: Wie Helfer Geflüchtete im Mittelmeer retten

von Isabelle Schaefers
27.11.2023 | 15:30 Uhr
Die Freiwilligen auf der "Humanity 1" retten schutzsuchende Menschen in Seenot. An Bord erzählen die Menschen von ihrem Traum von einem besseren Leben in Europa.

Unterwegs mit Flüchtlingsrettern auf dem Mittelmeer. Wir zeigen den Alltag auf hoher See. Und wie die EU in der Migrationsfrage um Lösungen ringt.

16.11.2023 | 28:51 min
Die Humanity 1 ist eines der größten von rund 20 zivilen Seenotrettungsschiffen. Es sind immer nur einige wenige aktiv im Einsatz auf dem Mittelmeer.
Dennoch wird die Seenotrettung immer wieder zum Symbol: Für die einen für eine unverantwortliche Masseneinwanderung, für die anderen für das politische Versagen in Europa. Das ZDF hat die Crew der NGO "SOS Humanity" bei einem Einsatz begleitet.

Die Crew

Für einige ist es das erste Mal an Bord eines Seenotrettungsschiffes. Wie etwa für Swantje Lüthge. Die Hebamme aus Berlin betreut seit Jahren vor allem Schwangere mit Fluchtgeschichte. Viele von ihnen sind über das Mittelmeer geflüchtet.
Das Mittelmeer ist so ein Zwischenschritt vom Heimatland nach Europa. Und da passiert sehr, sehr viel und meistens sehr viele traumatische Erlebnisse.
Swantje Lüthge, Hebamme
Lüthge möchte diesen Teil der Flucht besser verstehen - auch für ihre Arbeit.
Die Berliner Hebamme Swantje Lüthge an Bord der "Humanity 1".Quelle: ZDF
Nikolas von Kameke ist schon zum dritten Mal dabei. Seine Motivation ist politischer: "Das ist unsere gemeinsame europäische Grenze und an der passieren Sachen, die ich überhaupt nicht tolerieren kann." Beide machen das ehrenamtlich.

Die Suche

Nach zehn Tagen Vorbereitung und Training kommt die Humanity 1 im Rettungsgebiet an. Infos über offene Seenotfälle bekommt die Crew etwa von der NGO Alarmphone, Frontexflugzeugen, der Küstenwache oder auch über Funk. Ist einer der Fälle in Reichweite, nimmt das Schiff Kurs auf.
In der politischen Debatte ist ein Vorwurf an die Seenotretter immer wieder, sie selbst würden mit ihrer Anwesenheit dafür sorgen, dass noch mehr Menschen die Flucht übers Meer wagen. Wissenschaftlich gibt es dafür keine Belege, aber auch ein Widerlegen durch Studien ist schwierig.
Nikolas von Kameke ist ehrenamtlich im Einsatz auf der "Humanity 1".Quelle: ZDF
Nikolas von Kameke hält das für Polemik: "Das ist lebensgefährlich und keiner macht das, weil er das Gefühl hat, dass er gerettet wird."

Die Rettungen

Das erste Boot wird spätabends gesichtet. Es hat bereits 172 Kilometer von der libyschen Küste zurückgelegt. Dann ging der Motor kaputt. Die Rettung verläuft trotz Dunkelheit reibungslos. Laut italienischem Gesetz müsste die SOS Humanity jetzt nach einer Rettung einen sicheren Hafen ansteuern - mit 31 Geflüchteten an Bord.

Flucht über das Mittelmeer

Rund 188.510 Menschen haben es in diesem Jahr bisher versucht, über die zentrale Mittelmeerroute nach Europa zu kommen - vor allem aus Tunesien und Libyen. Davon wurden etwa 53.088 abgefangen. 2.145 Menschen gelten als tot bzw. vermisst. 133.277 schafften es bis nach Europa.

Quelle: IOM, Missing Migrants Project, Stand 13. Oktober 2023

Die Seenotrettungsleitstelle in Rom erteilt schließlich die Genehmigung, dass zwei weitere Boote gerettet werden dürfen. Insgesamt kommen so 90 Flüchtlinge an Bord - darunter sechs Frauen und mehrere Kinder, auch ein Baby.
Rund zwei Drittel sind aus Syrien vor dem Krieg geflohen. Die anderen kommen vor allem aus westafrikanischen Ländern, fliehen vor Armut.

Von Tunesien aus starten viele Flüchtlinge die gefährliche Fahrt übers Mittelmeer. Wir haben Tunesiens Küstenwache begleitet, die das – auf Europas Druck hin – verhindern will.

21.06.2023 | 06:21 min

Die Geretteten

Ein unbegleiteter Minderjähriger aus Kamerun erzählt uns, dass er seit Jahren auf der Flucht ist - mit elf Jahren hat er seine Heimat verlassen: "In Kamerun konnte ich nicht mehr zur Schule gehen. Ich hätte sehr leicht kriminell werden können. Aber das wollte ich nicht", erzählt er.
Besonders die Zeit in Libyen hat vielen zugesetzt. Libyen, das seit Jahren Geld von der EU bekommt, damit es die irreguläre Migration in Richtung Europa eindämmt.
Die libysche Küstenwache holt immer wieder Flüchtlingsboote zurück, bringt die Menschen ins Gefängnis. "Wir sollten unsere Familien anrufen: Sie sollten Geld schicken, damit sie uns freilassen. Da ich weiß, dass meine Familie kein Geld hat, sagte ich, dass ich keine Familie habe. Also schlugen sie mich immer wieder."
ZDFheute Infografik
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Der sichere Hafen

Mit den 90 Geflüchteten an Bord macht die SOS Humanity sich auf den Weg nach Bari - dem von den italienischen Behörden zugewiesenen sicheren Hafen. 1.000 Kilometer sind das, drei Tage Fahrt. Italiens Regierungen versuchen seit Jahren, es den zivilen Seenotrettern möglichst schwer zu machen - etwa durch die Zuweisung weit entfernter Häfen.
Dabei rettet die italienische Küstenwache wesentlich mehr Menschen aus Seenot. Laut aktuellen Zahlen des italienischen Innenministeriums gehen nur rund sechs Prozent der Rettungen auf NGOs zurück. Mehr als 90 Prozent werden von der italienischen Küstenwache nach Italien gebracht.

Zukunft Europa

In Bari wartet auf die 90 Geflüchteten ein Europa, in dem sie vielerorts nicht willkommen sind, das sie als Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sieht. Doch die Hoffnungen sind groß. Der junge Kameruner sagt:
Wenn ich an Europa denke, dann bedeutet das für mich ein besseres Leben.
Die Crew kann ab hier nichts mehr für die Geretteten tun. Aber auch Swantje Lüthge hat Hoffnung für sie: "Die Menschen, die ja sehr stark sind, weil sie das alles überlebt und überstanden haben, die werden ihren Weg alle gehen. Vielleicht anders als geplant, aber sie werden ihren Weg gehen."

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