: Influencer als digitale Jünger

von Luis Jachmann, Paris
09.04.2023 | 14:32 Uhr
Immer mehr junge Erwachsene in Frankreich lassen sich taufen. Zu verdanken hat die katholische Kirche den Zuwachs auch Influencern.
Die katholische Kirche wird bei jungen Franzosen und Französinnen immer beliebter.Quelle: ClipDealer
Fast ein wenig beseelt schleicht Inès Alif mit ihrem langen schwarzen Mantel durch die älteste Kirche in Paris, zündet eine Kerze an, bekreuzigt sich. In Saint-Germain-des-Prés ließ sich die 21-Jährige am Karsamstag taufen.
Für sie ist das mittelalterliche Gotteshaus ein besonderer Ort: "An einem Maitag habe ich das erste Mal diese Kirche betreten. Aus reinem Zufall. Ich war ergriffen, habe eine ganz innige Beziehung zu diesem Ort entwickelt. Und hier werde ich jetzt getauft, kurz vor dem wichtigsten Tag: der Auferstehung Jesu", sagt Alif.

Gemeinsames Bibelstudium mit Gleichaltrigen

Zwei Jahre lang hat sich die Philosophiestudentin intensiv auf ihre Taufe vorbereitet. Alle zwei Wochen hat sie sich mit neun anderen jungen Erwachsenen zusammengefunden: Gemeinsam haben sie die Bibel studiert, zu Abend gegessen, sich ausgetauscht.

Junge Menschen wollen mehr für Gott da sein und den Menschen helfen.

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Viele von ihnen haben in ihrer Kindheit mit Religion wenig zu tun gehabt. Anders bei Alif: "Ich bin in einer muslimischen Familie aufgewachsen. Ich hatte eine schwierige Jugend, auch mein Studienbeginn war nicht einfach."
In dieser Zeit bin ich dem Herrn begegnet und alles hat sich zum Besseren verändert.
Inès Alif, lässt sich mit 21 Jahren taufen
Die Entscheidung, sich als junge Erwachsene taufen zu lassen, sei mit der Zeit gereift. Wie die Pariserin gehen immer mehr junge Französinnen und Franzosen diesen Schritt. Laut der französischen Bischofskonferenz ist die Anzahl der Getauften zwischen 18 und 25 Jahren um 20 Prozent höher als im Vergleich zu den Zahlen von vor 15 Jahren.

Kirchensoziologe: Immer weniger Kleinkinder und Babys werden getauft

Der Kirchensoziologe Charles Mercier erkennt darin einen Nachholeffekt: "Die Zahl der Neugeborenen, die in den ersten Lebensjahren getauft werden, nimmt ab. Sie entscheiden sich erst später bewusst, der katholischen Kirche beizutreten". Und:
Weniger Kinder werden religiös erzogen.
Charles Mercier, Kirchensoziologe
Hinzu käme aber die Tendenz, dass Frankreichs Jugend wieder gläubiger ist als die Elterngeneration. Mercier verweist auf Studien: Die Hälfte der jungen Leute glauben an Gott.
So viele waren es seit den 1980er Jahren in Frankreich nicht mehr. "Die junge Generation ist vernetzter durch die Globalisierung. Sie sieht in den sozialen Netzwerken religiösen Content aus anderen Kulturkreisen. Damit hebt sie sich von der Elterngeneration ab".

Influencer werben für die Kirche

In anderen Teilen der Erde haben muslimische Influencer auf Instagram, TikTok und Co teils mehrere Millionen Follower. Davon können katholische Trendsetter in Frankreich bislang nur träumen.
Seit der Pandemie, als alle viel zuhause waren, werden sie mehr geklickt, so der Soziologe. Bruder Paul Adrien ist einer der erfolgreichsten Influencer im Land. Im Dominikanerkloster in einem Pariser Vorort hat er sich eine Kulisse gebaut, dazu Kamera- und Tonequipment besorgt.
Seine Ordensgemeinschaft hat die Anschaffungen finanziert. Täglich produziert Bruder Adrien kurze Clips über Themen wie die Fastenzeit, Bibel-Tätowierungen oder wütende Priester.
"Ich bekomme viele Kommentare unter meinen Videos von Menschen, die Jesus entdecken. Wenn ich in eine Kirche gehe, sagen mir oft Leute, dass sie sich auch wegen meiner Clips taufen lassen. Meistens sind sie zwischen 20 und 30 Jahre alt und männlich", sagt der Geistliche.

Influencer können Menschen zurück in die Kirchen bringen

Er selbst ist mit 42 Jahren der zweitjüngste der acht Ordensbrüder im Kloster. Auch Alif, die sich jetzt taufen lässt, schaut sich seine Videos an.
Bruder Adrien zeigt auch bei einem besonders heiklen Thema klare Kante: den Missbrauchsskandalen innerhalb der katholischen Kirche. Auch in Frankreich sind einige zuletzt publik geworden. "Ich bin nicht dafür da, um die Kirche zu verteidigen. Wenn sie Mist baut, muss man das klar benennen", sagt der Ordensbruder.
Ausgerechnet Influencer wie er könnten der Institution Kirche einen Dienst erweisen: Sie weisen ihren digitalen Jünger den Weg zurück in die Gotteshäuser.
Quelle: ZDF

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