Analyse

: Was Raisis Tod für Menschen im Iran bedeutet

von Nils Metzger
20.05.2024 | 12:47 Uhr
Stürzt der Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi Teheran in die Krise? Schnell muss ein Nachfolger her. Was bedeutet das für die Menschen Irans und die Menschenrechte?

Beileidsbekundungen von den Verbündeten, verhaltene Reaktionen aus dem Westen: Nach dem Unfalltod von Irans Präsidenten Raisi ist die politische Zukunft des Landes unklar.

20.05.2024 | 02:10 min
Freude über den Tod des iranischen Präsidenten und Hardliners Ebrahim Raisi können selbst die Anhänger der Ende 2022 niedergeschlagenen Protestbewegung am Montag nur klammheimlich äußern. In vielen großen Städten des Landes hat die Polizei Stellung bezogen, um gegen jede Form des Protests vorzugehen.
Der Hubschrauberabsturz, bei dem am Sonntag unter anderem Raisi und Außenminister Hussein Amirabdollahian starben, stellt die Führung des Islamischen Staates vor eine massive Herausforderung.
Der Absturzort des Helikopters von Ebrahim Raisi im Norden des Iran.

Wer könnte Raisis Nachfolger werden?

Bei den jüngsten Parlamentswahlen im März lag die Wahlbeteiligung bei historisch niedrigen 41 Prozent. Insbesondere in der Neun-Millionen-Metropole Teheran blieben viele Wahlbüros leer. Oppositionelle hatten zu einem Boykott aufgerufen.
Mit welcher Strategie die religiöse Staatsführung die jetzt anstehenden Präsidentschaftswahlen angeht, ist noch unklar. Zwar mögen liberale und oppositionelle Wähler nun zusätzliche Motivation verspüren, jedoch werden Wächterrat, Revolutionsgarden und andere Garanten der iranischen politischen Ordnung die Zügel eher noch enger führen. Große politische Umbrüche sollen auf jeden Fall verhindert werden - insbesondere jetzt, wo die Kriege in der Ukraine und Gaza so viele Ressourcen binden.

Nach dem Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi stellt sich die Frage, ob sich etwas an Irans Politik ändern wird. ZDF-Reporterin Anne Brühl berichtet.

20.05.2024 | 01:05 min
Alle Kandidaten bei Präsidentschaftswahlen müssen durch den Revolutionsführer Ali Chamenei unterstehenden Wächterrat zugelassen werden. 2021 hatte Raisi das offizielle Wahlergebnis mit 72 Prozent der Stimmen dominiert - er sollte zu Chameneis Nachfolger aufgebaut werden, echte Konkurrenz war da nicht vorgesehen. Offensichtliche Kandidaten für den jetzt anstehenden Urnengang drängen sich weder im Lager der Konservativen noch bei den Reformern auf.

Revolutionsgarden verschärfen Wirtschaftskrise

Dass auch Außenminister Amirabdollahian ums Leben kam, potenziert das Problem - er wäre ein ideologisch kompatibler, krisenerprobter und in der Bevölkerung bekannter Ersatz für Raisi gewesen. Nun stellt sich die Frage, welche Fraktionen innerhalb des konservativen Spektrums, Revolutionsgarden oder Geistliche, kurzfristig einen geeigneten Präsidentschaftskandidaten präsentieren können.

Seit September protestieren viele Frauen in Iran gegen die Kopftuchpflicht. Jetzt sind wieder vermehrt Mädchen und Frauen bei Kopftuchkontrollen festgenommen worden.

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Zwar werden die großen politischen Leitlinien durch den 85-jährigen Revolutionsführer Chamenei festgelegt, in Fragen der Budgetplanung und Außenpolitik hat der Präsident eigene Gestaltungsmöglichkeiten. Sollten sich die Militärs der Revolutionsgarden mit einem Kandidaten durchsetzen, könnten sie noch weitere Finanzmittel ihrer Organisation und Verbündeten in der ganzen Region zuführen. Die konfrontative Außenpolitik Irans könnte das verschärfen.
Für die Menschen im Iran hat das seit Jahren wirtschaftliche Konsequenzen - auch über die internationalen Sanktionen hinaus. Die Revolutionsgarden und ihre angegliederten Unternehmen plündern den Staatshaushalt für ihre Ziele aus; parallel hält sich die Inflationsrate seit Jahren bei über 30 oder sogar 40 Prozent. Jahr für Jahr wird weiter Wohlstand der iranischen Bevölkerung verbrannt.

Der Rapper Toomaj Salehi hatte die landesweiten Proteste 2022 unterstützt und systemkritische Songs veröffentlicht. Das iranische Regime hat den Musiker nun zum Tode verurteilt.

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Gibt es Auswirkungen auf die Menschenrechtslage?

Raisi war ein ausgewiesener Hardliner, Hoffnungen auf Lockerungen nach seinem Tod sind aber kaum realistisch. Das System ist weiter damit beschäftigt, Urteile gegen Demonstranten der letzten Protestwelle zu vollstrecken. Zehntausende wurden verhaftet; bis heute werden Monat für Monat weitere meist junge Menschen für ihre Beteiligung an den Protesten hingerichtet.
"Das sagt eigentlich alles über die Natur dieses Regimes in Iran: Es identifiziert und nimmt schneller Social-Media-Nutzer fest, die ihre Freude über den Tod des Präsidenten äußerten, als dass es einen Hubschrauber findet, geschweige denn seinen Präsidenten sicher befördert", betont ZDF-Korrespondentin Golineh Atai.
Für die Repression war Raisi nicht allein verantwortlich; ein ganzes System aus Richtern, Regierungsmilizen wie den Basidsch und die Religionspolizei hat den Dissens in der Bevölkerung im Blick. Sie wissen genau, dass die nächste Protestwelle irgendwann kommen wird. Auf keinen Fall will man jetzt Zweifel an der Stabilität des Systems aufkommen lassen.

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