: So können Frachtschiffe Angreifer abwehren

von Nils Metzger
19.12.2023 | 20:01 Uhr
Milizen aus dem Jemen greifen Frachter im Roten Meer mit Drohnen, Raketen und Hubschraubern an. Bewaffnete Sicherheitskräfte an Bord sollen Angreifer abwehren. So arbeiten sie.

Jemenitische Rebellen gefährden eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt. Die USA gründen jetzt eine Staatenallianz zur Sicherheit im Roten Meer.

19.12.2023 | 01:40 min
Es ist ein Nadelöhr des Welthandels: das Rote Meer vor der Küste des Jemen. Seit der Eskalation im Nahost-Konflikt greifen die mit Iran verbündeten Huthi-Milizen im Jemen Schiffe vor ihrer Küste an. Mehrere der weltgrößten Reedereien kündigten inzwischen an, das Gebiet aufwändig zu umfahren.
Schiffe, die an der Route vor Jemen festhalten, zählen oft auf bewaffnete Sicherheitsteams an Bord. Auf gefährlichen Seestrecken engagieren Reedereien solche privaten Sicherheitsfirmen; sie sind nun besonders gefordert. So gehen sie vor.

Wie können Sicherheitsfirmen Handelsschiffe schützen?

Auch im 21. Jahrhundert sind Handelsschiffe begehrte Ziele. Jedes einzelne transportiert Waren im Wert vieler Millionen Euro und mehr. Auf dem offenen Meer ist staatliche Hilfe für die meist kaum mehr als 20 Mann Besatzung meist weit entfernt. Was im Zeitalter der Segelschiffe Dutzende Kanonen übernahmen, leisten heute eine Handvoll Mitarbeiter privater Sicherheitsfirmen. Mit Radar, Nachtsichtgerät und Zieloptik auf dem Gewehr sollen sie Angreifer fern halten.

Im Roten Meer ist ein Containerschiff des deutschen Unternehmens Hapag-Lloyd attackiert worden. Der Angriff soll aus einer von der Huthi-Miliz kontrollierten Region im Jemen gekommen sein.

15.12.2023 | 00:19 min
Horst Rütten ist Nato-Ausbilder und Geschäftsführer einer von drei deutschen Firmen, die solche maritimen Sicherheitsdienstleistungen an Hotspots wie dem Roten Meer anbieten dürfen. "Wir haben eine gesetzlich vorgegebene Mindestgröße an vier Mitarbeitern pro Schiff", sagt Rütten. "Dann hängt es von der Risikoanalyse und der Größe des Schiffes ab; es können auch deutlich mehr Mitarbeiter sein - abhängig vom Budget der Reederei." Bereits mit wenigen Sicherheitskräften kann ein großes Gebiet abgesichert werden:
Wir sind in einer relativ stabilen Verteidigungsstellung, umgeben von viel Schiffsstahl. Es ist das Gegenüber, das sich exponieren muss, um in Nähe des Schiffes zu gelangen. Da sind wir in der vorteilhafteren Position.
Horst Rütten, Geschäftsführer IBS
"Vom höchsten Punkt des Schiffes sieht man am besten. Das ist die Brücke und dort können wir auch die Elektronik des Schiffes zur Seeüberwachung nutzen. Von den seitlichen Brückennocken backbord und steuerbord aus beobachten wir dann im Schichtbetrieb das Umfeld", beschreibt Rütten die Arbeit seiner Teams an Bord.
Plus: Es gibt viele Wege, Angreifern den Erfolg zu erschweren. Man orientiere sich bei den Maßnahmen an einem BMP5 genannten internationalen Handbuch - auch die Bundespolizei stellt es auf ihrer Webseite zur Verfügung. Dort ist dann aufgeführt, in welche Verteidigungszonen ein Schiff einzuteilen ist, wie man die Reling mit Stacheldraht absichert oder Barrieren baut. "Ein Schutzteam an Bord ist immer nur eine von vielen Maßnahmen", sagt Rütten. "Zuletzt gibt es Schutzräume, in die man sich mit der Besatzung zurückziehen kann."
Karte der Region mit dem Ort eines Huthi-Angriffs vergangene Woche auf ein dänisches Frachtschiff.Quelle: ZDF

Warum eine Schießerei an Bord keine gute Idee ist

Ein wichtiges Ziel ist zu verhindern, dass Angreifer überhaupt an Bord kommen - denn dann wird die Lage deutlich komplizierter. Selbst Mega-Frachter sind oft nur mit minimaler Besatzung unterwegs - anders als es Actionfilme womöglich glauben machen, kann ein Feuergefecht an Bord schnell für alle Seiten zu einem Horrorszenario werden.
Angesichts von Treibstoff und möglichen Gefahrgütern sind Schusswaffen oder umherfliegende Granaten doppelt gefährlich. Im BMP5-Handbuch heißt es darum immer wieder, sollte das Schiff gestürmt worden sein: "Leisten Sie keinen Widerstand" oder "Tun Sie das, was die Angreifer von Ihnen verlangen."

Die jemenitischen Huthi-Rebellen haben mit weiteren Attacken auf zivile Schiffe im Roten Meer gedroht. Erste Reedereien haben bereits ihre Fahrten durch den Suez-Kanal gestoppt.

16.12.2023 | 01:22 min
Seine Mitarbeiter hätten meist einen militärischen Hintergrund. Rütten betont, wie wichtig es für seine Branche ist, sich auch auf internationalen Gewässern an die geltenden Regeln zu halten: "Wir nutzen zivil zugelassenes Equipment", betont Rütten. "Was wir an Schusswaffen und Ausrüstung mitnehmen dürfen, ist uns gesetzlich vorgegeben." Szenarien wie Geiselbefreiungen etwa seien für ihn im Aufgabenbereich der staatlichen Streitkräfte. Und:
Wenn wir über Raketenbeschuss reden, dann muss man realistisch sagen: Das kann man zivil nicht abwehren.
Horst Rütten, Geschäftsführer IBS

Antisemitismus spiele für die Huthi-Miliz eine essenzielle Rolle, erklärt Jemen-Experte Marius Bales. Die Huthis langfristig militärisch zu zerschlagen, sei eher unrealistisch.

18.12.2023 | 17:37 min

Handelsschiffe oft wenig gerüstet gegen neue Bedrohungen

Um das Jahr 2010 herum waren es noch Piraten aus Somalia, die den internationalen Schiffsverkehr im gleichen Seegebiet bedrohten. Der Marineexperte Moritz Brake war damals auf der Fregatte Köln mehrfach im Einsatz am Horn von Afrika. Die aktuelle Lage sei deutlich dramatischer als damals, berichtet er bei ZDFheute live:
Was wir dort erleben, ist eine ganz andere Qualität an Bedrohung, als das in den Jahren vorher der Fall war.
Moritz Brake, Cassis-Forschungszentrum, Universität Bonn
"Damals setzten die Piraten einfache Technologien, einfache Schusswaffen, gelegentlich Panzerfäuste ein, waren unterwegs mit Schnellbooten. (…) Heute kommen Drohnen, ferngelenkte Systeme auf dem Wasser und in der Luft zum Einsatz. Dann ist die ganze Situation um ein Vielfaches gefährlicher", sagt Brake.

Die Gefahr für die Seeleute sei durch die Attacken der Huthi aktuell viel größer als bei früheren Angriffen, erklärt Kapitänleutnant Moritz Brake, Experte für Maritime Sicherheit.

18.12.2023 | 14:11 min
Nicht wenige Schiffe fielen damals in die Hände somalischer Piraten, da die Besatzungen die Motoren drosselten. Was Sicherheitsexperten rieten: Einfach nicht anhalten, denn die kleinen Boote sind den über 100 Meter langen Frachtschiffen und ihrem Wellengang oft kaum gewachsen. Doch statt mit klapprigen Booten kaperten im November Huthi-Rebellen einen Frachter per Hubschrauber. "Handelsschiffe sind in keiner Weise ausgerüstet, um damit umzugehen. Es gibt nichts, was aktuell auf einem modernen Containerschiff vorhanden wäre, was mit dieser Art Bedrohung umgehen kann", so Brake.

Westliche Militärschiffe allein sind keine optimale Lösung

Brake gibt zu bedenken, dass eine technische Aufrüstung der Schiffe etwa gegen Drohnen oder andere unbemannte Objekte teuer und nicht über Nacht verfügbar ist. "Das einzige, was schnell geht: Ein amerikanischer Zerstörer ist vor Ort und schießt Drohnen ab. Man kann dort Kriegsschiffe hinschicken." Aufgrund der schieren Größe des Seegebiets könnten die aber nicht alles abdecken.
Eine Bedrohung mit relativ kostengünstigen Angriffsmitteln, Drohnen, die für einige Tausend Dollar zu haben sind, werden mit Marschflugkörpern bekämpft, die Fünfhunderttausend Dollar und mehr kosten. Das ist für uns auf Dauer nicht durchzuhalten.
Moritz Brake, Cassis-Forschungszentrum, Universität Bonn
Umgekehrt rechnen die Experten nicht damit, dass teure Investitionen in maritime Sicherheit nach Ende der aktuellen Krise unnütz werden könnten. "Auch Piraten haben über die Jahre dazugelernt. Mit dem Zugang zu Lösegeld wurde auch deren Technik besser", sagt Rütten. Für die Drohnen-Abwehr müssen Reedereien also neue, dauerhafte Lösungen finden.

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