: Gibt es mehr Kriminalität in Deutschland?

von Jan Henrich
18.09.2024 | 17:43 Uhr
Der Eindruck, Deutschland sei unsicherer geworden, prägt aktuell die politische Debatte. Doch mit der realen Kriminalitätsentwicklung hat das aus Expertensicht nur wenig zu tun.

Die Ampel-Koalition hat ein Sicherheitspaket erarbeitet: Es soll eine Ausweitung des Messerverbots beinhalten sowie mehr Befugnisse für Ermittler gegen mutmaßliche Täter.

12.09.2024 | 02:00 min
Die Politik diskutiert über ein Sicherheitspaket unter anderem mit Verschärfungen des Waffenrechts und mehr Befugnissen für Ermittlungsbehörden. In der Debatte verschwimmen die Themen Migration, Terrorismus und Kriminalität. Dabei ist die allgemeine Entwicklung von Straftaten in Deutschland nicht so düster, wie häufig dargestellt.

Gesamtzahl der Straftaten in letzten Jahren gesunken

Das lässt schon ein Blick auf die Gesamtzahl der bei der Polizei erfassten Straftaten erahnen. Denn die ist in den vergangenen 15 Jahren nicht gestiegen, sondern sogar leicht gesunken. Obwohl gleichzeitig die Bevölkerung um mehr als zwei Millionen Menschen gewachsen ist.

Innenministerin Faeser hat heute die polizeiliche Kriminalstatistik präsentiert. 2023 wurden fast sechs Millionen Straftaten registriert.

09.04.2024 | 01:58 min
Auch bei Gewaltdelikten, wie beispielsweise Raubüberfälle oder gefährliche Körperverletzung, bewegen sich die registrierten Fälle auf einem ähnlichen Niveau wie 2009.

Höchststand der Tötungsdelikte in 90er-Jahren

Noch deutlicher wird der statistische Unterschied, je weiter man zurückgeht. 1993 hatte die Polizei beispielsweise noch über 5.000 versuchte und vollendete "Straftaten gegen das Leben" verzeichnet.
Darunter fallen Delikte wie beispielsweise Mord, Totschlag oder bestimmte Fälle der fahrlässigen Tötung. Aktuell liegt die Zahl bei rund 3.000 Fällen im Jahr.

Wie Messergewalt vorbeugen? - Täter wie Opfer seien oft Männer, so Huth vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. Mit dem Waffentragen werde häufig ein Persönlichkeitsdefizit ausgeglichen.

12.08.2024 | 11:33 min
Allerdings kann sich auch ein anderes Bild ergeben, wenn man nur kurzfristige Entwicklungen heranzieht. Denn gerade in den vergangenen zwei Jahren hat beispielsweise die Zahl der Gewaltkriminalität in Deutschland wieder zugenommen. Viel diskutiert war zuletzt auch der deutliche Anstieg von Messerangriffen im Jahr 2023.
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Kriminologe mahnt zur Vorsicht bei Statistik-Interpretation

Aus kriminologischer Sicht sei Deutschland dennoch im vergangenen Jahrzehnt objektiv sicherer geworden, betont Tobias Singelnstein, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt. Der Kriminologe warnt allerdings davor, nur aufgrund der Fallzahlen Rückschlüsse auf die Kriminalitätsentwicklung zu ziehen:
Die Zahlen zeigen nur die Registrierungstätigkeit der Polizei. Mit Schlüssen auf die tatsächliche Kriminalitätsentwicklung sollte man sehr vorsichtig sein.
Tobias Singelnstein, Kriminologe, Goethe-Universität Frankfurt
Denn die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik würden von vielen Faktoren beeinflusst. Beispielsweise davon, wie hoch die Bereitschaft in der Bevölkerung ist, Straftaten auch anzuzeigen. Aus diesem Grund müsse das sogenannte Dunkelfeld stärker erforscht werden, so Singelnstein, damit man belastbarere Aussagen treffen könne. Auch die Corona-Pandemie könnte Einfluss auf die Statistik gehabt haben.
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"Hellfeld"- und "Dunkelfeldforschung"

Die jährlich veröffentlichte Polizeiliche Kriminalstatistik berücksichtigt nur das sogenannte "Hellfeld". Darunter versteht man die der Polizei bekannt gewordenen Fälle von Straftaten. Ziel der "Dunkelfeldforschung" ist es, etwa durch Bevölkerungsbefragungen, verlässliche Angaben zur tatsächlichen Kriminalitätsentwicklung zu bekommen - also auch zu allen Straftaten, die aus unterschiedlichen Gründen nicht bei der Polizei angezeigt werden.

Quelle: Bundesinnenministerium

Kriminalitätswahrnehmung geprägt von unterschiedlichen Faktoren

Der Kriminologe sieht zudem eine Diskrepanz zwischen Wahrnehmung von Kriminalität und deren realer Entwicklung. Beispielsweise sei das Bild von Sicherheit stark von der medialen Darstellung geprägt.
Das subjektive Sicherheitsempfinden hat wenig mit der tatsächlichen Kriminalitätsentwicklung zu tun.
Tobias Singelnstein, Kriminologe, Goethe-Universität Frankfurt
Studien zeigen auch immer wieder, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Entwicklung von Kriminalität pessimistischer einschätzt, als sie tatsächlich ist.

Kriminaltechnik hilft Straftaten und Verbrechen aufzuklären und sogar zu verhindern. Immer raffiniertere Methoden sorgen für immer höhere Aufklärungsquoten.

27.04.2021 | 42:40 min
Unter anderem hatten in einer 2015 veröffentlichten repräsentativen Befragung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, fast zwei Drittel der Befragten angegeben, dass die Kriminalität zunehmen würde.
Jan Henrich ist Redakteur in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.

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Quelle: ZDF
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