: Georgien: "Ein Land, das schwankt"

15.05.2024 | 12:41 Uhr
Die georgische Regierung blinke nach Brüssel, biege jedoch möglicherweise nach Moskau ab, sagt Georgien-Experte Marcel Röthig. Das Land gefährde so einen möglichen EU-Beitritt.

Georgien-Experte Marcel Röthig bei ZDFheute live - Tiflis kein "Marionettenregime" Russlands.

14.05.2024 | 18:47 min
In Georgien brodelt es. Seit der Verabschiedung des umstrittenen "Agentengesetzes", das NGOs und Medien zur Offenlegung ihrer ausländischen Finanzmittel verpflichtet und sie als "ausländische Agenten" diffamiert, gehen Menschen auf die Straße. Sie befürchten, dass das Gesetz die Zivilgesellschaft schwächt, die Meinungsfreiheit einschränkt und Georgiens Weg in die EU gefährdet.
Marcel Röthig, Leiter des Südkaukasus-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung erklärt bei ZDFheute live:
Das Transparenz-Ansinnen ist nur ein vorgeschobener Grund.
Marcel Röthig, Friedrich-Ebert-Stiftung
Mindestens 90 Prozent der zivilgesellschaftlichen Organisationen leben von internationalen Projektgeldern, erklärt Röthig. Sie müssten sich künftig als Organisationen bezeichnen, die die Interessen ausländischer Staaten vertreten. Der Vorsitzende der Regierungspartei "Georgischer Traum" habe diese Organisationen sogar als "Vaterlandsverräter" bezeichnet, so Röthig.

Trotz massiver Proteste im Land hat das georgische Parlament ein umstrittenes Gesetz zur ausländischen Einflussnahme verabschiedet.

14.05.2024 | 02:31 min

Gesetz mit Parallelen zu Russland im Jahr 2012

Der Experte sieht in dem Gesetz Parallelen zum Vorgehen Russlands, das 2012 mit ähnlichen Gesetzen seine eigene Zivilgesellschaft unterdrückt hat. "Wir wissen, was heute von dieser übrig ist."
Die georgische Regierung hingegen bestreitet jede Einflussnahme durch Russland. Sie sei ausdrücklich kein "Marionettenregime" Russlands, betont auch Röthig. Einen direkten Einfluss habe es wohl nicht gegeben, erklärt der Experte:
Ich würde nicht sagen, dass es einen Anruf aus Moskau gegeben hat, Georgien möge doch dieses Gesetz auf den Weg bringen.
Marcel Röthig, Friedrich-Ebert-Stiftung

Die Proteste gegen das "russische Gesetz" dauern an, so ZDF-Korrespondent Coerper.

14.05.2024 | 03:42 min

Tiflis fürchtet verschärften Konflikt mit Russland

Der Grund sei eher, dass die Regierungspartei fürchte, bei den Parlamentswahlen im Oktober ihre Macht einzubüßen. Deshalb versuche sie, das ganze Land aufzuteilen "in Freunde und Feinde. Und Feinde sind all diejenigen, die mit dem westlichen Ausland zusammenarbeiten. Man sorgt also für eine Atmosphäre der Polarisierung", so Röthig.
Ein weiteres Motiv sei auch die ständige Angst Georgiens vor einer Verschärfung des Konflikts mit Russland. Tiflis fürchte einen Wirtschaftskrieg oder dass Moskau die bisher nur besetzten Gebiete Abchasien und Südossetien annektieren könnte - oder sogar einen erneuten Angriff startet. Das Gesetz sei deshalb auch ein Signal an Moskau, dass man es mit der europäischen Integration "nicht zu weit treiben" wolle.

In Georgien hat das Parlament trotz der Massenproteste das umstrittene "russische Gesetz" verabschiedet. ZDF-Korrespondent Armin Coerper berichtet aus Tiflis.

14.05.2024 | 01:44 min

Georgien gefährdet möglichen Beitritt zur EU

Die internationale Gemeinschaft hat das Gesetz scharf kritisiert und Georgien aufgefordert, es zurückzunehmen. Die EU-Kommission und das Europäische Parlament sehen es als "direkten Verstoß" gegen die Auflagen für den Beitrittskandidatenstatus Georgiens, erklärt Röthig. Deshalb die heftigen Proteste:
Das macht die Leute eben auch so wütend. Es geht längst nicht mehr um das Gesetz. Es geht um eine Grundsatzentscheidung.
Marcel Röthig, Friedrich-Ebert-Stiftung
Es ist eine Zeit der Ungewissheit für Georgien, dessen Zukunft nun von den nächsten Monaten abhängt. Werden die Proteste anhalten? Werden die Wahlen im Oktober frei und fair sein? Wird sich die Regierung dem Druck der EU beugen und das Gesetz zurücknehmen?
Die Menschen auf der Straße fordern eine klare Richtung: Weg von Russland, hin zur EU. Röthig nennt Georgien "ein Land, das schwankt" - das zwar "nach Brüssel blinkt" - aber am Ende des Tages möglicherweise "nach Moskau abbiegt".
Quelle: ZDF

Thema

Proteste und Politik in Georgien