Analyse

: "Israels Militär in keiner Weise vorbereitet"

von Nils Metzger
07.10.2023 | 14:16 Uhr
Die Terror-Kampagne der Hamas hat Israel völlig unvorbereitet getroffen. Militär und Grenzanlagen konnten den Überfall nicht verhindern, Kämpfe dauern an. Wie geht es jetzt weiter?

Die Hamas hat Israel massiv mit Raketen aus Gaza attackiert und eine Militäroperation verkündet. Israels Ministerpräsident Netanjahu wandte sich an die Bürger: "Wir sind im Krieg".

07.10.2023 | 26:03 min
Der Angriff der radikal-islamistischen Hamas auf Israel dauert seit dem frühen Samstagmorgen an. Es sind Bilder der Gewalt gegen Zivilisten, von gezielten Tötungen an Bushaltestellen oder in Wohnquartieren, wie Israel sie selbst zu Zeiten früherer "Intifadas" nicht erlebt hat.
Die Zahl der Opfer ist derzeit noch weitgehend unklar, bislang bestätigten israelische Behörden mindestens 40 Tote. Es besteht auch die Sorge, dass Dutzende Menschen nach Gaza entführt wurden.

Anmerkung der Redaktion

Viele Angaben zu Konflikthandlungen, Schäden und Totenzahlen in Gaza lassen sich nicht unabhängig überprüfen. So berichtet das ZDF über die Lage vor Ort - hier finden Sie Fragen und Antworten.

Wurde Israel vom Angriff überrascht?

ZDF-Korrespondent Michael Bewerunge erlebte den Hamas-Angriff von Tel Aviv aus. Auch er wurde in den frühen Morgenstunden nicht von Sirenen oder Warnungen der Behörden, sondern von Explosionen überrascht. "Die Hamas hat sogar gewagt, Militärcamps anzugreifen. Die Kämpfe dauern immer noch an", berichtet Bewerunge bei ZDFheute live.

Israel ist nach dem Angriff der Hamas geschockt. ZDF-Korrespondent Michael Bewerunge berichtet über die aktuelle Situation aus Sderot, in der Nähe des nördlichen Gazastreifens.

07.10.2023 | 02:06 min
"Das ist eine riesige Verunsicherung, zumal das nicht irgendein Datum ist. Heute ist der 7. Oktober, gestern vor 50 Jahren begann der Yom-Kippur-Krieg. Völlig überraschend marschierten die Armeen Syriens und Ägyptens in Israel ein. Das ist bis heute ein ganz großes Trauma", sagt Bewerunge.
Das Ausmaß ist ein anderes. Israel ist nicht in seiner Existenz bedroht wie damals. Aber diese Überraschung scheint es überall gegeben zu haben, weil das israelische Militär offenbar in keiner Weise auf einen solchen Angriff von Land aus vorbereitet war. Und sich auch jetzt schwer tut, eine Antwort auf diese Bedrohung zu finden.
ZDF-Korrespondent Michael Bewerunge
Israelische Sicherheitskräfte haben von Tel Aviv aus in Richtung Süden des Landes zahlreiche Straßensperren eingerichtet. So soll verhindert werden, dass Hamas-Terroristen weiter nördlich vorstoßen können. Wie viele Kämpfer sich noch auf israelischem Gebiet aufhalten, ist unklar. "Aus der eigentlichen Kampfzone dringen bislang kaum Informationen nach draußen", beschreibt Bewerunge die Informationslage vor Ort.

Angriff der Hamas "eine völlig neue Dimension"

Auch der Nahost-Experte Michael Lüders betont, dass Israel nicht mit so einem Angriff gerechnet hat:
Das ist eine schwere Schlappe des Militär-Establishments in Israel. Und ich denke, es wird noch sehr viele kritische Nachfragen geben, wie das geschehen konnte.
Michael Lüders, Nahost-Experte
"Das ist eine völlig neue Dimension und ich glaube, dass es im politischen Establishment Israels im Moment eine große Verunsicherung gibt", so Lüders weiter bei ZDFheute live.

"Es wird zu einer Eskalation kommen", so Nahost-Experte Michael Lüders.

07.10.2023 | 09:50 min

Wie kamen die Hamas-Kämpfer nach Israel?

Israel hat die Grenze zum Gazastreifen seit Jahren stark befestigt und mit modernster Überwachungstechnik ausgestattet. Dennoch konnte die Hamas diese Grenzanlagen überwinden. In Videos ist zu sehen, wie Baufahrzeuge meterhohe Grenzzäune einreißen und islamistische Kämpfer durch Löcher im Schutzwall nach Israel eindringen. Auch Berichte über Hamas-Militante, die mit Motorseglern über die Grenze flogen, gab es.
"Dieser Zaun hat Tausende von Sensoren, er ist erst vor Kurzem extrem modernisiert worden mit Sensoren, die tief in die Erde gehen gegen Tunnel", betont Bewerunge. Schon jetzt stellen in Israel viele Menschen erschüttert die Frage, wie es zu diesem offensichtlichen Versagen dieser Sicherheitsinstrumente kommen konnte.
Auch bis zum frühen Nachmittag konnten die israelischen Streitkräfte noch nicht wieder die vollständige Kontrolle über alle Ortschaften im Umfeld des Gazastreifens wiederherstellen. In der jüngeren israelischen Geschichte ist so ein Vorgang einzigartig.

Die radikal-islamische Hamas wird unter anderem von Iran unterstützt und verfolgt Israels Vernichtung sowie die Errichtung eines islamischen Staates.

07.10.2023 | 01:11 min

Welche Ziele verfolgt die Hamas?

"In militärischer Hinsicht kann die Hamas der israelischen Armee natürlich nichts entgegensetzen", sagt Lüders. Aber je länger sich der Konflikt hinziehe, desto größer würde die Solidarisierung in der arabisch-islamischen Welt sein, argumentiert Lüders. So soll insbesondere Druck auf die arabischen Länder aufgebaut werden, die im Begriff stünden einen Frieden mit Israel zu schließen.
"Die Hamas hat hier eine Botschaft entsendet: Wir sind bereit zu kämpfen", sagt Lüders. Die eigentliche Vertretung der Palästinenser in Ramallah sei äußerst unbeliebt und gelte als Handlanger Israels.
Dieser Kriegstag ist der Auftakt für große politische Veränderungen in der Region. Und ich denke, das ist das, was die Hamas hofft.
Michael Lüders, Nahost-Experte

Die Angriffe der Hamas auf Israel werden weltweit scharf verurteilt. Bundeskanzler Scholz teilte mit, dass Deutschland fest an der Seite Israels stehe.

07.10.2023 | 00:20 min

Wie kann sich der Konflikt weiter entwickeln?

Für Lüders ist klar, dass sich die Hamas über lange Zeit auf diesen Angriff vorbereitet haben muss. "In psychologischer und militärischer Hinsicht ist es aus Sicht der Hamas schon ein Erfolg. Dass es ihr gelungen ist, an breiter Front entlang des Gazastreifens auf israelisches Territorium vorzudringen, das ist für eine paramilitärische Organisation wie die Hamas eine absolute Novität."
Vor allem die hohe Zahl an potenziellen Geiseln bereitet Israel nun Sorge. In der Vergangenheit sah sich Israel etwa zu umfangreichen Gefangenenaustauschen gezwungen, um einzelne Gefangene zu befreien. Eine andere Option zur Befreiung wäre eine Bodenoffensive in Gaza. Bei den letzten Konfrontationen mit der Hamas hatte sich Israel bewusst gegen eine solche Ausweitung entschieden und vor allem aus der Luft angegriffen.
Einen Häuserkampf in Gaza, dazu noch mit Geiseln, mag sich niemand vorstellen.
ZDF-Korrespondent Michael Bewerunge
"Es wird auf jeden Fall sehr blutig werden", so auch Experte Lüders. "Das ist ein Konflikt, der sich über Tage, wenn nicht Wochen hinziehen wird." Entscheidend für das Ausmaß des Konfliktes ist auch die Lage im Westjordanland und an der Grenze zum Libanon, wo die mit der Hamas verbündete Hisbollah aktiv ist. Bislang ist es dort noch weitgehend ruhig.
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