederlande und Schweden haben bereits auf die Entwicklungen reagiert und umgedacht. Schwedens Schulministerin Lotta Edholm stoppte die Digitalisierungsstrategie ihrer Bildungsbehörde und versprach, statt in Onlinetools wieder mehr Geld in gedruckte Schulbücher zu investieren.

Unser Schulsystem braucht dringend eine Verjüngungskur.

07.12.2023 | 29:45 min

Bildungspsychologen fordern mehr Analysen

"Wenn man ehrlich ist, muss man feststellen, dass viele Probleme die wir heute im Bildungsbereich haben, von einer unreflektierten Digitalisierung letztendlich befeuert werden", so Klaus Zierer.
Auch in Deutschland fordern Bildungspsychologen deshalb mehr Papier und genaue Analysen darüber, wo digitale Medien sinnvoll sind und wo sie störend wirken.
Quelle: ZDF

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