: Verschiebung der Seegrenzen: Was Moskau plant

von Jan Schneider
22.05.2024 | 14:27 Uhr
Laut einem Dokument aus dem russischen Verteidigungsministerium will Moskau die Seegrenzen in der Ostsee verschieben. Was steckt hinter der Ankündigung?
Die Ostsee vor Zelenogradsk bei Kaliningrad, RusslandQuelle: imago
Erst vor wenigen Stunden hatte der Oberbefehlshaber der schwedischen Streitkräfte vor Russlands Machtambitionen in der Ostsee gewarnt, schon folgen konkrete Schritte aus dem Kreml. Die russischen Behörden haben offenbar beschlossen, die Hoheitsgewässer des Landes in der Ostsee nahe der Staatsgrenze zu Litauen und Finnland zu verändern. Das geht aus einem Gesetzentwurf der Regierung hervor, der vom Verteidigungsministerium ausgearbeitet wurde. Demnach sollen die Seegrenzen um russische Inseln im Osten des Finnischen Meerbusens sowie das Gebiet um die russische Exklave Kaliningrad erweitert werden.
Ob es bezüglich dieser Pläne bereits Gespräche mit anderen Ostseeanrainern gegeben hat, ist unklar. Die finnische Außenministerin Elina Valtonen ruft Russland dazu auf, sich an die Konventionen der Vereinten Nationen und an internationales Seerecht zu halten. Möglicherweise war die Veröffentlichung des Dokuments ein Fehler, da kurz darauf mehrere staatliche Nachrichtenagenturen Berichte zu den Plänen dementierten. Aus dem russischen Portal für Rechtsakte ist das Dokument mittlerweile entfernt worden. Die Pläne des Verteidigungsministeriums hätten keinen politischen Hintergrund, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Für Detailfragen verwies er auf das Verteidigungsministerium.

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Was genau hat Russland vor?

Laut dem Dekret beabsichtigt Russland, einen Teil des Wassergebiets im Osten des Finnischen Meerbusens sowie in der Nähe der Städte Baltijsk und Selenogradsk in der Region Kaliningrad zu seinen Binnengewässern zu erklären. Dazu soll die sogenannte Küstenbasislinie neu berechnet werden.
Diese Basislinie ist die Bezugslinie zur Festlegung der Seegrenzen und Meereszonen. Alle landwärts der Basislinie liegenden Meeresteile werden als Binnengewässer bezeichnet und gehören damit zum Staatsgebiet des Küstenstaats. Seewärts der Basislinie beginnen die unterschiedlichen Meereszonen wie die 12-Meilen-Zone oder die ausschließliche Wirtschaftszone von 200 Seemeilen.
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Der Unterschied zwischen den Zonen: Die Hoheitsgebiete seeseitig der Basislinie dürfen Schiffe anderer Staaten passieren - sowohl Handels- als auch Marineschiffe. In die inneren Gewässer eines Staates dürfen fremde Schiffe jedoch nicht einfahren.

Wie begründet Moskau die Verschiebung der Küstenbasislinie?

Die aktuelle Basislinie wurde bereits 1985 vom Ministerrat der UdSSR festgelegt. Laut dem russischen Verteidigungsministerium entsprechen die Messungen von damals aber "nicht vollständig der aktuellen geografischen Situation". Die Koordinaten seien damals "mit Hilfe von kleinmaßstäblichen Seeschifffahrtskarten" erfasst worden, die wiederum auf Arbeiten aus der Mitte des 20. Jahrhunderts basierten. Diese seien nicht geeignet gewesen, "die äußere Grenze der inneren Meeresgewässer zu bestimmen", heißt es in dem Dokument.
Der 40 Jahre alte Beschluss des Ministerrats der UdSSR solle deshalb teilweise "als unwirksam anerkannt" werden. Abgesehen von dieser älteren Regelung hat Russland 1997 das UN-Seerechtsübereinkommen "UNCLOS III" ratifiziert und damit die geltenden Seegrenzen anerkannt.

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Was könnte Moskau mit diesem Schritt bezwecken?

Die Ankündigung der Neuberechnung könne verschiedene Hintergründe haben, meint der Experte für maritime Sicherheit, Johannes Peters, vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK). Die Änderung werde höchstwahrscheinlich keinen nachhaltig negativen Effekt auf die finnische oder litauische Schifffahrt haben, es sei aber ein weiterer "Nadelstich" gegenüber den baltischen Staaten und Finnland.
Die Ankündigung ist ein weiterer Teil des hybriden Kriegs, den Russland führt und der Versuch, das internationale Recht in seinem Sinne zu instrumentalisieren, um damit Unsicherheit zu schüren.
Johannes Peters, Experte für maritime Sicherheit
Innenpolitisch werde gleichzeitig das Signal an die russische Bevölkerung gesendet, dass Russland nicht vor dem Westen zurückschreckt und man bereit ist, Verträge, die zu Sowjetzeiten gemacht wurden, zugunsten Russlands zu verändern.

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Moskau will damit innenpolitisch zeigen, dass man nicht mehr am Gängelband des Westens hängt, was faktisch gar nicht der Fall ist.
Johannes Peters, Experte für maritime Sicherheit

Könnte Russland die Änderung auch auf legalem Wege durchsetzen?

Russland hätte eine Veränderung der Küstenbasislinie auch beim Internationalen Seegerichtshof oder der Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) beantragen können. Das hätte jedoch laut Maritimexperte Peters sehr lange gedauert und wenig Aussicht auf Erfolg gehabt.
Es hätte auch nicht denselben psychologischen Effekt gehabt, wie die jetzige Ankündigung parallel zum Beginn der russischen Militärübungen zum Einsatz taktischer Atomwaffen.

Wir müssen unsere Politik anpassen, denn Putin wird nicht bis 2027 auf unsere Einsatzbereitschaft warten, so die ehemalige Nato-Strategin Stefanie Babst.

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Verteidigungsminister Pistorius sieht "perfide Art der hybriden Kriegsführung"

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bezeichnete die Ankündigung Russlands, als ein weiteres Beispiel für die "perfide Art der hybriden Kriegsführung" von Kreml-Chef Wladimir Putin.
Verunsicherung, Provokation, Rücknahme, Relativierung, einen Spalt dazwischen treiben, drohen - also immer das ganze Repertoire - das wird hier auch wieder sichtbar.
Boris Pistorius, Bundesverteidigungsminister
Er fühle sich durch die russische Ankündigung ein weiteres Mal bestärkt darin, "wie wichtig und richtig die Entscheidung war", in Litauen eine Bundeswehrbrigade zu stationieren. Das Vorhaben müsse "weiter vorangetrieben" werden.

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Quelle: ZDF
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Quelle: Mit Material von Reuters

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