: Die Jugend geht auf die Barrikaden

von Alexander Glodzinski und Tim-Tih Kost, Nairobi
04.07.2024 | 16:58 Uhr
Kenias junge Generation fordert einen radikalen Politikwechsel. Seit Tagen protestiert die Gen Z gegen steigende Lebenskosten und fordert den Rücktritt von Präsident Ruto.

Kenias Jugend droht Hunger und Perspektivlosigkeit. Denn die Regierung ist verschuldet, Steuern werden erhöht. Die Jugendlichen gehen auf die Barrikaden, die Lage eskaliert.

02.07.2024 | 06:09 min
Steine fliegen und Tränengas liegt in der Luft. Alle paar Minuten hören wir Explosionen und Schreie. In Nairobis Innenstadt herrscht Straßenkampf, seit Kenias Regierung neue Steuern einführen wollte. Die Jugend geht auf die Barrikaden und kämpft für eine bessere Zukunft.
Inmitten des Trubels haben Sanitäter ein provisorisches Krankenlager aufgebaut. Die freiwilligen Helfer bemühen sich, so gut es geht, Demonstranten zu versorgen, die mit Schussverletzungen gebracht werden. Als ein Pickup auf die Masse zu rast, bricht Panik aus. Direkt vor dem Krankenlager explodiert eine Granate mit Tränengas.

"Insgesamt gab es in dem Land in mehr als 30 Städten Proteste. Es ist nicht klar absehbar, dass es sich schnell beruhigen könnte", so ZDF-Reporter Glodzinski.

26.06.2024 | 03:07 min

Parlamentsgebäude in Nairobi gestürmt

Seit Beginn der Proteste Mitte Juni sind nach Angaben der kenianischen Menschenrechtskommission mindestens 39 Menschen ums Leben gekommen. Die Lage eskalierte am 25. Juni, als Hunderte das Parlamentsgebäude stürmten. Sicherheitskräfte schossen mit scharfer Munition in die Menge. Weit über 300 Menschen kamen mit Verletzungen in Krankenhäuser.
Kenias Regierung hat daraufhin das Militär mobilisiert, um den Sitz des Präsidenten und weitere wichtige Einrichtungen im Land zu schützen. Seitdem kommt es immer wieder zu kleineren Demonstrationen und Scharmützeln mit Polizei und Armee. Vermummte Sicherheitskräfte mit Gewehren jagen Jugendliche durch die Innenstadt.

In Kenia sind Proteste gegen ein geplantes Steuergesetz eskaliert. Einige Demonstranten stürmten das Parlament und setzten Teile davon in Brand. Jetzt hat der Präsident reagiert.

27.06.2024 | 02:20 min

Steuererhöhung in Kenia als Auslöser

Vor unseren Augen werden Demonstranten festgenommen. Es kursieren zahlreiche Berichte von Verschleppten. Opposition und Menschenrechtsgruppen dokumentieren bereits die Fälle. Auslöser für die Proteste war ein Steuergesetz. Demnach sollen die Steuern auf Grundnahrungsmittel wie Brot und Öl, sowie Hygieneartikel und Benzin angehoben werden. Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die nun anhaltende Polizeigewalt im Land könnte zum Brandbeschleuniger werden.

Wirtschaft in Kenia stagniert

Die Situation für die junge Bevölkerung: schwierig. Während Kenias Abgeordnete weiter zu den bestbezahlten Parlamentariern Afrikas gehören, der Präsident auf diplomatischen Missionen durch die Welt fliegt und auch für Familienangehörige teure Institutionen eingeführt hat, stagniert die Wirtschaft und die Jugendarbeitslosigkeit liegt allein bei den 20- bis 24-Jährigen bei fast 14 Prozent, so Angaben des nationalen Statistikamts in Kenia (KNBS). Die Gen Z will jetzt Handlungen sehen.

Was ist die Gen Z?

Gen Z ist eine Abkürzung für die Generation Z. In der Regel werden dazu Personen gezählt, die zwischen den späten 1990er Jahren und den frühen 2010er Jahre geboren wurden. Dabei variieren die Angaben über konkrete Jahrgänge.

Bei den Protesten in Kenia sind es allerdings nicht nur diejenigen, die dieser Definition zufolge zur Gen Z zählen, die auf die Straße ziehen. Es sind Jugendliche insgesamt, die unter diesem Begriff zusammengefasst werden. Gen Z wird dabei generell als Bezeichnung für die Jugendbewegung verwendet.

Mitten im Chaos treffen wir Kasmuel Mcoure. Er ist eine führende Stimme der Gen Z, die selbst von sich behauptet, keine Anführer zu haben. In dunkelblauem Anzug mit Krawatte steht er umringt von einer Traube von Menschen. Wenn er spricht, nicken seine Begleiter und wiederholen immer wieder seinen Slogan: "Kenia wird leuchten."
Die Jugend in Kenia kämpft für eine sichere Zukunft und bessere Perspektive.Quelle: ZDF

Unterstützung vom Internationalen Währungsfonds

Trotz aller Entschlossenheit kann auch er seine Angst nicht verstecken. Bei jedem vorbeifahrenden Polizeiwagen zuckt er zusammen. Kasmuel richtet seine Kritik nicht nur gegen die Regierung, sondern auch gegen den Westen.
Wo ist die internationale Gemeinschaft? Wo ist der Aufschrei? Wieso kommt uns keiner zu Hilfe?
Kasmuel Mcoure, Demonstrant
Ohne die Unterstützung der USA und des Internationalen Währungsfonds, so sagt er, könne sich diese Regierung niemals halten. "Wie es dem kenianischen Volk geht, ist der internationalen Gemeinschaft egal", so Kasmuel. Es gehe nur um Geld und geopolitische Interessen. Die Demonstrierenden, die sich um ihn scharen, stimmen lauthals zu.

Steuergesetz: Präsident Ruto verweigert Unterschrift

Als Reaktion auf die vielen Toten und Verletzten, auf die Wut über die Polizeigewalt, hatte Präsident Ruto vergangene Woche seine Unterschrift unter das verabschiedete Steuergesetz verweigert. Er will auf die Jugend zugehen und einen nationalen Dialog eröffnen, in dem er auch Vertreter der Jugendbewegung einbinden will. Die Reaktion auf der Straße fällt bislang kritisch aus.
Statt der Ablehnung des Steuergesetzes ist es jetzt vor allem die Parole "Ruto must go", die sie rufen. Kenia hat ein massives Schuldenproblem und die Regierung muss die Forderungen der internationalen Gläubiger bedienen.

Nach den gewalttätigen Protesten mit mehreren Toten gegen Kenias Steuerreform will Staatspräsident Ruto einlenken. Er werde das Gesetz zurückziehen, sagte er.

26.06.2024 | 00:22 min

Menschenrechtsgruppen fordern Konsequenzen

Ian Keya hat seinen Protest fast mit dem Leben bezahlt. Müde liegt er in seinem Krankenhausbett - 26 Jahre, seit 5 Jahren arbeitslos, obwohl er studiert hat. Ian trafen drei Kugeln im Rücken.
Ich habe nur die Vibration in meinem Rücken gespürt.
Ian, Demonstrant
Auch Ian demonstrierte vergangenen Dienstag gegen das geplante Steuergesetz, als die Polizei plötzlich mit scharfer Munition in die Menge schießt.
Ich habe versucht, um Hilfe zu rufen, aber ein Polizist, der in der Nähe stand, sagte mir, ich solle dort sterben.
Ian Keya, Demonstrant
Noch immer gibt es keine offiziellen Zahlen von Toten und Verletzten, und keine offizielle Entschuldigung von der Regierung. Längst fordern Menschenrechtsgruppen, dass die politische Führung zur Rechenschaft gezogen wird.
Die Proteste gegen die Reform in Kenia sind eskaliert. Doch die Gewalt schreckt die Jugend nicht ab.Quelle: ZDF

Jugend in Kenia erhebt sich

Der neunzehnjährige Antoine und sein kleiner Bruder bringen derweil einen Freund zur Ambulanz. Aus seinem Oberschenkel strömt Blut. Er wurde angeschossen. Nachdem sie ihn mithilfe von Sanitätern in den Krankenwagen gehievt haben, streckt Antoine seine mit Blut überströmte Hand in die Luft:
Free Kenya! Free the Kenyan People! We are peaceful!
Antoine, Demonstrant
In seiner rechten Hand weht die kenianische Nationalflagge. Eine Generation erhebt sich. Für Selbstbestimmung, politische Freiheit und eine Perspektive für Kenia.

Ein engagiertes Team bietet Mädchen und Frauen in Kenia Zuflucht und schützt sie so vor der verbotenen, aber immer noch praktizierten Tradition der Beschneidung.

06.02.2024 | 05:06 min

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