: Wie man Stress in Flow umwandeln könnte

19.04.2023 | 08:24 Uhr
Stress, Stress, Stress - überall lauert er. Vor allem auf der Arbeit. Experten werben nun dafür, den Blick darauf zu ändern, den Stress sinnvoll zu nutzen.
Ein Mann sitzt angestrengt am Laptop bei der Arbeit (Illustration)Quelle: colourbox.de
Manche erleben ihn beim Joggen, andere versinken beim Malen darin. Kinder kennen ihn oft am besten, und gelegentlich stellt er sich sogar beim Putzen ein: Die Rede ist vom Flow. In einer Tätigkeit ganz aufzugehen, vertieft und zugleich konzentriert zu sein - so beschreibt die positive Psychologie das, was Menschen mit dem Satz meinen: "Ich war richtig im Flow."
Als erster hat der ungarische Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi dieses Phänomen erforscht, die "optimale Erfahrung". Diese Momente, betonte der 2021 verstorbene Experte, seien allerdings nicht passiv und entspannend. Sie ereigneten sich vielmehr dann, "wenn Körper und Seele eines Menschen bis an die Grenzen angespannt sind, in dem freiwilligen Bemühen, etwas Schwieriges und etwas Wertvolles zu erreichen".

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Nicht nur Überforderung kann zu Stress führen, sondern auch Unterforderung

Doch laut Umfragen erlebt sich mindestens ein Drittel aller erwachsenen Menschen in Deutschland als gestresst, häufig sogar als stark gestresst. Psychotherapeut Andreas Hillert behandelt an der Schön Klinik Roseneck in Prien zahlreiche Betroffene, er betont:
Es geht nicht darum, Stress zu vermeiden - sondern darum, den idealen Mittelweg zu finden und den Flow zu nutzen.
Andreas Hillert, Leiter Tagesklinik der Schön Klinik Roseneck
Denn die schönsten Gefühle funktionierten "nur mit der richtigen Stress-Portion", sagt Hillert. "Ganz große Flow-Momente sind eher selten. Häufiger, wenn es einem gelingt, lassen sich die Weichen so stellen, dass positive Momente in Situationen möglich werden, die zunächst einmal nicht danach ausgesehen haben." Als Beispiel nennt er eine Schulstunde, in der sich spontan eine angeregte Diskussion entspinnt, Lehrer und Schülerinnen einander Bälle zuspielen und hinterher sagen: Die Zeit ist wie im Flug vergangen.
Hinzu kommt: Nicht nur Überforderung kann zu Stress führen, sondern auch Unterforderung. Wer sich ständig langweilt, lähmende Stagnation und Frust erlebt, wird ebenso wenig in den Flow kommen wie jemand, der dauerhaft am Anschlag ist und nie durchatmet.
Erschöpfung komme nicht von Anstrengung, sondern sei eher die Folge von Fremdbestimmung und Sinnverlust, erklärt der österreichische Bestsellerautor Andreas Salcher. Menschen, die im Flow bei einer Tätigkeit aufgehen, fühlten sich dagegen nie erschöpft.

Flow entsteht durch optimale Anforderungen

Nach Worten der Forscherin Birte Thissen könnte das Flow-Gefühl evolutionsbiologische Hintergründe haben. Ein Flow entstehe durch eine optimale Anforderungssituation bei einer Tätigkeit, die Menschen dazu motiviere, diese Tätigkeit zu wiederholen, sagte sie kürzlich der Zeitschrift "Psychologie Heute". Durch die Wiederholung werde wiederum die Fähigkeit trainiert:
Und beim nächsten Mal brauche ich dann eine etwas höhere Herausforderung, um wieder in den Flow zu kommen - so lange, bis ich richtig gut in dem bin, was mich in den Flow bringt.
Birte Thissen, Fakultät für Psychologie und Bewegungswissenschaft an der Universität Hamburg
Es handle sich um einen Zustand, "den wir als so positiv empfinden, dass wir ihn mehr oder weniger bewusst anstreben", erklärte Thissen, die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg ist. Gewohntes zu finden und gleichzeitig Neues zu erleben, sei "die perfekte Mischung" für einen Flow. Studien deuteten zudem darauf hin, dass ein ruhiger innerer Zustand hilfreich sei. Auch werde derzeit untersucht, inwieweit Imaginationsübungen dafür sorgen könnten, eher in einen Flow zu kommen.
Hier einige Tipps für Ihre Suche nach dem Flow:

Tipps für mehr Flow-Momente in Beruf und Alltag

Sich selbst und die Welt vergessen, in harmonischem Einklang, sich einer Sache allein um ihrer selbst willen widmen - so beschreiben Menschen das Phänomen Flow. Doch im Alltagstrubel ist es oft nicht einfach, diese Mischung aus Ruhe und Konzentration, aus Herausforderung und Zufriedenheit zu finden. Fachleute haben einige Tipps:

Kein Perfektionismus

Das Ziel muss nicht immer "ein schönes und besonderes Endergebnis sein", betont Kreativ-Mentorin Sinah Birkner.

Viele Menschen seien kreativ, weil es ihnen gut tue. Sich dafür die Zeit zu nehmen, sei "der beste Grund überhaupt".

Dem inneren Kind Raum geben

Kindern fällt es leicht, sich etwa aufs Basteln, Malen oder Klettern einzulassen. "Diese Fähigkeit kommt uns leider mit der Zeit abhanden", sagt Birkner. Insofern könne es eine tolle Erfahrung sein, bewusst wieder einmal "Kinderkram" zu machen.

Ausprobieren

Was Menschen als stressig erleben, ist nach Worten des Psychiaters Andreas Hillert sehr individuell. Daher hilft jeder und jedem etwas anderes beim Gegensteuern: "Es geht nicht darum, Stress zu vermeiden - sondern darum, den idealen Mittelweg zu finden und den Flow zu nutzen."

Grenzen setzen

Manchmal ist zunächst eine große Anstrengung erforderlich, um Dauerstress abzubauen. Zum Beispiel: den Job wechseln, weil man bei der alten Stelle nicht vorankommt, über- oder unterfordert ist, nicht wertgeschätzt wird. In einer solchen Situation gilt es nach Worten Hillerts innezuhalten und abzuwägen, welche Anstrengung sich am Ende lohnen könnte.

Klein anfangen

…oder sogar "klitzeklein", sagt Birkner. Schon eine zweiminütige Pause zum Durchatmen oder nebenbei auf einem Block zu kritzeln, könne hilfreich sein. Sie rät zudem dazu, den eigenen Alltag "durch die Achtsamkeitsbrille" zu prüfen - was tut wirklich gut, und was ist reine Gewohnheit?

Quelle: KNA

Quelle: Paula Konersmann, KNA

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