Analyse

: Eine Ohrfeige für Brüssel

von Isabelle Schaefers, Brüssel
15.05.2024 | 17:34 Uhr
Die EU hat die georgische Regierung dazu aufgerufen, das Gesetz zur Einschränkung des ausländischen Einflusses zurückzuziehen. Die Reaktion kommt spät und zurückhaltend.
Die georgische Bevölkerung zeigt sich nach der Verabschiedung des "Agentengesetzes" pro-euopäisch. Das Europaparlament reagiert solidarisch.Quelle: AFP/Vano Shlamov
Für viele in Brüssel muss sich der Tag gestern wie eine Ohrfeige angefühlt haben. Im Dezember erst hatte man sich dazu durchgerungen, Georgien den Status als EU-Beitrittskandidat zu verleihen. Obwohl das Land noch nicht so weit ist. Deshalb auch nur unter Auflagen.
Aber das Signal war klar: Ihr gehört zu uns. Nun muss Brüssel seit Wochen zuschauen, wie Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Schutz der Zivilbevölkerung und Medienfreiheit - alles Bedingungen für eine weitere Annäherung - von der georgischen Regierung verraten werden.

ZDF-Korrespondent Armin Coerper sieht eine "skurrile Situation": Die Regierung habe den Status des EU-Beitrittskandidaten verhandelt, um sich später Richtung Russland abzuwenden.

14.05.2024 | 05:04 min

"Agentengesetz": Georgien am Scheideweg

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mahnte Anfang Mai, Georgien befinde sich an einem Scheideweg. Sie rief das Land auf, "den Kurs Richtung Europa" beizubehalten. Am Dienstagmittag noch sagte ein Sprecher der EU-Kommission: "Die Erwartungen sind klar: Wenn dieses Gesetz angenommen wird, wäre das ein Problem auf dem europäischen Weg für Georgien. Aber wir sagen dazu etwas, wenn die Entscheidungen klar sind."
Dann kam die Entscheidung. Und aus den EU-Institutionen kam: Stille. Die EU-Mitgliedsstaaten hatten am Montag bereits versucht, sich auf eine gemeinsame Erklärung zu einigen. Eine starke mahnende Botschaft - wenn alle 27 dahinter stehen.
Doch Ungarn und die Slowakei gingen nicht mit, wohl weil sie sich nicht in innenpolitische Angelegenheiten einmischen wollen. So blieb es an der EU-Kommission hängen, alleine eine Reaktion zu verfassen - mit weniger Gewicht. Doch auch am Dienstagabend, Stunden nach der Abstimmung im georgischen Parlament: nichts. Zu hören war: Der EU-Kommissar für Erweiterungsfragen, ein Ungar, habe sich quergestellt.

Proteste in Georgien für den Traum von Europa

Am Mittwochvormittag dann die sehr verspätete schriftliche Reaktion der EU-Kommission. Auch hier heißt es wieder, die Verabschiedung des Gesetzes wirke sich negativ auf die Fortschritte Georgiens auf dem Weg zur EU aus.
Die Entscheidung über den weiteren Weg liegt in Georgiens Händen. Wir fordern die georgischen Behörden nachdrücklich auf, das Gesetz zurückzuziehen.
Schriftliches Statement der EU-Kommission
Und dann kommt ein Satz, der einen weiteren Grund aufzeigt, warum die EU so zögerlich reagiert: "Die EU ist bereit, Georgien weiterhin bei seinen Bemühungen um eine europäische Zukunft zu unterstützen."

In Georgien haben erneut Zehntausende gegen das umstrittene Gesetz zur „ausländischen Einflussnahme“ demonstriert. Unterstützt wurden sie von mehreren europäischen Außenministern.

16.05.2024 | 00:18 min
In Brüssel will man nicht alle Türen nach Georgien verschließen. Schließlich ist die georgische Bevölkerung weiter in der Mehrheit pro-europäisch. Und so war die Botschaft an die Demonstranten auch immer: Wir lassen euch nicht fallen. EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola schrieb etwa gestern auf der Kurznachrichtenplattform X: "Die Georgier auf den Straßen träumen von Europa. Stolz schwenken sie die europäische Flagge. Sie wollen eine europäische Zukunft. Sie erwarten europäische Werte und Normen."
Das Europaparlament steht an der Seite der Menschen in Georgien.
Roberta Metsola, EU-Parlamentspräsidentin

Das georgische Parlament will in dritter Lesung das umstrittene „Agentengesetz“ verabschieden - trotz andauernder heftiger Proteste im Land.

14.05.2024 | 03:17 min

EU handelt auch aus Eigeninteresse

Und das passiert auch aus Eigeninteresse. Denn Europa will Georgien an sich binden, um ein Abdriften in Richtung Russland zu verhindern, die Region zu stabilisieren. Die Befürchtung ist nun, dass eine zu harte Reaktion oder ein Beenden der Gesprächskanäle bedeuten könnte, Georgien komplett an Russland zu verlieren. Und so bleibt die Reaktion aus Brüssel zweigeteilt: mahnende Worte an die Regierung, aber Solidarität mit der Bevölkerung.
Klar ist aber: Der mögliche Beginn von Beitrittsverhandlungen wird sich nun noch weiter in eine sehr ferne Zukunft verschieben.
Isabelle Schaefers ist Korrespondentin im ZDF-Studio Brüssel.

Im Georgienkrieg 2008 testet Wladimir Putin, wie weit er gehen kann. Gezielt heizt er dafür alte Konflikte der Region an. Die Folge: Georgien ist bis heute ein gespaltenes Land.

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