: Spionage? Moskau lässt US-Reporter verhaften

30.03.2023 | 19:50 Uhr
In Russland ist ein US-Journalist wegen angeblicher Spionage festgenommen worden. In Washington hat man keine Zweifel, dass die Vorwürfe gegen den Reporter konstruiert sind.
Der US-Journalist Evan Gershkovich (Archivbild) ist in Russland festgenommen worden. Quelle: Reuters
Der russische Geheimdienst FSB hat laut Staatsmedien den US-Journalisten Evan Gershkovich in Jekaterinburg wegen angeblicher Spionage festgenommen. Gegen den Reporter des "Wall Street Journal" sei ein Strafverfahren eingeleitet worden. Ein Gericht in Moskau ordnete zunächst bis zum 29. Mai Untersuchungshaft an. Dem 1991 geborenen Journalisten drohen bei einer Verurteilung bis zu 20 Jahre Haft. Die Zeitung wies die Vorwürfe gegen ihren Mitarbeiter zurück.

Scharfe Kritik aus Washington an Gershkovich-Festnahme

Auch die US-Regierung verurteilte die Inhaftierung aufs Schärfste. "Die Verfolgung amerikanischer Staatsbürger durch die russische Regierung ist inakzeptabel", teilte das Weiße Haus am Donnerstag mit. "Wir sind zutiefst besorgt über die beunruhigenden Berichte, dass Evan Gershkovich, ein amerikanischer Staatsbürger, in Russland festgenommen wurde."
Das US-Außenministerium stehe in direktem Kontakt mit der russischen Regierung und bemühe sich aktiv darum, Gershkovich konsularischen Zugang zu verschaffen. Die US-Regierung erneuerte ihren Aufruf an US-Staatsbürger, sofort aus Russland auszureisen.

USA sprechen von Einschüchterung

Einschätzung von Claudia Bates, Korrespondentin im ZDF-Studio Washington

Die US-Regierung lässt keinen Zweifel daran, dass sie die russischen Vorwürfe gegen den US-Journalisten Evan Gershkovich für konstruiert und frei erfunden hält. US-Außenminister Blinken spricht von Versuchen, Journalisten einzuschüchtern, zu unterdrücken und zu bestrafen. US-Bürger werden aufgerufen, Russland sofort zu verlassen. Die US-Regierung befürchtet, dass Russland Gershkovich festgesetzt hat, um die USA unter Druck zu setzen und ein Faustpfand zu haben, so wie sie das bereits bei früheren Festnahmen und Verurteilungen von US-Bürgern eingeschätzt hat.

Denn der Fall weckt Erinnerungen an die Festnahme der Basketball-Spielerin Brittney Griner, die am Moskauer Flughafen mit einer geringen Menge Cannabis-Öl erwischt wurde, nach eigenen Angaben vom Arzt verschrieben gegen verletzungsbedingte Schmerzen. Es gelang Moskau, im Austausch gegen sie Victor Bout freizubekommen, den so genannten "Händler des Todes", der verbrecherische Regime und Rebellen illegal mit Waffen ausgerüstet hat.

Auch der frühere US-Soldat Paul Whelan sitzt in einem russischen Gefängnis, Russland wirft ihm Spionage vor, was Whelan leugnet. Möglicherweise besteht auch ein Zusammenhang mit der Anklage gegen einen russischen Staatsbürger in den USA, die das US-Justizministerium vor sechs Tagen bekanntgegeben hat. Sergey Cherkasov soll – getarnt als brasilianischer Student – als russischer Spion in den USA tätig gewesen sein und dann versucht haben, den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu infiltrieren. Er sitzt zur Zeit in Brasilien im Gefängnis. 

US-Journalisten sprechen von einem Tiefpunkt der russisch-amerikanischen Beziehungen und sind besorgt, dass die Spannungen zwischen den Ländern ihre Arbeit nun noch gefährlicher machen. Viele westliche Medien hatten erst im vergangenen Jahr ihre Präsenz in Russland reduziert, nachdem neue Gesetze erlassen worden waren, die eine wahrheitsgemäße und unabhängige Berichterstattung über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erheblich erschweren. Journalisten, die dem Kreml widersprechen, riskieren demnach eine Gefängnisstrafe.

Gershkovich war sich der Gefahren bewusst, gleichzeitig wurde seit dem Kalten Krieg kein US-Journalist mehr wegen Spionagevorwürfen festgenommen. Insofern ist dieser Fall außergewöhnlich und besonders bedeutend. Die US-Regierung wird versuchen, den Reporter des Wall Street Journals freizubekommen, üblicherweise kann dies jedoch frühestens nach einer Verurteilung gelingen.

Die Strafjustiz in Russland gilt als politisch gesteuert, die meisten Anklagen enden mit einem Schuldspruch. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB hatte zuvor mitgeteilt, den Mann in Jekaterinburg im Ural wegen "Spionage im Interesse der amerikanischen Regierung" festgenommen zu haben. Gegen ihn sei ein Strafverfahren eingeleitet worden. Gershkovich habe im Auftrag der USA Informationen über den militärisch-industriellen Komplex in Russland gesammelt, die ein Staatsgeheimnis darstellten.
Beim Versuch, geheime Informationen zu erhalten, wurde der Ausländer in Jekaterinburg festgenommen.
Russischer Geheimdienst FSB

Reporter wollte offenbar über Anwerbung für Wagner-Truppe schreiben

Medien hatten zuvor berichtet, der Reporter sei verschwunden. Er hatte demnach versucht, eine Reportage über die Einstellung der Bevölkerung zu den Anwerbeversuchen der Privatarmee Wagner zu schreiben.
Evan Gershkovich arbeitet schon seit vielen Jahren für westliche Medien in Russland, der Ukraine und Staaten der früheren Sowjetunion. (Archivbild)Quelle: AFP
Der Kreml hält die Vorwürfe für berechtigt, wie Kremlsprecher Dmitri Peskow am Donnerstag im staatlichen Rundfunk erläuterte:
Soweit uns bekannt ist, wurde er auf frischer Tat ertappt.
Dmitri Peskow, Kremlsprecher
Zuvor hatte schon Außenamtssprecherin Maria Sacharowa den vom FSB erhobenen Vorwurf der Spionage gegen Gershkovich bestätigt und westlichen Korrespondenten allgemein vorgeworfen, unter dem Deckmantel des Journalismus gegen Russland zu spionieren.
Sacharowa sagte, womit sich Gershkovich in Jekaterinburg befasst habe, habe nichts mit Journalismus zu tun.
Leider ist dies nicht der erste Fall, wo der Status eines ausländischen Korrespondenten, das Journalistenvisum und die Akkreditierung von Ausländern in unserem Land zur Verschleierung einer Tätigkeit genutzt werden, die kein Journalismus ist.
Maria Sacharowa, Außenamtssprecherin Russland
Das Gebiet Swerdlowsk um Jekaterinburg gilt als eine der Hochburgen der russischen Rüstungsindustrie. Er hoffe nicht, dass es nun Repressionen gegen russische Journalisten in den USA gebe, sagte Peskow auf Nachfrage.

"Wall Street Journal" weist Vorwürfe zurück und fordert Freilassung

Das "Wall Street Journal" hat derweil alle Vorwürfe gegen seinen Reporter dementiert und dessen Freilassung gefordert.
Das "Wall Street Journal" ist tief besorgt um die Sicherheit von Mister Gershkovich.
Stellungnahme Zeitung "Wall Street Journal"
"Wir sind solidarisch mit Evan und seiner Familie", teilte die Zeitung mit. Die Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" nannte die Festnahme des 1991 geborenen Reporters "besorgniserregend".
Journalisten dürfen nicht zur Zielscheibe werden.
Reporter ohne Grenzen
Auch die Bundesregierung äußerte sich "tief besorgt" über die Verhaftung Gershkovichs. "Die Arbeit von in Russland akkreditierten ausländischen Korrespondentinnen und Korrespondenten muss ungehindert und ohne Einschüchterungen möglich sein", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am Donnerstagabend. "Journalismus darf nicht kriminalisiert werden."
Der demokratische Abgeordnete Jared Moskowitz, Mitglied im House Foreign Affairs Committee sitzt, forderte bei CNN die sofortige Freilassung von Gershkovich. Man befinde sich auf einem "sehr gefährlichen Territorium" mit Putin. Es gehe offenbar darum, ein menschliches Wesen als Hebel einsetzen zu können. Er warnte Putin davor, ein "solches "Spiel" zu spielen.

Verschärfte Gesetze gegen Medien

US-Amerikaner werden immer wieder in Russland wegen Spionage verdächtigt. Das dürfte der erste Fall eines Journalisten sein, der offiziell beim russischen Außenministerium akkreditiert ist.

200 kremlkritische Organisationen, Medien und Einzelpersonen sind bereits sogenannte 'ausländische Agenten': Es reicht die Absicht, im Sinne eines Ausländers zu handeln, um zum Agenten erklärt zu werden.

30.11.2022 | 02:30 min
Russland hatte zuletzt im Zuge des Ukraine-Kriegs die Gangart gegen westliche Journalisten verschärft. 2022 hat die russische Führung im Zuge ihres Angriffskriegs gegen die Ukraine die Meinungs- und Pressefreiheit im Land noch einmal deutlich mit einem neuen Mediengesetz eingeschränkt.

Opposition kritisiert Festnahme als "Geiselnahme"

Die russische Opposition sprach von einer "Geiselnahme". "Putin ist bereit, jede Methode anzuwenden, um Druck auf den Westen auszuüben", teilte das Team des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny mit.
Kremlchef Wladimir Putin hatte in der Vergangenheit immer wieder inhaftierte russische Kriminelle in den USA durch einen Austausch mit in Moskau verurteilten Amerikanern freibekommen.
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:
Quelle: dpa, AP

Thema

Aktuelle Nachrichten zur Ukraine