: Fünf Monate Krieg: Wie geschwächt ist Hamas?

von Thomas Reichart, Tel Aviv
20.03.2024 | 20:22 Uhr
Israels Premier Netanjahu behauptet, Hamas sei nur zu besiegen, wenn Israel die Flüchtlingsstadt Rafah im Süden Gazas einnehme. Wie steht es um die Hamas nach fünf Monaten Krieg?
Israels Armee setzt eigenen Angaben zufolge ihren Einsatz im Al-Schifa-Krankenhaus in der Stadt Gaza fort.Quelle: Reuters
Die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) sprechen davon, dass bislang mehr als 10.000 Hamas-Kämpfer getötet worden seien. Bei den Kämpfen rund um das Al-Schifa Krankenhaus in Gaza-Stadt seien allein in den vergangenen Tagen 90 Personen getötet worden, so Israels Militär - das bei den Getöteten von Terroristen spricht.

Die israelische Armee tötete bei einer Razzia im Gazastreifen einen ranghohen Hamas-Funktionär.

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Unabhängig überprüfen lässt sich allerdings weder hier noch in anderen Fällen, wie viele der Getöteten tatsächlich der Hamas zuzuordnen sind. Ebenso wenig ist klar, wie viele der rund 350 Personen, die Israels Armee bei der Razzia im Al-Schifa Krankenhaus festgenommen hat, Hamas-Kämpfer sind.

Israel plant weiter eine Offensive in Rafah im Gazastreifen. Das hat Kanzler Scholz bei seinem Besuch in Israel hinterfragt.

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Hohe Zahl ziviler Opfer

Das Beispiel zeigt, wie schwer es ist, einen Eindruck davon zu bekommen, wie weit Israel in den vergangenen fünf Monaten vorangekommen ist bei seinem Ziel, die Hamas mit ihren Strukturen zu zerstören.
Gesichert ist, dass die Zahl der zivilen Opfer, der getöteten Frauen und Kinder, sehr hoch ist, höher als in früheren Auseinandersetzungen, weil die Kämpfe in dicht besiedeltem Gebiet stattfinden. Deshalb auch die scharfe Kritik aus den USA und Europa an einem Vorgehen Israels gegen die Flüchtlingsstadt Rafah.
Was die Hamas angeht, so hat Premier Benjamin Netanjahu Anfang der Woche erklärt, von 24 Hamas-Bataillonen hätten Israels Streitkräfte 19 zerschlagen. Die Verbleibenden hätten sich in der von Flüchtlingen überfüllten Stadt Rafah verschanzt.
Es gibt keine andere Möglichkeit, als am Boden hineinzugehen.
Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident Israel

Wohin sollen die Menschen fliehen, wenn Israel seine Offensive in Rafah startet? Evakuierungspläne sollen in Planung sein.

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Ist die Hamas geschwächt?

Die IDF schätzte die Zahl der Hamas-Kämpfer vor dem Krieg auf etwa 30.000. Die Größe eines Hamas-Bataillons läge demnach bei rund 1.200. Folgt man Netanjahus Angaben, hätte die IDF also mehr als drei Viertel der Verbände der Hamas mit insgesamt fast 24.000 Kämpfern zerschlagen.
Womit man wieder bei den aktuellen Kämpfen beim Al-Schifa Krankenhaus wäre. Der Umstand, dass sich dort laut israelischer Armee so viele Hamas Kämpfer neu gruppiert hätten, kann beides zeigen. Einerseits, dass viele der Hamas-Verbände tatsächlich in Auflösung sind. Und, dass selbst die Zerstörung von Bataillonen nicht bedeutet, dass damit alle Kämpfer auch wirklich die Waffen niederlegen.
Für eine nachhaltige Schwächung der Hamas spricht, dass Israel mit Marwan Issa und Saleh Al-Aruri die Nummer drei und vier der Hamas Führung getötet hat. In den letzten Tagen kamen Meldungen dazu, dass weitere Führungskader getroffen wurden.

Raketenangriffe auf Israel gehen zurück

Für die Menschen in Tel Aviv ist die Schwächung der Hamas schon allein dadurch spürbar, dass es kaum mehr Raketenangriffe aus dem Gazastreifen gibt.

Die mit der Hamas verbündete Hisbollah-Miliz aus dem Libanon feuerte im Dezember erneut Raketen Richtung Israel.

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Die Hamas scheint außerdem keinen Rückhalt bei den israelischen Arabern zu haben. Ihr Aufruf zu Protesten zu Beginn des Ramadan fand dort keinen Widerhall. Das Freitagsgebet bei der Al Aksa Moschee in Jerusalem mit 60.000 Gläubigen verlief ruhig.
Auch im Westjordanland gibt es bislang keine großen Proteste für die Hamas, was dort sicher auch an der erheblichen Präsenz der israelischen Armee und Sicherheitskräfte liegen dürfte.

Rückhalt der Hamas in Gaza

Ob die Hamas in Gaza selbst an Rückhalt verliert, ist kaum einzuschätzen. Die britische Zeitung "The Guardian" zitiert Quellen im Umfeld der Hamas, wonach der Führung klar sei, dass sie den Palästinensern "einen großen Sieg" präsentieren müssten, um angesichts der massiven Zerstörung und der Toten Proteste gegen die Hamas selbst zu vermeiden.
Für die wieder aufgenommenen Verhandlungen in Doha um einen befristeten Waffenstillstand und eine Freilassung der Geiseln bedeutet eine Schwächung der Hamas deshalb also auch nicht unbedingt, dass die Gespräche einfacher werden.
Thomas Reichart berichtet aus dem ZDF-Studio in Tel Aviv.

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