: Würde Putin weitere Staaten angreifen?

von Oliver Klein und Jan Schneider
10.04.2024 | 10:25 Uhr
Die Ukraine sei nur der Anfang, warnen Politiker: Russland werde nach einem möglichen Kriegserfolg weitere Länder überfallen. Nachbarn sind bereits in Sorge. Was ist dran?
Russlands Präsident Wladimir Putin.Quelle: dpa
Es sieht nicht gut aus für die ukrainische Armee im Osten des Landes. Präsident Selenskyj warnt bereits, dass das Land mangels ausreichender Unterstützung westlicher Staaten den Krieg gegen Russland zu verlieren drohe. Und dann stehe die Sicherheit anderer Länder auf dem Spiel, sagte Selenskyj in einer Videokonferenz:
Wenn die Ukraine diesen Krieg verliert, werden andere Länder angegriffen. Das ist ein Fakt.
Wolodymyr Selenskyj
Konkreter wird der ukrainische Abgeordnete Oleksij Hontscharenko in einem Beitrag für die Denkfabrik "Atlantic Council": Die Schwäche des Westens in der Ukraine "könnte einen weitaus größeren Krieg mit Russland provozieren", schreibt er. Russlands Präsident Putin könnte sich ermutigt fühlen, noch weitere Länder zu attackieren, die er als "historisch russische Gebiete" betrachtet. 

Ohne die Unterstützung der USA werde die Ukraine den Krieg verlieren, so Selenskyj bei einer Videokonferenz.

08.04.2024 | 00:19 min

Abgeordneter sieht Moldau, Georgien und Kasachstan gefährdet

Betroffen wären demzufolge mehr als ein Dutzend Staaten, die früher zum Russischen Reich gehörten. "Zu den wahrscheinlichsten Zielen würden zu Beginn Moldau, Georgien, Belarus und Kasachstan gehören. Aber seine Ambitionen würden sich wahrscheinlich noch weiter ausdehnen", so Hontscharenko.
Putin könnte laut Hontscharenko versuchen, sich diese Länder einzuverleiben:

Moldau

Die Beziehungen zwischen Russland und Moldau sind aufgrund der Region Transnistrien - ein von pro-russischen Separatisten kontrollierter abtrünniger Landstreifen mit eigener Regierung und 1.500 dort stationierten russischen Soldaten - ohnehin angespannt. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist das Verhältnis noch zusätzlich belastet. Das Land ist tief gespalten: Es bemüht sich einerseits um einen Beitritt zur EU, was in Russland auf Kritik stieß. Ein großer Teil der Bevölkerung - Schätzungen reichen bis zu 40 Prozent - ist jedoch pro-russisch eingestellt. Moldau wirft Moskau vor, das Land destabilisieren zu wollen.

Georgien

Auch in Georgien gibt es zwei abtrünnige Regionen, die von Russland unterstützt werden: Abchasien und Südossetien. Völkerrechtlich gehören sie zu Georgien, selbst betrachten sich die Regionen als unabhängige Staaten. Um sie entbrannte 2008 der Kaukasuskrieg zwischen Russland und Georgien, bis heute sind die Regionen ein ständiger Konfliktherd zwischen beiden Ländern. Die Beziehungen wurden durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine noch mal verschlechtert. Die georgische Regierung verfolgt eine Politik der Neutralität und versucht, zwischen den Interessen Russlands und des Westens zu lavieren. Georgien sieht sich mit der Bedrohung eines russischen Angriffs konfrontiert.

Belarus

Das Verhältnis zwischen Belarus und Russland ist widersprüchlich: Einerseits gibt es eine enge wirtschaftliche, militärische und politische Bindung zwischen den beiden Ländern. Belarus ist in hohem Maße von Russland abhängig - bemüht sich gleichzeitig jedoch, seine Eigenständigkeit zu bewahren. Ob das gelingt, ist fraglich: Ein 2023 aufgetauchtes Dokument soll belegen, dass Russland bis ins Jahr 2030 eine schleichende Übernahme des Staats plant - eine Annexion mit politischen, wirtschaftlichen und militärischen Mitteln.

Kasachstan

Traditionell waren die Beziehungen zwischen Russland und Kasachstan eng und brüderlich - der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat sie merklich abgekühlt. Kasachstan wurde zwar immer wieder vorgeworfen, sanktionierte Waren nach Russland zu schleusen. Aber das Land hat sich seit Kriegsbeginn merklich von Russland distanziert, den Krieg wiederholt verurteilt und sich geweigert, Russland militärisch oder finanziell zu unterstützen. Stattdessen näherte sich das Land in den vergangenen Jahren dem Westen an und intensivierte die Zusammenarbeit mit der EU und den USA.

Viele in Moldau haben Angst, dass Russland auch sie angreift. Doch die Hälfte der Bevölkerung ist pro-russisch. In Georgien kommen immer mehr russische Geflüchtete an.

20.06.2023 | 19:27 min
Hontscharenko prangert in seinem Beitrag nicht ausreichende militärische Hilfe für sein Land an: In weiten Teilen des Westens herrsche - trotz der sich verschlechternden Lage in der Ukraine - derzeit ein surreales "Business as usual"-Gefühl, schreibt der Abgeordnete.
Die politischen Klassen sind zunehmend mit den bevorstehenden Wahlen beschäftigt und scheinen sich der geopolitischen Katastrophe, die sich an der Ostgrenze Europas abspielt, weitgehend nicht bewusst zu sein.
Der ukrainische Abgeordnete Oleksij Hontscharenko
Dass ukrainische Politiker wegen zu wenig Militärhilfe für ihr Land Alarm schlagen, ist kaum verwunderlich - doch wie groß ist die Gefahr einer Ausweitung des Krieges tatsächlich?

Experte hält russischen Angriff auf Nachbarn für möglich

Russland rüstet massiv auf, die Forderungen russischer Nationalisten werden lauter, Teile des früheren Russischen Reiches zurückzuerobern. Entsprechen verbreitet ist die Angst vor einem russischen Überfall in zahlreichen Nachbarländern Russlands, insbesondere in Finnland, den baltischen Staaten, Moldau, Georgien und Kasachstan.
Weitere russische Angriffe auf Nachbarstaaten hält auch der österreichische Politikwissenschaftler Gerhart Mangott von der Universität Innsbruck durchaus für realistisch. Ein Angriff beispielsweise auf Moldau sei aber nur möglich, wenn die russischen Truppen Odessa in der Ukraine einnehmen, wonach es auf absehbare Zeit jedoch nicht aussehe. Denkbar seien in langfristiger Perspektive auch Angriffe auf Kasachstan und die Annexion der von ethnischen Russen bewohnten Regionen an der kasachischen Nordgrenze.

Ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um "wieder mehr über den Frieden zu sprechen", den Ukraine-Krieg gar „einzufrieren“, wie der SPD-Fraktionsvorsitzende Mützenich formuliert?

21.03.2024 | 65:01 min

Krieg mit Nato-Staaten zunächst "unwahrscheinlich"

Einen Angriff auf ein Nato-Land hält Mangott dagegen für "sehr unwahrscheinlich". Es gebe in der russischen Führung zwar durchaus Ambitionen in diese Richtung, Putin habe aber auch genug Realitätssinn, um zu verstehen, dass ihm dazu für viele Jahre die militärischen Fähigkeiten fehlen werden, so Mangott.
Putin träumt sicher von der Wiedererrichtung des historischen Russlands. Aber selbst er weiß, dass das nur sehr begrenzt möglich sein wird.
Gerhart Mangott, Russland-Experte
Diese Jahre müssten die europäischen Nato-Mitgliedsstaaten nutzen, um durch Aufrüstung die eigene Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit zu stärken.

Trumps Äußerungen zur NATO sorgen für Aufsehen – und führen zu internationalen Diskussionen darüber, ob es eigene Atomwaffen in der EU braucht.

13.02.2024 | 01:19 min
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

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